Berlusconi vor dem Comeback: Der Schmeichler und der Therapeut
Silvio Berlusconis Chancen stehen gut, nach der Wahl am Sonntag Italien wieder zu regieren. Gegner des eitlen Medienmoguls ist Walter Veltroni, der Wahlkampf mit Versöhnung macht.
NEAPEL/CASERTA taz Er ist jetzt ganz in seinem Element. Als wäre er einer der Stars aus den Fernsehshows seiner Sender, kommt Silvio Berlusconi auf die Bühne, das Haar ist pechschwarz gefärbt, die Haut braun geschminkt, er trägt einen lässigen dunklen Pullover unter dem Zweireiher, er winkt und lächelt seine 71 Jahre munter weg. Er hat allen Grund dazu, denn er ist eh der Favorit im laufenden Wahlkampf, und hier in Neapel hat er als Oppositionsführer leichtes Spiel. Neapel ist die Stadt der italienischen Müllkatastrophe, seit neuestem auch noch die Stadt des dioxinverseuchten Mozzarella, kurzum: die Stadt des Desasters.
Die tausenden Fans auf der Piazza del Plebiscito sind begeistert, als der Mann endlich kommt, der sie von Prodi und vom Müll erlösen soll. Sie schwenken die Fahnen des Popolo della Libertà, des Volks der Freiheit, wie Berlusconis Wahlbündnis diesmal heißt. Sie singen Spottgesänge auf Antonio Bassolino, den linken Gouverneur der Region, der für alle hier der böse Bube der Müllkatastrophe ist. Einer Katastrophe, die in diesen Tagen vor der Wahl zum Sinnbild wird für ein Land, das seine Probleme nicht mehr in den Griff bekommt, für eine Politik, die selbst elementare Aufgaben nicht mehr bewältigt.
"Prodi hat nur Unheil über unser Land gebracht in den letzten zwei Jahren", ereifert sich ein junger Mann mit Designerbrille, der in der ersten Reihe steht. Sein Betrieb produziert Verpackungsmaterial für die Lebensmittelindustrie, den Umsatzeinbruch beim Mozzarella spürt er. Für ihn ist allein Romano Prodi mit seinen "Linken" schuld am Dioxin im Käse: "Es reicht mit der Steuerdiktatur der Roten!"
Berlusconi weiß, was seine Anhänger erwarten, er barmt erst mal kräftig darüber, wie die anderen dieses "wunderschöne Neapel" zugrunde gerichtet hätten. Doch irgendwie hält die Begeisterung nicht an. So laut die Piazza zum Auftakt war, so heftig das Meer der Fahnen wehte - die Menschen spüren, dass der da vorne sein Pflichtprogramm bietet, nicht die Kür. Vielleicht haben sie seine Sprüche auch einfach oft genug gehört, es ist schließlich Berlusconis fünfter Wahlkampf.
Klar, er rechnet mit den "Comunisti" ab, die hätten sich nie geändert, auch wenn sie sich heute brav als "Partito Democratico" präsentierten. Die Leute hier aber interessiert anderes: sein Versprechen, die Grundsteuer ersatzlos zu streichen, erst recht Berlusconis Ansage, sein Kabinett werde nach den Wahlen so lange in Neapel tagen, bis der Müllnotstand behoben ist. Früher ereiferte er sich in Wahlreden über Stalin, den Gulag, die Millionen Toten in Kambodscha, wenn er von dem kreuzbraven Katholiken Prodi sprach. Zum 52-jährigen Walter Veltroni aber weiß er nur zu sagen, der sei ein "Meister der Fiktion" und nach 40 Jahren im Geschäft politikmüde.
Man wird das Gefühl nicht los, Berlusconi sagt das alles, weil er glaubt, es seinem Publikum schuldig zu sein - dass er aber entschieden hat, dem Gegner diesmal nicht allzu wehzutun. Und auch wenn er wie immer diverse Wohltaten, Rentenerhöhungen, Steuersenkungen und Bonuszahlungen für Babys verspricht, rutscht ihm doch, ziemlich absichtsvoll, eine Formulierung heraus, die es in seinen Wahlkämpfen bisher noch nie gegeben hat: "Harte und unpopuläre Entscheidungen" werde seine künftige Regierung treffen müssen, um Italien wieder in Ordnung zu bringen.
Ersatzlos gestrichen hingegen ist das Versprechen aus allen seinen vorherigen Kampagnen: ein "neues italienisches Wunder". Nur noch "Rialzati Italia", "Steh wieder auf, Italien", fordert Berlusconis Wahlslogan. Ein Spruch, der sich an ein Land in tiefer Depression wendet, an ein Land, das den Glauben an Wunder verloren hat, das schon froh wäre, wenn die Wirtschaft, wenn die Einkommen wieder bescheiden wachsen würden. Diese Wende verspricht Berlusconi denn auch in Neapel. Wie er sie angehen will, sagt er nicht.
Wunder hat auch sein Gegner, Walter Veltroni von der Demokratischen Partei, nicht im Programm - es sei denn, er gewinnt doch noch die Wahl. Dafür versucht er sich als energisch-sanfter Therapeut an der verwundeten Seele der Italiener, vor allem an der der eigenen, vom Scheitern der Prodi-Regierung bitter enttäuschten Wählerschaft. Nur 30 Kilometer entfernt von Neapel bremst sein grünlackierter Wahlkampfbus vor einer Villa. Das Haus ist umzäunt von mächtigen Holzpalisaden, drei Meter hoch, gespickt mit Stahlspitzen. Drinnen wird klar, warum der Kandidat der Demokratischen Partei diese kleine Festung für seinen Wahlkampftermin ausgesucht hat. Hier herrscht Idylle: An den cremefarbenen Wänden prangen fröhliche, von Kindern gemalte Regenbögen, bunte Blumen und weiße Wölkchen. Hier ist Veltronis Welt. Entspannt bittet der Kandidat die Hauseltern an seine Seite, die etwas pummelige Fortuna und ihren Mann, dann spricht er erst mal gar nicht selbst, sondern lässt die Gastgeber reden.
Die beiden betreuen hier, in einer Villa der besonderen Art, vier eigene und sechs Pflegekinder. Früher hauste hier ein Camorra-Boss, bis der Staat seine Residenz beschlagnahmte und sie zum Kinderheim machte. Väterlich lächelt Veltroni zu der einen Kopf kleineren Fortuna herunter, sie revanchiert sich und spricht ihn mit "Presidente" an. Das ist der frühere Bürgermeister Roms zwar gar nicht, doch präsidial wirkt sein Auftritt schon. Freundlich lobt er den Einsatz des tief katholischen Paares, spricht davon, wie hier "ein Ort des Todes", die Villa eines 99-fachen Mörders, "in einen Ort des Lebens verwandelt" wurde. So stellt er sich sein "anderes Italien" vor. Anschließend geißelt er die Camorra und kündigt an, sie genauso wie die sizilianische Cosa Nostra und die kalabresische Ndrangheta "endlich zu vernichten".
Drei Dutzend Journalisten und handverlesene Fans hören ihm zu - aber das ist zweitrangig. Bei dieser Inszenierung zeigt Veltroni wieder einmal, dass niemand in der italienischen Politik sich so mühelos als buonista, als Gutmensch ins rechte Licht zu rücken weiß wie er.
Wenig später steht der Kandidat auf der Piazza der Provinzhauptstadt Caserta, einige tausend Zuhörer drängen sich im Nieselregen vor dem Podium. Die Szenerie ist nüchtern, nur wenige grüne Fahnen der erst im Herbst gegründeten Partito Democratico wehen. Zum Auftakt berichtet Veltroni von seinem Besuch im Kinderheim, von dieser "esperienza bellissima", dieser wundervollen Erfahrung. Nein, er hat erkennbar keine Lust, Abbitte zu leisten für das Versagen der Regierung Prodi bei der Müllkatastrophe. Er redet, als habe er die ganze Zeit in der Opposition gesessen. "Alle tragen Verantwortung", sagt Veltroni, "auch die Rechte war über Jahre an der Regierung. Die Hauptverantwortung aber liegt in der Kultur des Landes. Bei uns werden alle Probleme aufgeschoben, statt sie zu lösen". Die Zuhörer nicken, der Applaus aber bleibt verhalten.
Veltroni ist das recht - er setzt nicht auf aggressive Stimmungsmache. Im Gegenteil, er denke gar nicht daran, sagt er, seinen Gegner zu verunglimpfen. Jetzt brandet doch Beifall auf. Nur ein älterer Herr in der ersten Reihe murrt, ein bisschen schärfer könne die Gangart im Wahlkampf "gegen den da" schon sein. Nicht mit Veltroni. Der redet lieber von seinen "wundervollen Erfahrungen", die ihm sein Wahlkampfstab organisiert. Gestern zum Beispiel sei er bei sardischen Bergmännern gewesen. "Die stehen jeden Morgen um halb fünf auf, die haben Grund, sich zu beklagen." Das geht gegen Berlusconi, der hatte nämlich kokett erklärt, er werde jetzt wohl wieder "das Kreuz tragen" müssen und Italiens Regierung übernehmen.
Knapp verdammt Veltroni das "alte Italien, das im Zank gefangen war und dabei stillstand, während die anderen Länder vorankamen". Zu neuen Ufern will er, zu seinem "neuen Italien", in dem endlich kraftvoll regiert, modernisiert, reformiert werden soll. Energisch trägt er seinen Text vor - was exakt er vorhat, behält er aber für sich.
"Ja, wir schaffen das" - "si può fare" -, mit Barrack Obamas Slogan beendet er seine Rede, die Nationalhymne dröhnt aus den Lautsprechern, außer Veltroni singen nur ein paar Rentner mit. Schon ist der Kandidat wieder im Bus. Als er sieht, dass ihm draußen Fans zuwinken, knipst er ein warmes, echt wirkendes Lächeln an. Sein Widersacher Berlusconi würde das nie und nimmer hinbekommen. "Wir können es wirklich schaffen", ruft eine junge Frau ihm nach.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus