Bewegtbild und „Green Producing“: „Tatort“ muss kein Klimakiller sein
Ein „Tatort“ erzeugt 100-140 Tonnen CO2. Fast die Hälfte davon könnte man leicht einsparen, aber es fehlen die Anreize.
Eine durchschnittliche Tatort-Produktion setzt etwa 100–140 Tonnen CO2 frei. Das hat die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg in mehreren Ergebnisberichten erhoben. Zum Vergleich: Das entspricht der Menge CO2, die – je nach Schätzung – 10 bis 17 Deutsche pro Jahr erzeugen. Und warum ist das so, dass ein „Tatort“ so viel Auspuff hat wie mehrere Großfamilien im ganzen Jahr? Rund 46 Prozent aller CO2-Emissionen werden laut Berechnung durch Hotelübernachtungen verursacht und 17 Prozent durch Flugreisen.
Bei aufwendigen Hollywood-Blockbustern wie „The Day After Tomorrow“ ist es noch viel schlimmer, laut einer Studie der University of California kommt so einer auf rund 10.000 Tonnen Klimaschadstoff. Der Großteil wird hier durch Transport- und Reisewege sowie hohen Stromverbrauch verursacht, häufig aufgefangen durch Dieselgeneratoren.
Ob das unbedingt so sein muss, fragt man sich in Hollywood schon länger. Das Stichwort dazu ist „Green Producing“, auch „Green Shooting“. Es ist das Gegenstück hinter der Kamera zum „Grünen Storytelling“ vor der Kamera. 2009 formulierte der Schauspieler und damals Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, gemeinsam mit der Universität Kalifornien den „Code of Best Practices for Sustainable Filmmaking“, in dem Ideen festgehalten sind, wie Filmschaffende grün produzieren könnten. Aus ökologischer Sicht geht es dabei vor allem darum, den CO2-Ausstoß so stark wie möglich zu reduzieren.
Auf diesem Ideenkatalog bauen die deutschen Leitfäden auf. 2010 übersetzte ihn Katja Schwarz, die auch die Tatort-Produktion „Fünf Minuten Himmel“ als Nachhaltigkeitsberaterin begleitet hat, ein Pilotprojekt der Filmförderung Baden-Württemberg (MFG), das ressourcenschonende Produktionsweisen etablieren sollte. Das Ergebnis laut Bericht der MFG: 53,6 Tonnen und damit 42 Prozent CO2 konnten während der 24-tägigen Dreharbeiten im Herbst 2015 eingespart werden, vor allem durch den Umstieg von Flügen auf Zugfahrten und von Hotels auf Ferienwohnungen.
Ungenutztes Potenzial
Aber Schwarz sagt auch: „Das Traurige ist, dass Green Producing nur punktuell und nicht flächendeckend umgesetzt wird, obwohl wir das Wissen schon seit zehn Jahren haben.“ Nachholbedarf gebe es überall. Dabei seien mögliche Maßnahmen so einfach wie einleuchtend: Wenn beispielsweise längere Reisen mit der Bahn statt mit dem Flugzeug unternommen würden, seien Produktionen „zwar nicht direkt komplett grün, aber zumindest klimafreundlicher“. Ob das Bahnfahren dabei aufs Budget schlägt, lässt sich pauschal nicht sagen. Dafür spielen bei jeder Produktion zu individuelle Faktoren wie die Verfügbarkeit einer BahnCard oder die Entfernung zum Drehort eine Rolle.
Weitgehend ungenutztes Potenzial für mehr Nachhaltigkeit, sagt Schwarz, liege auch in der Optimierung der Tätigkeit in den Büros. Ziel ist es hier unter anderem auf papierloses Arbeiten umzusteigen, Ökostrom zu nutzen oder Gebäude energieeffizient zu renovieren.
Birgit Heidsiek, „Green Film Shooting“
Allerdings arbeiten beim Film oft hunderte Menschen aus verschiedenen Gewerken zusammen. Sie alle unter einen Hut zu bekommen, ist eine Herausforderung. Das weiß auch Michael Becker, der mit seinem Team Fernsehfilme grün produziert. Seine Erfahrung als Herstellungsleiter beim SWR zeige, dass man vor allem in Bezug auf Energie und Mobilität viel CO2 einsparen könne. „Im Bereich Energie ist das zum Beispiel die Umstellung von Standardleuchten hin zu LED-Leuchten, die eine Energieeinsparung von circa 90 Prozent mit sich bringt.“ In der Anschaffung sei nachhaltige Technik oft teurer, sagt Becker, langfristig ergebe sich durch den Umstieg aber eine Stromkostenersparnis.
Im Februar stellte Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf der Berlinale eine deutschlandweite Zertifizierung für das Green Producing vor. Vertreter der Film- und Fernsehwirtschaft verpflichteten sich mit ihrer Unterschrift zu mehr Umweltschutz. Allerdings ist das Papier eine allgemein gehaltene Absichtserklärung. Im branchenweiten Arbeitskreis „Green Shooting“ allerdings haben Sender, Filmfördernde und Produktionsfirmen verbindlich zugesagt, 100 Produktionen im Jahr 2020 nach einheitlichen Regeln ökologisch nachhaltig herzustellen. Laut einer Expertenschätzung werden in Deutschland aktuell etwa 200 Spielfilme pro Jahr produziert sowie eine wachsende Zahl von Serien, Dokus und Shows von über 800 deutschen Film- und Fernsehproduktionsfirmen.
Vom Ökosein hat man nichts
Sinnvoll sei es, Produktionen von Beginn an grün zu planen, sagt Filmpublizistin Birgit Heidsiek: „Schaden, den man anrichtet, kann man schlecht kompensieren. Vermeiden ist stets besser als ausgleichen.“ Natürlich gebe es seriöse Institute, die Emissionen kompensierten, aber andere gerieten damit in den Bereich des Greenwashings. Emissionen lassen sich zum Beispiel teilweise durch Geldspenden zum Pflanzen von Bäumen kompensieren, allerdings ist der Grundgedanke des Green Producing, die Produktionsweise langfristig umzustellen.
Ein weiteres Problem laut Heidsiek: In Deutschland lasse sich bisher kein Profit damit machen, wenn man beim Dreh auf Nachhaltigkeit achtet. Den Produktionsfirmen, die grün drehten, entstehe dadurch aktuell kein Wettbewerbsvorteil. Produziert werde immer dort, wo es billiger sei oder es die größten finanziellen Anreize gebe. Da Filmproduktionen oftmals international und durch Gebühren finanziert würden, müsse ein Teil des Drehs oder der Postproduktion stets an den Standorten der Geldgeber erfolgen.
So entstünden zusätzliche Reisen und damit würden mehr Schadstoffe ausgestoßen. Die Vorstellung, dass auch regionale Filme an einem festen Standort abgewickelt werden, ist also Irrglaube, da jeder Teil eines Films am dafür günstigsten Standort oder dem Standort des Sponsors produziert werden muss. Heidsiek sieht den Gesetzgeber in der Pflicht: „Das Beste wäre, die Vergabe von Geldern an gewisse Auflagen und Umweltstandards zu koppeln, zumal Filme zum großen Teil mit öffentlichen Steuermitteln finanziert werden.“ Andere Branchen müssten schließlich auch Umweltstandards einhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend