Bibliotheksreform: „Die Reform wäre das Ende der ZLB“
Als Fachlektor kümmerte sich Peter Delin früher um die Auswahl von Filmen. Jetzt engagiert sich der Pensionär gegen die vom ZLB-Vorstand angestrebte Reform.
taz: Herr Delin, am heutigen Montag sind Sie im Kulturausschuss als Experte zur ZLB-Reform geladen. Sie gelten als erbitterter Kritiker. Was werden Sie dort vortragen?
Peter Delin: Durch die geplante „Reform“ würde die ZLB zu einer völlig anderen Bibliothek. Bislang haben die ZLB-Lektoren durchschnittlich 29.000 Bücher pro Jahr selbst ausgewählt. Künftig sollen 24.000 Bücher durch den externen Bibliotheksdienstleister EKZ geliefert werden.
Die ZLB muss sparen. Scheint es da nicht logisch, die Lektoren, die bislang selbst die Verlagskataloge durchforsteten, zu entlasten?
Die ZLB leidet nicht unter Personalknappheit! Und nur etwa 20 der gut 300 Mitarbeiter sind mit der professionellen Marktsichtung beschäftigt. Das sind nicht viele. Aber sie machen den Unterschied.
Der Stiftungsrat beschloss im Dezember 2014 eine Reform der Zentral-und Landesbibliothek (ZLB).
Die Reform folgt einem Gutachten der Professoren Konrad Umlauf (Berlin) und Cornelia Vonhof (Stuttgart). Es sieht vor, dass ein externer Bibliotheksdienstleister künftig einen Großteil der Bucheinkäufe "regalfertig" liefern soll.
Um die Reform tobt jetzt ein kulturpolitischer Streit. Mehr als 12.000 BerlinerInnen haben bereits eine Petition für die Rettung der ZLB unterschrieben. Die taz hat mit beiden Seiten gesprochen:
Volker Heller, Managementdirektor der ZLB, verteidigte am 24. 2. in der taz die Reform: Er müsse sparen. Die bislang mit dem Medieneinkauf beschäftigten Lektoren will er entlasten. Und mit längeren Öffnungszeiten, Themenschwerpunkten und Beratung dem Publikum mehr Service bieten. Qualitativ werde die Reform der ZLB nicht schaden.
Heute spricht Peter Delin, pensionierter ZLB-Mitarbeiter und vehementer Kritiker der Reformpläne, im Kulturausschuss. In der taz erklärt er, warum die ZLB starke Lektoren braucht. (api)
Warum?
Die Standardauswahl der EKZ ist qualitativ gut, aber zu klein für die ZLB: 16.000 Titel aus 90.000, die auf dem Buchmarkt erscheinen. 9.000 Sachbücher, 3.000 Kinder- und Jugendbücher, der Rest ist Belletristik. Nur 10.500 Titel aus dieser Vorauswahl sind für eine große Bibliothek wie die ZLB brauchbar. Wenn die „Reform“ durchkommt, wird die ZLB aber die gesamte Auswahl als Komplettpaket übernehmen müssen. Das ist bislang nur in den Stadtbibliotheken von Bremen und Hamburg üblich.
Was ist an dem Modell so schlecht?
Unter den ca. 29.000 neuen Büchern im Jahr sind fast keine Doppelexemplare, man hatte immer rund 26.000 Titel erworben. In Zukunft wird die ZLB 24.000 Bücher von der EKZ bekommen, davon 10.000 Doppelungen. Unterm Strich bleiben nur 14.000 neue Titel.
Warum ist die Auswahl für kleinere Bibliotheken geeignet, für die ZLB jedoch unbrauchbar?
Die Zentral-und Landesbibliothek ist die größte öffentliche Bibliothek in Deutschland. Wir haben in Berlin ein dreistufiges System: Ein Netz von etwa 80 Bezirksbibliotheken, davon 12 Bezirkshauptbibliotheken, die zum Teil Einzugsbereiche haben wie die Stadt Bochum mit 360.000 Einwohnern. Die ZLB muss als übergeordnete Bibliothek eines eigenständigen Bundeslandes einen speziellen Bedarf befriedigen. Der kann durch diese reduzierte Auswahl nicht bedient werden.
