Bespitzelung der Türkei wohl bestätigt: Regierung räumt Spionage ein
Seit 2009 ist die Türkei im „Auftragsprofil“ des Bundesnachrichtendienstes, berichten Medien. Die Regierung rechtfertigt das Ausspähen der Türkei .
BERLIN dpa | Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll seit Jahren den Nato-Bündnispartner Türkei überwachen. Regierungskreise bestätigten der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, dass das Land seit langem als offizielles Aufklärungsziel geführt werde. Was dort geschehe, habe unmittelbare Bedeutung für die innere Sicherheit Deutschlands, hieß es zur Begründung. Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschuss, Patrick Sensburg, betonte, wie wichtig Aufklärung gerade im Grenzgebiet zum Irak sei.
Der BND soll nach Informationen des Spiegels zudem mindestens ein Gespräch von US-Außenminister John Kerry abgehört haben. Dieses soll 2013 als „Beifang“ im Überwachungsnetz gelandet sein, das der Dienst über den Nahen Osten gespannt hat - ähnlich wie 2012 ein Telefonat von Kerrys Vorgängerin Hillary Clinton. Die Opposition wirft der Regierung nun Heuchelei in der Debatte um Massenüberwachung der NSA vor.
Der BND wollte sich nicht zu den Berichten äußern. Auch von der Bundesregierung war am Wochenende keine offizielle Stellungnahme zu erhalten. Laut Spiegel wird die Türkei bereits seit 2009 im „Auftragsprofil“ der Bundesregierung für den Geheimdienst geführt, das bis heute gültig sei.
Die FAS berichtete, Regierungskreise rechtfertigten dies mit einer ganzen Reihe von Gründen. Diese reichten von den Aktivitäten der kurdischen PKK oder extremistischer türkischer Gruppen in Deutschland über Drogenschmuggel bis zur Schleuserkriminalität. Auch sei bekannt, dass die Regierung in Ankara versuche, politische Ziele über türkische Vereine und Verbände in Deutschland durchzusetzen.
Doppelagent war involviert
Der CDU-Innenpolitiker Sensburg wies den Vorwurf deutscher Spionage gegen Verbündete zurück, bezeichnete es aber als unerlässlich, dass der BND Informationen in Krisengebieten sammele. Mit Blick auf die Türkei betonte er, wie wichtig es sei, für politische Entscheidungen eine verlässliche Grundlage zu haben. „Da würde ich gerne auf die eigenen nachrichtendienstliche Erkenntnisse zurückgreifen“, sagte Sensburg. Die Bundesregierung müsse nun dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages erklären, was vor sich gehe.
Über die Abhöraktion gegen Clinton hatten als erstes die Süddeutsche Zeitung sowie die Sender NDR und WDR berichtet. Laut Spiegel hatte Clinton 2012 während eines Fluges über Satellitentelefon mit dem früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan gesprochen. Das Telefonat sei im Zuge einer Operation gegen Terrorverdächtige als "Beifang" ins Raster des BND geraten.
Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wurde die Abschrift des Telefonats im BND erst aufmerksam gelesen, bevor - wie in solchen Fällen üblich - die Vernichtung der Mitschrift angeordnet wurde. Den Auftrag dazu habe ausgerechnet der Mitarbeiter bekommen, der im Juli als mutmaßlicher Agent im Dienst des amerikanischen Geheimdienstes CIA verhaftet wurde. Eine Kopie der Abschrift soll sich unter den 218 Dokumenten befinden, die der Mann den USA geliefert haben soll.
Die USA haben den Berichten zufolge bereits damit begonnen, die Informationen im Streit über US-Spionageaktionen in Deutschland zu nutzen. Das abgehörte Clinton-Telefonat nähmen sie als Beleg dafür, dass auch die Deutschen die USA ausspioniert haben.
Gregor Gysi ist empört
Die Opposition reagierte empört. „Die Welt der Geheimdienste hat offenbar einen schweren Knall“, sagte Linksfraktionschef Gregor Gysi. „Die Geheimdienste sind offenbar außerhalb jeder Kontrolle.“
Die Grünen forderten rückhaltlose Aufklärung. „Es ist unfassbar, dass wir erst nach über einem Jahr intensiver Diskussion über die NSA-Affäre erfahren, dass auch unsere eigenen Nachrichtendienste aktives Ausspähen verbündeter Staaten betreiben“, sagte Grünen-Chefin Simone Peter. Ihr Parteifreund Konstantin von Notz verlangte, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse jetzt umgehend erklären, seit wann sie Kenntnis von den Vorgängen hatte.
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