Bezirkswahlen in Hamburg: Die grüne Grenze
Stefanie von Berg ist Grüne Bezirksamtsleiterin von Altona – noch. Wie sie an 700 Metern Fahrradweg in einem Elbvorort zu Scheitern droht.
Frank macht die Öffentlichkeitsarbeit für die IG Waitzstraße, einen Zusammenschluss von Geschäftsleuten, wobei IG für Interessengemeinschaft steht. Die Waitzstraße ist bundesweit bekannt geworden, weil hier eine Zeit lang Autofahrer öfter mal aus Versehen in Schaufenster fuhren. Das gediegene Café „Newport“ hat es erwischt, die Sparkassenfiliale, einen Juwelierladen, einen Friseursalon, eine Boutique. Die Fahrer*innen waren oft älter, die Autos groß, und es wurde spekuliert, was der Grund für die Unfallhäufigkeit sein könnte: das Automatikgetriebe, das Alter der Fahrer*innen, beides zusammen?
Dazu muss man wissen, dass die Waitzstraße nicht irgendeine Straße ist. Die Einkaufsstraße mit netten, inhabergeführten Geschäften, kleinen Restaurants und vielen Arztpraxen liegt genau an der Grenze zwischen zwei Hamburger Elbvororten: Groß Flottbek und Othmarschen. Die Straße ist so etwas wie das Zentrum der beiden Stadtteile. Es gibt nicht viele Orte, wo man sich sonst treffen kann. In Othmarschen und Groß Flottbek wohnt man eher.
Und man wohnt nicht schlecht: Die Villendichte hier ist extrem hoch, das Durchschnittseinkommen ebenso, und das ist auch Teil des Problems. „Hier leben nicht nur Reiche“, sagt Andreas Frank, der eine Kamera dabei hat, um die Veränderungen festzuhalten, die sich um die Waitzstraße herum abspielen. Aber die Leute dächten eben, dass das so sei. Deswegen spiele auch Sozialneid eine Rolle, wenn über die Waitzstraße berichtet werde.
Kreisverkehr für die Fahrräder
Dabei ist die Lage durchaus ernst, wie hier an der Kreuzung auf der Reventlowstraße, nur wenige Hundert Meter von der Waitzstraße entfernt, zu sehen ist. Ein Kreisverkehr soll hier hin für die Fahrräder. Die Autos kommen nicht mehr zur Waitzstraße durch. Überall Absperrungen, komplizierte Umleitungen, der Verkehr hier geht nur noch in eine Richtung.
Wenigstens sind die schönen, alten Bäume, die die Straße säumen, mit Holzlatten gesichert. „Das bedeutet, dass sie nicht gefällt werden, das ist gut“, sagt Andreas Frank. Aber weiter die Straße hoch sieht man schon gleich wieder, was für ein Geist hier im Bezirk Altona regiert: Zwischen den Bäumen, wo früher Autos parken konnten, liegen große Steine. Das muss doch nicht sein, findet Frank, der bei den Bezirkswahlen am 9. Juni für die CDU in Altona auf Listenplatz 13 kandidiert.
Bei den letzten Wahlen, 2019 war das, wurden die Grünen in dem Bezirk, zu dem auch die Elbvororte gehören, stärkste Partei. Seitdem ist Stefanie von Berg von den Grünen Bezirksamtsleiterin und führt die Geschäfte mit wechselnden Mehrheiten, mal mit der SPD und noch öfter mit der CDU, die in Altona eher liberal aufgestellt ist.
CDU und SPD haben auch mitgemacht, als die Veloroute 1 vom Hamburger Zentrum Richtung Elbvororte beschlossen wurde und die durch die Reventlowstraße verläuft. Im Februar aber sind sie davon abgerückt: In einer denkwürdigen Sitzung des Verkehrsausschusses, zu der auch die IG Waitzstraße anrückte, brachten die FDP und die SPD einen Antrag ein, die Bauarbeiten aufzuschieben, die CDU und sogar die Linke schlossen sich an.
In der darauffolgenden Sitzung der Bezirksversammlung gab es den offiziellen Beschluss zur „Rückstellung der Baumaßnahmen“, gegen die Stimmen der Grünen. Es soll dabei hoch hergegangen sein, berichten Leute, die dabei waren. Der Ton sei scharf gewesen – ganz untypisch für Altona, wo Stefanie von Berg bisher im größtmöglichen Konsens regierte.
