Betroffene über Gewalt bei der Geburt: „Ich fühlte mich völlig ausgeliefert“

Nahia Alkorta klagte nach einem Kaiserschnitt gegen Spanien wegen „geburtshilflicher Gewalt“ und gewann. Ihre Kritik am Gesundheitssystem bleibt.

Eine Frau mit großer Kaiserschnittnarbe liegt nackt und hält ein Baby , das auf ihr liegt, an den Händchen

Symbolbild einer Kaiserschnittnarbe mit Wundklammern Foto: Gemma Ferrando/Deepol/plainpicture

taz: Frau Alkorta, Sie haben Spanien vor dem Hochkommissariat für Menschenrechte der UN wegen Gewalt bei der Geburt angeklagt und gewonnen. Was ist vorgefallen?

Nahia Alkorta: Es war bei der Geburt meines ersten Sohnes vor zehn Jahren. Ich hatte mich vorbereitet und dem Krankenhaus in San Sebastián einen Geburtsplan vorgelegt. Damals war das nicht üblich, doch meine Hebamme hatte es mir empfohlen.

36 Jahre alt, lebt in Nordspanien. Vor zehn Jahren bekam sie ihr erstes Kind, mittlerweile ist sie dreifache Mutter.

Wie sah der aus?

Ich verlangte, dass mir und meinem Partner alles, was im Rahmen der Geburt stattfinden würde, erklärt und mit uns abgestimmt werden solle. Und dass mein Partner bei allem dabei ist.

Hielten die Ärzte sich daran?

Nein, das war das Problem. Als die Fruchtblase platzte, ging ich ins Krankenhaus. Sie erklärten mir, dass wir erst einmal 24 Stunden warten, ob die Wehen beginnen und die Geburt ohne Hilfsmittel abläuft. Doch nach 12 Stunden kamen sie, um mir ein Mittel, das Wehen provoziert, zu verabreichen. Ich weigerte mich und verwies auf die versprochenen 24 Stunden. Ich fühlte mich gut und hatte erste Krämpfe. Doch sie ignorierten das und verabreichten mir das Mittel. Das war das erste Mal, dass ich völlig übergangen wurde.

Dann kamen die Wehen?

Sie gaben mir sofort das stärkste Mittel. Die Wehen waren viel schmerzhafter als natürliche Wehen. Das weiß ich heute nach zwei weiteren Geburten. Dennoch kamen dann irgendwann drei Gynäkologen und sagten, dass sie einen Kaiserschnitt vornehmen würden.

Wieso, gab es zu dem Zeitpunkt Komplikationen?

Nein, alle Werte auf den Bildschirmen waren okay. Ich fühlte mich stark genug für eine Geburt und sagte, dass ich keinen Kaiserschnitt wolle. Sie reagierten sehr angespannt und sagten mir, dass ich im Krankenhaus auf die Ärzte zu hören habe. Ich verlangte eine ph-Probe, mit der sich feststellen lässt, ob das Baby genügend mit Sauerstoff versorgt wird. Sie entgegneten, dass die Entscheidung schon getroffen sei.

Sie weigerten sich?

Ich fragte die Hebamme, die die ganze Nacht bei mir geblieben war, was los sei. Sie sah keinerlei Risikofaktoren. Sie untersuchte mich erneut und kam zum Schluss, dass das Baby weiter nach unten gerutscht war seit dem letzten Mal. Sie ging und teilte dies den Ärzten mit.

Vor dem UN-Ausschuss zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau klagte Alkorta wegen „geburtshilflicher Gewalt“ gegen Spanien und bekam Recht vergangenen Juli.

Eine Verletzung der „Autonomie und Fähigkeit von Frauen (…) fundierte Entscheidungen über ihre reproduktive Gesundheit zu treffen“, sieht der Ausschuss in der ohne Zustimmung ausgeführten Einleitung der Wehen sowie dem Kaiserschnitt. Er fordert eine „angemessene Wiedergutmachung für die erlittenen körperlichen und seelischen Gesundheitsschäden.“

Eines der 23 Mitglieder des Ausschusses, Hiroko Akizuki, sagt: „Wenn die Ärzte und Krankenschwestern alle geltenden Standards und Protokolle befolgt hätten, wäre es wahrscheinlich, dass das Opfer auf natürliche Weise geboren hätte, ohne all diese Verfahren durchlaufen zu müssen, die sie körperlich und geistig traumatisiert haben.“

Spanien ist verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um geburtshilfliche Gewalt abzuschaffen. Spanien hat nichts unternommen, obwohl bereits vor zwei Jahren ein ähnliches Urteil wie das im Falle Alkorta erging.

Doch das überzeugte die Ärzte nicht?

Nein, sie bestanden auf den Kaiserschnitt. Ich war völlig erschöpft und bat sie inständig darum, dass sie mir detailliert erklären, was jetzt geschehen würde. Das einzige, was mir einer der drei Ärzte erklärte, war, dass sie mich in den OP bringen würden und in 40 Minuten würden sie das Baby holen. Sie ließen uns ein paar Minuten mit der Hebamme alleine. Diese entschuldigte sich, sie könne nichts weiter tun.

Wie war der Eingriff?

