Besser mit Brille

Schlüsselbegriff Immersion: Die Ausstellung und Konferenz „Into Worlds“ im Martin-Gropius-Bau

Von Lorina Speder

Der Begriff der „Immersion“ war zentral für die Diskussionen um „Virtual Reality“ in den frühen neunziger Jahren. Im digitalen Netz lässt sich leicht in andere Welten eintauchen. Weil uns Immersion auch in Zukunft beschäftigen wird, betrachten WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen den Begriff in der Konferenz und Ausstellung „Into Worlds“ im Martin-Gropius-Bau an diesem Wochenende.

Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, erklärt die drei Programmschwerpunkte: Laut dem US-Soziologen Richard Sennett – er wird in Berlin anwesend sein – beschreibt immersive Entgrenzung das Einswerden mit Handwerk oder Instrument. In der „10.000-Stunden-Theorie“ wird die nahtlose Inkorporierung handwerklicher Körpertechniken in den eigenen Charakter beschrieben. Eine andere Form von Immersion geschieht meditativ, wie in Trance, die durch den Fokus auf das Seelenleben Verbindungen zur Umwelt kappt. Als dritter Schwerpunkt beschäftige sich „Into Worlds“ mit Immersion durch neue Medien, sagt Oberender.

Die Überwältigung der Sinneswahrnehmungen ermöglicht das Agieren in einer wie bei der Virtual Reality digital konstruierten Welt. Dazu finden Besucher im Gropius-Bau Installationen, die zwar nicht immer Verschmelzung mit anderen Welten ermöglichen, aber doch Erfahrungen zulassen, die das Potenzial von Virtual Reality erahnen lassen. In Jon Rafmans Video „Poor Magic“ sind etwa Avatare zu sehen. Rafman bildet dabei die Albtraumvision ab, in der das Technologische wie im Sci-Fi-Film „Matrix“ absolut ist.

Einen Raum weiter lässt sich mittels VR-Brille in eine ungewohnte Umgebung eintauchen. Die Isländerin Björk konzipierte ihren Song „Notget“ aus dem Album „Vulnicura“ (2017) als VR-Experience-Video. Die Fassung auf YouTube liefert einen falschen Eindruck, statt Immersion sieht das Video in 2D eher nach unterkomplexem Computerspiel aus. Hat man die VR-Brille jedoch auf, wird Björks Ansatz deutlich. Am Meeresgrund blickt man auf die kniende Sängerin. Sie leuchtet als durchlässiges Venengerüst im Wasser.

Unter Wasser

Über sechs Minuten transformiert sich die Unterwasserwelt zum grenzenlosen Lichtraum. Die immer größer werdende und rhythmisch marschierende Künstlerin kommt dicht an die BetrachterInnen heran, sodass man ihre mit Licht durchpulsten Körperlinien genau studieren kann. Im Finale von „Notget“ stieben Feuerwerkskörper aus ihren Fühlern. Björk schwebt inzwischen über allem, befreit von ihrer anfänglichen düsteren Trauer, die sie im Text besingt.

Nimmt man die Brille ab, braucht es tatsächlich einige Sekunden, um sich an die neue, alte Umgebung zu gewöhnen. Zweifel und Fragen danach, wie diese Technologie zukünftig von der werbetreibenden Wirtschaft adaptiert werden könnte, vergisst man nach diesem immersiven Erlebnis. Als Avatar war man alleine unterwegs und nicht durch fragwürdige Algorithmen, die die sozialen Netzwerke inzwischen in eine Blase verwandeln, beeinflusst. Die VR-Intensität und gefühlsmäßige Einsicht durch „Notget“ bleiben unvergleichlich. Thomas Oberender sieht Positives in der Immersion: Sie kann uns auch als Schlüssel dienen, die Dinge besser oder anders zu verstehen.

„Into Worlds. Das Handwerk der Entgrenzung“ von heute bis Sonntag im Martin-Gropius-Bau, Lichthof