Brandbrief der Ladeninhaber
Dem Stimmungsumschwung in der Bezirkspolitik vorausgegangen war ein Brandbrief der IG Waitzstraße, in dem von einem „programmierten Verkehrsinfarkt“ die Rede war. Die Ladeninhaber fürchteten um ihre Geschäfte, hieß es da, denn es ist ja nicht nur die Veloroute in der Reventlowstraße, die ihnen Kopfschmerzen bereitet. Auf der anderen Seite der Waitzstraße ist ebenfalls eine Zufahrtsstraße gesperrt, weil dort die Rohre für eine Fernwärmeleitung verlegt werden, die das alte Kohlekraftwerk im benachbarten Wedel überflüssig machen sollen.
Dazu kommen die Bauarbeiten am Deckel über der nahen Autobahn, die auf dieser Seite ebenfalls Wege zur Waitzstraße blockieren – alles gute Projekte, finden auch die Geschäftsleute in der Waitzstraße – aber doch nicht alles auf einmal!
Im Altonaer Rathaus, das in seinem strahlenden Weiß eher an einen Palast erinnert als an den Bahnhof, der es einmal war, hat Stefanie von Berg ihre Räume im hinteren Teil, zur Elbchaussee hin. Dunkles Holz, alte Ölgemälde an den Wänden, der Pressesprecher sitzt dabei, die Bezirksamtsleiterin schenkt Kaffee ein.
Ja, der Fahrradweg, sagt Stefanie von Berg, natürlich seien es nur 700 Meter, aber es sei das letzte Stück der Veloroute 1, das rot markiert sei. Rot bedeute: „Must-have“, höchste Priorität. Die Fahrräder müssen an der Stelle bisher auf der Straße zwischen den Autos fahren oder auf den Gehweg ausweichen. Es hat Unfälle gegeben.
Wären die Bauarbeiten wie von der Bezirksversammlung gefordert ausgesetzt worden, wäre der nächste mögliche Termin 2031 gewesen, und die Kosten wären gestiegen, weil Aufträge bereits vergeben worden waren. Sie habe ihre Rechtsabteilung gefragt, sagt Stefanie von Berg. Die Auskunft sei gewesen: Kein Ermessensspielraum, die schon verabschiedeten Planungen müssten durchgezogen werden. Die Bezirksamtsleiterin beschloss, sich über das Votum der Bezirksversammlung hinwegzusetzen. „Ich habe einfach amtskonform gehandelt, deswegen ist es so bitter“, sagt Stefanie von Berg.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Politikerin Konflikte aushalten muss. Als sie noch schulpolitische Sprecherin der Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft war, brach ein Shitstorm über sie herein, weil sie mit Bezug auf die Migrationsforschung sagte, sie sei „der Auffassung, dass wir in 20, 30 Jahren gar keine ethnischen Mehrheiten mehr haben in unserer Stadt“.
Das Zitat wurde verfälscht verbreitet, die Politikerin wurde als Deutschenhasserin bedroht, doch sie machte weiter. Als Bezirksamtschefin hat sie im Inneren von Altona konsequent Fahrradwege ausgebaut und dafür das Anwohnerparken eingeführt, damit künftig weniger Leute mit dem Auto in das aufgeschickte, ehemalige Arbeiterviertel Ottensen kommen. Die Widerstände dagegen hat sie in langen Gesprächsrunden mit unzufriedenen Geschäftsleuten ausgeräumt. Sie ist Kompromisse eingegangen, aber sie hat sich am Ende durchgesetzt.
Stimmung gegen die Grünen
Die Frage ist, nur warum gelingt ihr das bei diesem einem Fahrradweg in den Elbvororten nicht? Gab es Kompromissmöglichkeiten, die nicht ausgeschöpft wurden? Wollte das Bezirksamt sie nicht ausschöpfen, weil ihm die Veloroute wichtiger war als die Geschäfteinhaber? Oder hatte sich hier, im Villenviertel neben dem alternativen Ottensen, die Stimmung bereits so gegen die Grünen gedreht, dass auch mit Kompromissen nichts mehr zu retten gewesen wäre?
