Betriebe in Berlin: Wo geht das ganze Wachstum hin?

Die Zahl der Berliner Betriebe wächst, aber viele der neuen Stellen sind prekäre Teilzeit- und Minijobs. Und: Immer weniger bilden aus.

Azubi-Protest für eine gerechtere Ausbildungsvergütung 2018 in Berlin Foto: Christian Mang/imago

Die Berliner Wirtschaft brummt: Die Zahl der Betriebe wächst, die Zahl der Beschäftigten ebenfalls. In Berlin ist der Bedarf an Fachkräften sogar bundesweit am höchsten. Knapp 60 Prozent aller Berliner Betriebe haben mittlerweile gar keine Arbeitsplätze mehr für Ungelernte (bundesweit: 47 Prozent). Entsprechend ist die größte Sorge von hiesigen Arbeitgebern, dass sie frei werdende Stellen aus Fachkräftemangel womöglich nicht besetzen können. All dies ergibt sich aus dem „Betriebspanel Berlin 2018“, das am Montag von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) vorgestellt wurde.

Ihre Schlussfolgerung: Angesichts dieser Ergebnisse „wäre es naheliegend, für den eigenen Nachwuchs zu sorgen“ – sprich: mehr auszubilden. Doch dies geschehe nicht: Nur noch 20 Prozent aller Berliner Betriebe bildeten aus, viele junge Menschen blieben daher unversorgt. „Da ist viel Luft nach oben!“, so die Senatorin.

Das Betriebspanel basiert auf einer bundesweiten Befragung von 15.000 Arbeitgebern, die jährlich vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Arbeitsagentur vorgenommen wird. Die Daten sind repräsentativ für die 2,1 Millionen Betriebe in Deutschland und die inzwischen rund 99.000 in Berlin. Ausgewertet werden die Berliner Zahlen vom Institut für sozialökonomische Strukturanalysen (SÖSTRA).

Wie dessen Projektleiter Marek Frei erklärte, ist das Wirtschaftswachstum in Berlin ein zweischneidiges Schwert. Einerseits steigt die Zahl der Betriebe (seit 2005: 20.000 mehr) sowie die Anzahl der Beschäftigten (seit 2005: 465.000 mehr) – damit liegt Berlin über dem Bundesdurchschnitt. Andererseits: „Mit dem Zuwachs hat auch die Bedeutung von atypischer Beschäftigung zugenommen“, so Frei.

Mehr MinijobberInnen

Immer mehr Jobs sind Teilzeitstellen (mit Sozialversicherung) oder Minijobs (ohne) oder sie sind befristet oder es handelt sich um Leiharbeit. Insgesamt entsprechen rund 41 Prozent der Jobs damit nicht der klassischen, sozialversicherungspflichtigen Vollzeitarbeit, dem sogenannten Normalarbeitsverhältnis. In Berlin nimmt vor allem die Teilzeitarbeit zu, 2018 betraf das 20 Prozent der ArbeitnehmerInnen. In befristeten Jobs waren 13 Prozent angestellt.

Interessant sind die Gründe für Befristungen. So geben 35 Prozent der Betriebe an, damit den neuen Mitarbeiter über die Probezeit hinaus testen zu können (2009: 16 Prozent). Bei 51 Prozent der Befristungen geben die Arbeitgeber gar keinen Grund an. Breitenbach kritisierte dieses Vorgehen und appellierte erneut an die Bundesregierung, die sachgrundlose Befristung zu verbieten. Sie erinnerte daran, dass das Land Berlin als Arbeitgeber auf solche „sachgrundlosen Befristungen“ inzwischen verzichte.

Nicht im Sinne von „guter Arbeit“ ist auch, dass immer weniger Betriebe tarifgebunden sind. Ihr Anteil ist von 23 Prozent in 2005 auf 18 Prozent gesunken, das ist deutlich unter dem Bundesdurchschnitt.

Die Sprecherin der Industrie- und Handelskammer wehrte sich gegen den Vorwurf, die Betriebe bildeten zu wenig aus. „Das Angebot an betrieblichen Ausbildungsstellen hat sich seit 2009 um 60 Prozent erhöht und die Anzahl der unbesetzten Ausbildungsplätze ist seitdem von Jahr zu Jahr gestiegen.“

Solche unbesetzten Lehrstellen fielen aus der Statistik und damit sinke die offizielle Zahl der Ausbildungsbetriebe. „Die Berliner Wirtschaft kann nur dann mehr ausbilden, wenn sie diese Plätze auch mit geeigneten Bewerbern besetzen kann.“ Breitenbachs Konter: „Man kann sich keine neue Menschen bauen.“ Ausbildung sei Sache der Betriebe.

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