Besonderes aus der Bundesstadt: Tütenweise Zaster für Bonn
Über die Bundesmeile in Bonn ist Gras gewachsen. An anderer Stelle entstehen derweil Luftschlösser oder Seilbahnen – ein Rundgang.
Ich stand auf dem Bonner Marktplatz, als Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth mit tränenerstickter Stimme das Ergebnis von einer Leinwand tremolierte. Wir Eingeborenen quittierten das Votum mit erleichtertem Grunzen. Endlich konnte Bonn, vom Kölner Adenauer ins Rampenlicht gezwungen, zur Ruhe finden.
Lediglich die politische Klasse hatte den Umzug zu fürchten. Neben mir rammte sich ein Regierungsobersekretär eine Bratwurst in den Wanst, ein Hauptamtsgehilfe stürzte sich in sein Bier. Bald stellte sich heraus, dass nur die ministeriale Spitze an die Spree ziehen musste, die Verwaltung blieb breitärschig zwischen Plittersdorf und Hardthöhe sitzen. Für Politiker, die nicht nach Berlin ausgewildert werden konnten, wurden würdige Anschlussverwendungen gefunden: Sozialminister Norbert Blüm saß halbtags beim Rewe an der Kasse, Hans-Dietrich Genscher verdingte sich als Nikolaus.
Bald wuchs Gras über die „Bundesmeile“, wie das Regierungsviertelchen in grotesker Überschätzung seiner Ausdehnung genannt wurde. Doch 1994 trat aus heiterem Himmel das Berlin/Bonn-Gesetz in Kraft. Zum Ausgleich für den kapitalen Verlust wurde unser Städtchen mit Fantasiebehörden wie dem UN-Fledermausreferat oder dem Bundeskartellamt übersät, vor allem aber mit Kompensationszahlungen geflutet.
Jeder nach Berlin abgängige Beamte wurde in Gold aufgewogen, die Krokodilstränen der Bonner versilbert. Wir bauten von den Zuwendungen eine Kolossalstatue unseres Musikmaskottchens Beethoven, die breitbeinig den Rhein überspannte, mauerten den Ausflugshügel Drachenfels zum Achttausender auf und ließen Haribo echte Goldbären herstellen, doch täglich landeten neue Bimbeskähne am Rheinufer an.
Noch mehr Groschengräber
In ihrer Not fördert die Stadtregierung sogar Kultur. Zwischenzeitlich betrieb die Bonn zwei Dutzend Opernhäuser, davon einige am Amazonas. Immer neue Groschengräber wurden errichtet, doch bald ging man dazu über, den Zaster in Plastiktüten vors Rathaus zu stellen. Die „spätrheinische Dekadenz“, die das stets missverstandene Bonner Original Guido Westerwelle so gefürchtet hatte, hielt unter den Bürgern Einzug.
Auch ich ließ mich zu erwähnten Kostspieligkeiten hinreißen. Die politische Lage wurde unübersichtlich. Zuletzt wählten die Bonner ein goldenes Kalb und dann Bärbel Dieckmann (SPD) zur Oberbürgermeisterin – ein Glücksfall. Unter ihrer Führung konnte durch geniale Fehlplanung des Konferenzzentrums WCCB ein Schuldenberg aufgetürmt werden, den man vom Weltraum aus sehen konnte.
Erst dieser finanzielle Befreiungsschlag löste den Bann: Den Beethoven-Koloss holte der Gerichtsvollzieher, die Opernhäuser forderte der Dschungel zurück. Bald konnten sich die Bürger eines normalen kommunalen Haushalts erfreuen: Schwimmbäder wurden geschlossen, in die Schulen regnete es hinein. Für ein paar Jahre zog wohlverdiente Friedhofsruhe ein.
Doch schon unter Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan dem Prächtigen (CDU) erwachte alter Opulenzdrang. Fast im Alleingang brachte der Finanzfuchs 37 Millionen Euro Bundesmittel zur Verpuffung. Mit dem Geld sollte Bonn zur ökologischen „Lead City“ ausgebaut werden. Nach einem Jahr war die Kohle futsch, Busse und Bahnen aber ebenso teuer und geschickt auf Lücke getaktet wie zuvor.
Neurotisches Profil
Mittlerweile hat sich die Bundesstadt eine eigene Profilneurose zugelegt. Trotz gegenteiliger Beweise auf dem Stadtplan glaubt man an die eigene Größe. Um im Corona-Battle nicht gegen Berlin abzustinken, rekrutierte Bonn den blutjungen Virenforscher Hendrik Streeck, den ein ungnädiges Schicksal an die dortige Universität verschlagen hatte.
Mit Landesmitteln aus Düsseldorf und einer PR-Agentur wurde der Wissenschaftler zum Gegendrosten aufgebaut. Wo der dunkel gelockte Virenzar aus dem Osten düster in seinen Podcast raunen durfte, musste der blonde Covidflüsterer aus Bonn silberzüngig Entwarnung geben.
Doch erst die 2020 ins Amt gewählte OB Katja Dörner knüpfte an die pharaonische Bautradition der Stadt an. Die Idee, einen 166 Meter hohen, mit riesigen Strass-Klunkern behängten Turm in die Rheinaue zu klotzen, verfolgte schon ein privater Investor und Lokalmogul, aber auch der Nahverkehr bot ein schönes Betätigungsfeld für eine grüne Bürgermeisterin.
Letztlich konnte sich eine Kabinenseilbahn, auf Stelzen über den Rhein und durch das Stadtgebiet geführt, gegen ähnlich exaltierte Transportkonzepte wie ein Personenkatapult oder ÖPNV-Unterseeboote durchsetzen. Fördermittel des Bundes sollen bereits fließen, schon wurden erste Plastiktüten vor dem Rathaus gesichtet. Es wird wohl Zeit, mich nach einer Hazienda umzuschauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft