Bevorstehende Influenza-Saison: Spahn lässt Grippeimpfstoff bunkern
In Deutschland werden zu Beginn der Grippesaison mehr Impfdosen gegen Influenza bereitstehen als jemals zuvor – wegen der Coronapandemie.
Es ist ein Schreckensszenario, das der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vermeiden möchte: Parallel zu einem möglichen, rasch ansteigenden Corona-Infektionsgeschehen im Herbst und Winter könnte das Land von einer schweren Grippewelle heimgesucht werden. Die Folge: Das Gesundheitssystem wäre womöglich überlastet. „Es sind die gleichen Symptome, daher sind die gleichen Beatmungs- und Intensivkapazitäten wie bei Corona gefragt“, sagte Spahn unlängst bei der Vorstellung seines Plans, mit dem er das Unheil abzuwenden hofft: Indem mehr Menschen als gewöhnlich ab Beginn der jährlichen Grippesaison gegen die Influenza geimpft werden, soll die Grippewelle auf ein Minimum reduziert werden. Die so gewonnenen Kapazitäten würden Coronapatienten zugutekommen.
Der Bund wird dazu für die Saison 2020/2021 erstmals eine Grippeimpfstoffreserve anlegen. Mit mindestens 25 Millionen Dosen, so Spahn, werde es „so viele Impfdosen wie noch nie“ geben. Zum Vergleich: Im vorigen Jahr standen in Deutschland rund 16,5 Millionen Grippeimpfdosen zur Verfügung. Niedergelassene Ärzte, in deren Praxen häufig geimpft wird, ermunterte der Minister, schon jetzt mehr saisonalen Grippeimpfstoff vorab zu bestellen. Sie müssten deswegen „keine Regressforderungen der Krankenkassen wegen unwirtschaftlicher Verordnung befürchten“, teilte das Bundesgesundheitsministerium mit. Die zusätzlichen Kosten für die Kassen schätzt Spahn auf 80 Millionen Euro.
Ab Anfang Oktober, wenn auch die Grippesaison beginnt, wird die Schutzimpfung in der Regel gegeben. Die eigentliche „Welle“ mit höheren Erkrankungszahlen erfolgt dann zumeist im Januar und dauert drei bis vier Monate. Der Grippeimpfstoff wird jedes Jahr an die sich verändernden Virenstämme angepasst.
Empfohlen wird die Grippeschutzimpfung insbesondere Menschen über 60 Jahren, Schwangeren, chronisch Kranken und medizinischem Personal. Denn diese haben entweder ein erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe oder sind dem Virus beruflich bedingt besonders stark ausgesetzt – und könnten es an vulnerable Gruppen weitergeben. Und bei dieser Impfpraxis solle es auch in Zeiten der Pandemie tunlichst bleiben, mahnt die Ständige Impfkommission (Stiko) beim Robert-Koch-Institut in ihren Ende Juli veröffentlichten „aktuellen Empfehlungen zur saisonalen Influenzaimpfung für die Influenzasaison 2020/21 in Anbetracht der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie“. Denn, so die Stiko, selbst eine Rekordzahl von 25 Millionen Impfdosen werde nicht ausreichen, um die gesamte Bevölkerung Deutschlands zu immunisieren.
Abriegelung verkürzte Grippesaison
Folglich sollten in erster Linie die sogenannten Risikogruppen von der Grippeschutzimpfung profitieren. Deren „bisherige Influenzaimpfbeteiligung“ sei in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gesunken. Bei den über 60-Jährigen lag die Grippe-Impfquote zuletzt bei nur noch etwa 35 Prozent; dies sei „völlig unzureichend“, urteilt die Stiko. Damit zumindest alle Risikogruppenzugehörige geimpft werden könnten, seien „etwa 40 Millionen Dosen Influenzaimpfstoff notwendig“.
Jens Spahn, CDU
Einen Lichtblick aber gibt es laut Stiko: Daten der Arbeitsgemeinschaft Influenza beim RKI für den März 2020 zeigten, dass die gemeldeten Influenzafälle „mit Beginn der Kontaktbeschränkung im Vergleich zu den Vorjahren sehr deutlich und abrupt sanken“. Die strengen Coronaregeln wirkten also auch gegen die Grippe. Und: Eine zeitgleiche Infektion sowohl mit der Grippe als auch mit Corona sei zwar möglich; bislang vorliegende Daten deuteten „jedoch nicht auf schwerere Verlaufsformen für Covid-19 in Nichtrisikogruppen hin“. Auch deswegen, so die Stiko, könne sie eine „generelle Impfempfehlung“ nicht aussprechen.
Die Einschätzungen der deutschen Impfexperten korrespondieren mit Erkenntnissen von FluNet, einem globalen, webbasierten Instrument zur Überwachung und Verfolgung der Influenza. Die FluNet-Daten auf Länderebene werden wöchentlich aktualisiert und sind unter anderem über die regionalen Datenbanken der Weltgesundheitsorganisation (WHO) öffentlich zugänglich. Danach gingen die saisonalen Grippefälle auf der Nordhalbkugel in diesem Jahr – ungewöhnlicherweise – Anfang April, wenige Wochen nach Ausrufung der Pandemie am 11. März, rapide zurück.
Die Abriegelung ganzer Städte, Social Distancing und strenge Hygieneregeln, die die Ausbreitung des Coronavirus verlangsamen sollten, hätten zugleich die Grippesaison um etwa sechs Wochen verkürzt und so, mutmaßt die WHO, womöglich Zehntausende Grippetote verhindert. Weltweit sterben Schätzungen zufolge zwischen 290.000 und 650.000 Menschen jährlich an saisonaler Grippe.
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