piwik no script img

BeschneidungenKleiner Schnips nicht auf Kasse

Jüdische Gemeinde und Muslime reagieren mit geteiltem Echo auf die Richtlinie von Ärzten gegen Wunsch-Beschneidungen auf Kosten der Krankenkassen.

Die "Heilige Vorhaut" wurde als Reliquie verehrt - sie blieb bei der Himmelfahrt unten: Bild aus der Jakobskirche in Rothenburg ob der Tauber

Gemischte Reaktionen löst die Erklärung gegen Wunsch-Beschneidungen auf Kosten der Krankenkassen aus, die Bremer Kassenärzte erlassen haben. Eine "ideologisierte Kampagne" sieht die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Elvira Noa darin. Der muslimische Dachverband Schura Bremen hingegen begrüßt den gemeinsamen Vorstoß von Kassenärztlicher Vereinigung (KV) und den Landesverbänden der Urologen, Kinderärzte und -chirurgen in Bremen.

Krankenkassen zahlen Beschneidungen nur, wenn sie medizinisch notwendig sind, etwa bei Vorhautverengungen oder wiederkehrenden Harnwegsentzündungen. Eltern, die ihre Söhne aus kulturellen oder religiösen Gründen beschneiden lassen wollen, müssen die Kosten von rund 350 Euro selbst tragen.

66 Beschneidungen wurden in Bremen 2009 bei den Kassen abgerechnet. Laut KV häuft sich der Verdacht, dass Ärzte die Eingriffe aus Gefälligkeit, also ohne medizinische Notwendigkeit, durchführen und den Kassen in Rechnung stellen. Dagegen sprechen sich die Ärzteverbände nun in ihrer Richtlinie aus. Eltern werden mit Flyern auf deutsch, türkisch, arabisch und serbo-kroatisch informiert. Bislang hätten die häufig wenig Verständnis für die Rechtslage und setzten Ärzte unter Druck.

Für diese Fälle hätten die Ärzte nun "etwas in der Hand", sagt Geerd Loock vom Vorstand des Landesverband der Urologen. Denn die bewegten sich bei Beschneidungen im Kindsalter in einer "Grauzone": Er selbst halte kulturelle Beschneidungen zwar für "juristisch und moralisch problemlos - so lange sie nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft geht". Doch unter Ärzten, so Loock, sei die Frage umstritten, ob Eltern den Eingriff für ein Kleinkind überhaupt bestimmen dürfen. Allerdings bestehe das Risiko, dass Eltern nicht-ärztliche Beschneider aufsuchen, wenn Ärzte sie ablehnen. "Wir Ärzte erfahren davon erst, wenn die Kinder mit Komplikationen zu uns kommen", so Loock.

Ausschließlich ärztlich und rabbinisch ausgebildete Fachleute engagiere die Jüdische Gemeinde für Beschneidungen, erklärt hingegen die Vorsitzende Noa. Für sie ist die Kampagne der Ärzte vielmehr "ideologisch gefärbt". Sie richte sich gegen religiöse und kulturelle Eigenheiten von Juden und Muslimen.

"Dass Beschneidungen auch positive Wirkungen auf die Gesundheitsvorsorge haben, wird bei der Debatte nicht beachtet", sagt Noa. Und verweist etwa auf Studien, nach denen Sexualpartnerinnen von beschnittenen Männern ein geringeres Risiko haben, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken.

Auch der Schura-Vorsitzende Mustafa Yavuz glaubt nicht an die Kurpfuscher-These. "Eltern haben bei Beschneidungen die religiöse Verantwortung, dass sie von geeigneten Personen gemacht werden", erklärt er. "Das zeigt sich ja schon, wenn sie sich damit zunächst an den Kinderarzt wenden".

Dennoch: Es gebe ein Informationsdefizit bei den Eltern, wenn es um die Kostenübernahme durch die Kassen gehe. "Das ist ein religiöser Akt", sagt Yavuz, "es sollte selbstverständlich sein, dass Eltern den selbst bezahlen". Um das an die Eltern heranzutragen, sei die Info-Kampagne der Ärzte "ein guter Anfang".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • MG
    Matthias Glatz

    Religion ist Privatsache. Alle Kosten die sich aus einer religiösen Einstellung ergeben, sind vom Vertreter dieser Einstellung zu begleichen. Schlimm genug, dass der Staat hier in D die Kirchensteuer eintreibt. Staat und Religion müssen getrennt sein!

  • V
    vantast

    Sowas sollte man nicht noch unterstützen durch Übernahme der Kosten. Das Glied abzuschneiden und Kinder im Reagenzglas zu zeugen sollte bei uns nicht akzeptiert werden.

  • P
    Piet

    Genitalverstümmelung an Jungen - und darum handelt es sich hier - sind für Frau Havlicek also nur ein "kleiner Schnips"?

     

    Die Taz misst hier mit zweierlei Maß.