Haben etwa die Geschäftsleute in der Waitzstraße deswegen die anderen Parteien im Bezirk auf ihre Seite gebracht, weil auch deren Vertreter*innen der ewigen Baustellen müde sind, die der Umbau zu einer fahrradfreundlichen Stadt mit sich bringt?
Vor dem Italiener in der Waitzstraße stehen ein paar Tische, die Sonne scheint, und Arne Ehlers von der IG Waitzstraße redet sich in Rage. Es habe nicht erst mit diesem Fahrradweg angefangen, sagt er. Es ging schon früher los, als sich alle über die kaputten Frontscheiben der Geschäfte lustig machten. Die Grünen im Altonaer Rathaus wollten damals die Schrägparkplätze abschaffen. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte man nur noch in Fahrtrichtung parken dürfen. Damit wären Parkplätze verloren gegangen. Die Kundschaft in der Waitzstraße komme aber nun mal mit dem Auto, das sei ja auch das Problem mit den Bauarbeiten ringsum.
Seit den Straßensperrungen seien die Umsätze zurückgegangen, sagt Ehlers, der in der Waitzstraße das „Papierhaus Harder“ und „Buchhandlung Harder“ betreibt. Es gehe bei einigen um die Existenz. „Ich sehe den Bezirk in der Verantwortung, etwas für die Waitzstraße zu unternehmen“, sagt er mit angespannter Oberlippe.
Direkt neben der Waitzstraße befindet sich eine S-Bahn-Station, aber damit kommen die Kund*innen hier eben nicht. An diesem normalen Wochentag sind alle Parkplätze voll. Es sind viele, und noch immer sind sie schräg gerichtet. Die Grünen hatten das eigentlich verbieten wollen, dann aber nachgegeben und sich mit Pollern begnügt.
Nach Nachgeben sieht es diesmal allerdings nicht aus. Verkehrssenator Anjes Tjarks, ebenfalls von den Grünen, hat die Sache an sich gezogen. Der Fahrradweg wird jetzt unter Senatsregie gebaut, schließlich sind die Velorouten sein Prestigeprojekt.
Stefanie von Berg, Leiterin des Bezirksamtes Altona
Stefanie von Berg hat darum ihren Einspruch gegen den Beschluss der Bezirksversammlung zurückgenommen. Die Politik in Altona ist damit allerdings noch nicht befriedet. Zumindest die CDU hatte sich vor dem Zerwürfnis vorstellen können, nach den Bezirkswahlen am 9. Juni Stefanie von Berg wiederzuwählen, ohne ihre Stelle neu auszuschreiben. „Das ist jetzt unvorstellbar geworden“, sagt Fraktionschef Sven Hielscher, von dem es heißt, dass er persönlich mit der Bezirksamtsleiterin gut kann.
Und die SPD hat sowieso andere Pläne. Der neue Kreisvorsitzende Sören Platten tritt bei der Bezirkswahl als Spitzenkandidat an und will die Mehrheit in Altona für die SPD zurückholen. An dem Tag Ende Januar, an dem die IG Waitzstraße ihren Brandbrief schrieb, erschien auf einem Elbvororte-Portal ein Foto, das ihn und die SPD-Kandidatin von Flottbek-Othmarschen neben dem Geschäftsinhaber Arne Ehlers zeigt, die Botschaft: „SPD Altona fordert Verschiebung der Veloroute Reventlowstraße“. Es heißt, Platten wolle in Altona mit der CDU koalieren, nicht mit den Grünen. Es könnte am Ende eng werden für Stefanie von Berg.
Ans Aufgeben denkt die Bezirksamtsleiterin deswegen noch lange nicht. Bevor sie in die Hamburger Politik ging, hat sie im niedersächsischen Schuldienst gearbeitet, in Stade, und gleichzeitig an ihrer Doktorarbeit über „(De-)Kolonisation in Gedichten zeitgenössischer indigener nordamerikanischer Autorinnen“ geschrieben. Jahre hat sie daran gearbeitet, bis ihr klar wurde, dass sie alles umschreiben müsste, im Lichte von Foucaults Diskurstheorie. Warum sie sich das angetan hat? „So bin ich eben gebaut.“
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