piwik no script img

Besuch einer früheren IS-Stadt im Irak„Wir kamen mit weißen Fahnen“

Unser Autor trifft im vom IS befreiten Ort Bartella auf Verzweiflung, aber auch Hoffnung. Hier leben Christen zwischen Sprengfallen und Scharfschützen.

Christliche Soldaten erobern die Stadt zurück – lange hat's gedauert Foto: reuters

BARTELLA/ERBIL/NAWARA taz | Es gibt einen guten Grund, warum in Bartella die Straßenzüge wie leer gefegt scheinen: Die Bewohner des Dorfes sind schon vor zwei Jahren geflohen, als die Dschihadisten des „Islamischen Staates“ das Dorf einnahmen. Erst am Wochenende hat eine Eliteantiterroreinheit den Ort, in dem mehrheitlich christliche Iraker lebten, vom IS wieder zurückerobert.

Allerdings kann im Moment noch keiner der ursprünglichen Bewohner heimkehren. Überall lauern Sprengfallen, die der IS zurückgelassen hat. Und so weisen uns die irakischen Soldaten, die uns begleiten, immer wieder darauf hin, nur auf den vorgegebenen Pfaden zu bleiben, die die Armee bereits geräumt und gesichert hat. „Gehen Sie auf keinen Fall in eines der Häuser“, warnen sie.

Auf manche der Gebäude hat jemand mit Hilfe einer Schablone gepinselt, dass sie eine „Immobilie des Islamischen Staates“ seien – auch im Kalifat herrschte bürokratische Ordnung.

Das Innere eines Internetcafés ist, wie die meiste Läden im Dorf, vollkommen demoliert. „Vom Islamischen Staat beschlagnahmt“ steht an der Tür. Viele der Geschäfte sind ausgeräumt. Beim Schneider hängt noch ein völlig eingestaubtes, eher beiges als weißes Hochzeitskleid. Die Braut hatte wohl nicht mehr die Zeit es abzuholen.

Die Zeichen der Eroberer

Die meisten Häuser sind noch intakt. Nur am Rande des Dorfes gibt es deutliche Zeichen von Kämpfen. Einige der dortigen Häuser, ein Lagerhaus und eine Ladenzeile waren zuvor offensichtlich von der Anti-IS-Koalition aus der Luft bombardiert worden. Die eigentliche Eroberung sei dann recht schnell erfolgt, berichtet der irakische Soldat Rasul Ali.

Er deutet auf etwas, das er an die Wand gepinselt hat: „Das Mossul-Bataillon war hier“ Und dann hat er noch den Tag daneben geschrieben, an dem er in das Dorf eingerückt ist, „21/10/2016“. Es scheint, als ob sich hier alle Eroberer des Ortes zunächst einmal an den Häuserwänden verewigen müssten.

Bei der Rückeroberung habe es wenig Widerstand gegeben, eher heimtückische Fallen, schildert er seinen Einzug in die Stadt: „Wir hatten es mit vielen Autos zu tun, die mit Sprengstoff vollbeladen waren. 21 Stück haben wir entschärft. Wir haben auch viele Sprengfallen gefunden. Einige IS-Leute hatten sich hier verschanzt. Wir haben sie alle getötet.“

Immer an die Befreiung geglaubt

Wie ein Symbol für die Herrschaft des IS über das vornehmlich christliche Dorf wirkt die völlig verwüstete Kirche. Die Außenmauern des Gebäudes, das die IS-Kämpfer offensichtlich benutzt haben, stehen noch. An manchen Wänden hinterließen sie auch dort die übliche schwarz-weiße IS-Signatur.

Der Altar ist ein Schlachtfeld, die elektronische Kirchenorgel liegt zerschmettert am Boden, Scherben sind rund um die Kanzel zerstreut. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wurde mitgenommen.

Wie zum Trotz läuten nun die Kirchenglocken den Tag eins nach der IS-Herrschaft ein.

Am nächsten Tag, eine gute Autostunde von Bartella entfernt in der kurdischen Provinzhauptstadt Erbil: Die Flüchtlingsgemeinde aus Bartella feiert in der „Umm Al-Nour“ – der „Mutter des Lichts“- Kirche – ihren Sonntagsgottesdienst. „Ich kann gar nicht den Glückszustand beschreiben, als ich die Nachricht von der Befreiung unseres Dorfes gehört habe, an die ich immer geglaubt habe“, sagt Majida Thoma.

Sie hat ihr Haus im Fernsehen gesehen

Sie gehört zu jenen, die heute in der Messe Gott für die Befreiung ihres Dorfes gepriesen haben. „Ich habe sogar im Fernsehen schon mein Haus gesehen, das nicht beschädigt wurde“, erzählt sie bewegt. „Es ist das grüne, ganz am Anfang der Straße.“

Auch Vater Saady Jakoub, der Priester der Bartella-Exil-Gemeinde, gibt sich glücklich, obwohl seine Dorfkirche im inneren völlig zerstört ist. Gestern konnte er sie kurz mit der Armee besuchen. Aber, so sagt er: „Unsere Kirche, die ist nicht aus Steinen gebaut.“ Er deutet lächelnd auf seine Gemeindemitglieder: „Das ist unsere Kirche und die lebt.“

Auf die Frage nach den vielen seiner einstigen Gemeindemitglieder, die nach Europa geflüchtet sind und sich dort einen neues Leben aufgebaut haben, antwortetet der Priester: Er sei optimistisch, dass viele von ihnen zurückkommen werden. „In unsrem Dorf sind schließlich unsere Wurzeln, dort sind unsere Vorfahren begraben“, sagt er.

„Wegen der Scharfschützen müssen wir vorsichtig sein“

Weiterfahrt nach Nawara, rund 18 Kilometer nördlich von Mossul, wo die kurdischen Peschmerga gegen den IS kämpfen. Dort erwartet uns Halgord Hikmet, der Sprecher der Peschmerga. „Wir greifen derzeit an drei Achsen an, wir kommen stetig vorwärts“, beschreibt er die Lage. „Aber wegen der Sprengfallen und der Scharfschützen müssen wir sehr vorsichtig vorgehen.“

Wichtig sei auch die amerikanische Luftunterstützung, sagt er und lobt zugleich die sehr gute Zusammenarbeit mit der irakischen Armee, die weiter östlich und südlich operiert. „Noch nie in der irakischen Geschichte, haben sich Kurden und Araber so gut koordiniert, wie jetzt gegen den IS“, meint er. Es wirkt, als hoffe der Peschmerga-Sprecher auf eine Geburtsstunde des neuen Irak – Unkenrufen zum Trotz, die immer wieder warnen, nach der Eroberung Mossuls würden sofort wieder die Differenzen zwischen Kurden und Arabern, und Sunniten und Schiiten ausbrechen.

Immer wieder sind Einschläge zu sehen und zu hören, wenn die Kampfjets der Anti-IS-Front Orte bombardieren, in denen sie IS-Stellungen vermuten. Vielleicht fünf, sechs Kilometer entfernt schlagen die Raketen ein. Die Dörfer direkt vor uns gelten zwar als sicher, aber hier sollte man nur mit einem Militärfahrzeug weiterfahren, das mit einem Chip ausgerüstet ist, den die Kampfjets als „freundliches Fahrzeug“ erkennen. Selbst das bietet keinen Schutz.

Im Dorf direkt vor uns geht eine Sprengfalle hoch, die der IS hinterlassen hat, nicht weit von einem Haus, auf dem die Peschmerga die kurdische Fahne gehisst haben.

Die Lage an der Front ist unübersichtlich

Eigentlich war am Tag zuvor ausgemacht, dass wir die kurdischen Kämpfer zu einem anderen eroberten Dorf, nur zwei Kilometer entfernt, begleiten können. Aber vor ein paar Stunden hatte sich dort ein in einem Tunnel versteckter IS-Kämpfer vor einer Gruppe von Peschmergas in die Luft gejagt. Sechs von ihnen, fünf Mitglieder einer Familie kamen dabei ums Leben.

Die Reise ins „befreite Dorf“ wurde abgesagt, vielleicht symptomatisch für die unübersichtliche Lage an der Front. Ein paar Kilometer die Straße Richtung friedlicheren Norden, befindet sich das Nargazliya Aufnahme- und Registrierungslager für jene meist sunnitische Zivilbevölkerung, die in den Dörfern verblieben waren und die jetzt aus den Fängen des IS fliehen konnten.

An diesem Tag sind die ersten 80 angekommen, aus dem Dorf Dayraga. Das neue Leben beginnt mit einer ärztlichen Untersuchung. Müde und erschöpft sitzen die Frauen und Kinder auf dem Boden in einem der großen Zelte und warten geduldig auf ihr weiteres Schicksal.

Bestraft wurde, wer nicht in die Moschee ging

Die Peschmerga haben die Männer von ihren Familien getrennt, ihr Geheimdienst befragt sie – und verbietet uns, mit den Flüchtlingen zu diesem Zeitpunkt Kontakt aufzunehmen. Man wolle sichergehen, dass sich auf diesem Wege keine IS-Kämpfer einschleichen, begründete das Militär das erste Abschirmen der sunnitischen Flüchtlinge.

Mit einem der Männer ergibt sich dennoch ein kurzes Gespräch. „Die IS-Kämpfer haben sich mitten zwischen unsere Häuser gestellt und haben auf die Peschmerga geschossen“, berichtet er. Die Peschmerga hätten das Dorf daraufhin mit Granaten angegriffen. „Das war von gestern früh bis heute morgen. Dann schwächte das ganze ab, weil die IS-Kämpfer nacheinander gefallen sind. Dann sind wir mit weißen Fahnen aus den Häusern gekommen und die Peschmerga haben uns empfangen“, erzählt Salah Ibrahim, der nur mit seiner Familie und dem was er anhat, einem mit Flecken übersäten Beinkleid, hier angekommen ist.

Das Leben im sogenannten Islamischen Staat sei furchtbar gewesen, erzählt er. Die Frauen mussten sich vollverschleiern. Die Schule war geschlossen. „Wir haben so vor uns hinvegetiert. Wir durften nichts haben, kein Handy, keinen Fernseher. Es war verboten sich zu rasieren. Und du wurdest gezwungen in die Moschee zu gehen. Wenn du nicht beten gingst, musstest du umgerechnet 40 Euro zahlen oder du wurdest ausgepeitscht“, sagt er.

Dann wird unser Gespräch unterbrochen, ein Peschmerga-Offizier schickt die Journalisten weg. Die Neuankömmlinge sollen noch heute in ein anderes Lager gebracht werden, sagt er noch.

Für den Sunniten Salah und seine Familie beginnt ihr erster Tag außerhalb der IS Herrschaft – ein neues ungewisses Leben, in irgendeinem Zeltlager, das die kurdische Regierung und das UN-Flüchtlingswerk in den letzten Wochen aufgebaut haben. Wie lange die Mosul-Offensive andauern wird und wann die Vertriebenen in ihre Dörfer zurückkehren können, das kann derzeit niemand sagen. Nach dem Leben in der Hölle des IS-Kalifats, beginnt für sie nun das Leben in der Ungewissheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.