Peter Delin, 65 Jahre, war bis 2014 Fachlektor für Film in der ZLB. Zusammen mit seiner ehemaligen Kollegin und Lebensgefährtin Ursula Müller-Schüssler engagiert er sich für die Erhaltung der ZLB in ihrer derzeitigen Form.
Bibliotheksdirektor Volker Heller bestreitet, dass nach der Reform das Angebot spürbar kleiner würde.
Die Zahlen belegen: Durch die angestrebte Reform schrumpft die Titelbreite der Bibliothek auf die Hälfte zusammen. Das akzeptiert das Publikum der ZLB nicht. Umfragen belegen: 1,2 Millionen Besucher im Jahr schätzen die ZLB für eine Medienauswahl, die einzigartig in der Stadt ist. Der Erfolg der Onlinepetition, die bereits mehr als 12.000 Unterzeichner hat, zeigt: Die Leser wollen sich das nicht kaputt machen lassen. Meine Freundin und ich verteilen seit sechs Wochen Flugblätter, der Zuspruch ist enorm. Damit soll das Quorum von 15.000 Unterzeichnern erreicht werden. Dann will der Initiator der Petition, Eckart Müller, sie dem Stiftungsrat vorlegen.
Heller begründet die Einsparungen mit Geldknappheit. Wenn Sie Bibliotheksdirektor wären, wo würden Sie sparen?
Ich wäre eigentlich nicht gern Direktor. Wenn, dann würde ich an der Spitze anfangen und den aufgeblähten Stabsbereich auf Leitungsebene reduzieren. Damit ließe sich so viel sparen.
Braucht die ZLB wieder eine Bibliothekarin an der Spitze – wie die frühere Leiterin Claudia Lux?
Unbedingt – Herr Heller setzt als Managementdirektor die falschen Prioritäten. Er spricht von „Zukunftsfähigkeit“, aber hat keinen Plan für die digitalen Medien. Da war die ZLB schon mal weiter: E-Learning in der E-LernBar, Computerkurse für ältere Menschen und Blinde. Das gibt es nicht mehr.
Im Ausschuss werden Sie dem Verfasser des Reformgutachtens gegenübersitzen. Auch die Direktorin der Hamburger Bibliothek wird da sein. Hamburg arbeitet bereits mit dem EKZ-Modell. Glauben Sie, dass Sie Tim Renner als Vorsitzenden des ZLB-Stiftungsrats umstimmen können?
Wir wünschen uns, dass der Beschluss zurückgenommen wird, weil das Gutachten, auf dem er beruht, falsch ist und der Bibliothek schadet. Und wir wollen, dass der Stab der Fachlektoren erhalten bleibt, um die Qualität zu sichern. Man braucht auch Fachleute, um zu beurteilen, welche Werke aufgehoben und welche ausgesondert werden.
Die Petition spricht von „Büchervernichtung“. Volker Heller widerspricht dieser Darstellung: Auch künftig würden keine Bücher vernichtet, sagte er im taz-Gespräch. Was ist denn nun richtig?
Wir hatten bisher eine Bibliothek, die alle bedeutenden Werke bewahrt. Herr Heller aber will den Hauptteil der ZLB zu einer Verbrauchsbibliothek so wie in fast allen deutschen Großstädten umbauen. Jedes Jahr müssen dort genauso viele Bände aus dem Regal raus wie neu hinzukommen. Archiviert wird nichts. Was rausmuss, wird verkauft oder in die Papiermühle gegeben. Schon jetzt wird in der ZLB in großem Stil ausgesondert – seit 2012 Zehntausende Bücher. Wenn das künftig aber niemand mehr sichtet, dann sind wir auf dem Weg zur Verbrauchsbibliothek.
Und was würde dann passieren?
Nach fünf, sechs Jahren wird die Bibliothek, wie wir sie kennen, Geschichte sein. Sie soll auch anders betrieben werden, rein nach marktwirtschaftlichen Kriterien. Die einzelnen Fachgebiete werden zueinander in Wettbewerb treten müssen: Wer am meisten Ausleihen hat, bekommt mehr Geld und mehr Regalplatz. Eine erschreckende Vision.
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