Plötzlich kamen um die zehn Personen und nahmen mich mit. Ich hörte, wie sie meinen Partner anschnauzten, er könne auf keinen Fall mit. Ich konnte mich nicht einmal von ihm verabschieden. Sie sagten mir, dass sich im OP keine zusätzlichen Personen aufhalten dürften. Doch dann kamen plötzlich immer mehr Menschen herein. Sie unterhielten sich, als wäre ich nicht da, über ihren Urlaub und andere persönliche Dinge. Ich weinte, zitterte, ich fühlte mich völlig ausgeliefert.

Ohne Ihre Zustimmung?

Ich hörte während des ganzen Eingriffs Erklärungen, wie im Unterricht. Meine Narbe zeigt ganz deutlich unterschiedliche Arten von Stichen, als hätte jemand verschiedene Techniken vorgeführt, wie eine Wunde genäht werden kann. Ein Kaiserschnitt findet unter Teilnarkose statt. Es wird nur ein Teil der Körpers betäubt. Plötzlich schrie ein Baby. Ich sah eine Frau, die es wegbrachte. Später brachten sie meinen Sohn ganz kurz für einen Kuss zu mir und nahmen ihn wieder mit. Wirklich bekommen habe ich ihn erst vier Stunden später. Bis dahin wusste ich nichts und meinen Partner konnte ich auch nicht anrufen. Am vierten Tag schickten sie mich nach Hause, obwohl ich noch immer geschwächt war. Bis ich mich einigermaßen erholt hatte, vergingen zwei Wochen.

Wann beschlossen Sie, die Klinik zu verklagen?

Das dauerte. Ich war monatelang völlig blockiert. Irgendwann erzählte ich meiner Frauenärztin, was geschehen war. Sie war die erste, die mir sagte, dass dies nicht normal war. Zudem hatte ich im Krankenhaus nichts unterschrieben. Ich begann mich zu informieren und beschloss schließlich, zu klagen.

Wie ging der juristische Weg vonstatten?

Zuerst reichte ich eine Beschwerde im Krankenhaus ein. Sie antworteten nicht. Dann klagte ich vor dem Amtsgericht in San Sebastián.

Wie war das Verfahren?

Beschämend. Als ich den Gerichtssaal betrat, sagte mir der Richter: „Ich habe viele Verwandte, die Ärzte sind.“ Das war der einzige Satz auf baskisch. Das Verfahren an sich war auf spanisch, da weder meine Anwältin noch die von mir berufenen Sachverständigen baskisch sprechen. So begann die Gerichtsverhandlung.

Den Prozess haben Sie allerdings verloren.

Und das, obwohl ich Gutachten hatte, die belegten, das die Behandlung in der Form unnötig war, dass ich nicht zugestimmt hatte und dass ich unter posttraumatischem Stress litt. Der Richter hörte meine Gutachter nicht an, ließ aber ein Gutachten im Auftrag der baskischen Gesundheitsbehörde zu. Darin stand, dass keine Belastungsstörungen vorlagen, von einem Sachverständigen, der mich nie gesehen hatte. Ich verlor. Wir beantragten Berufung. Das Gericht lehnte ab. Wir wollten vor das Verfassungsgericht und wurden auch dort nicht zugelassen. Damit blieb nur noch der Weg zur UN.

Sind Sie die einzige Betroffene?

Meine Anwältin betreut insgesamt vier Frauen. Ich bin die zweite ihrer Mandantinnen, die ein Urteil gegen Spanien erwirkt hat. Zwei weitere Fälle stehen noch aus.

Wie waren die Reaktionen auf das Urteil?

Zwei Tage nach dem Urteil veröffentlichte die baskische Regierung eine Presseerklärung, in der sie alles leugnet und davon spricht, dass wir ein hervorragendes Gesundheitssystem haben. Die Zentralregierung schweigt.

Das Urteil spricht von der „Autonomie der Frau über ihren Körper, um zu entscheiden“ und verlangt, dass Spanien etwas unternimmt, um dies zu gewährleisten. Ist das passiert?

Nein, seit dem ersten Urteil, das schon vor zwei Jahren gefallen ist, ist nichts geschehen. Wir sind keine Einzelfälle. Alleine bei mir haben sich in den ersten vier Tagen nach dem Urteil über hundert Frauen gemeldet, die ähnliche Erfahrungen haben wie ich.

Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe für diese Misshandlung von Frauen während der Geburt?

Im aktuellen Gesundheitssystem ist die Frau kein Subjekt mit Rechten. Das Gesundheitssystem ist ein System, dass sich an dem orientiert, was männliche Patienten brauchen. Hinzu kommt, dass es ein sehr hierarchisches und stark reglementiertes System ist. Eine Hebamme hat nichts mehr zu melden, sobald ein Arzt einschreitet.

Was müsste sich ändern?

Eine Frau, die ein Kind gebärt, ist nicht krank. Das heißt, sie braucht keine strikten Behandlungsprotokolle, sondern Verständnis und jemanden, der sie durch den gesamten Geburtsprozess begleitet. Die Hebammen müssten viel mehr im Vordergrund stehen. Hinzu kommt die Tradition. Sehr wenige stellen in Frage, was in den Kreißsälen passiert. Der Spanische Verband der Gynäkologen und Geburtshelfer leugnet bis heute, dass es sowas wie Gewalt bei der Geburt gibt. Solange niemand den Frauen zuhört, wird sich nichts ändern.

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