Berlins designierter FDP-Chef Christoph Meyer: "Mit den Grünen, das wäre spannend"
Öffentlich geförderte Jobs will Christoph Meyer abschaffen. Und bei Minilöhnen nur einschreiten, wenn sie sittenwidrig sind. Am Freitag kandidiert er als Landeschef der Liberalen. Ab 2011 will er in Berlin mitregieren.
taz: Herr Meyer, Sie betonen bei jeder möglichen Gelegenheit das Prinzip Leistung. Was ist das denn genau für Sie?
Christoph Meyer: Das Leistungsprinzip heißt für mich, dass wir in der Politik stärker darauf achten müssen, dass diejenigen, die Leistung bringen können, auch die Möglichkeit dazu bekommen.
Der 34-jährige Anwalt sitzt schon seit 2002 für die FDP im Abgeordnetenhaus. Vor einem Jahr übernahm er den Fraktionsvorsitz von Martin Lindner, der im Herbst in den Bundestag einzog. Beim Parteitag will Meyer auch Landesvorsitzender werden. Gegenkandidaten gibt es nicht.
Das fünfte Rad am Wagen: Die FDP ist die kleinste Fraktion im Abgeordnetenhaus. Seit ihr Mitglied Rainer-Michael Lehmann am 9. März zur SPD wechselte, stellt die FDP nur noch 12 Abgeordnete.
Das Stimmungstief: Anfang März attestierte das Meinungsforschungsinstitut Forsa der Berliner FDP nur noch 6 Prozent, vor einem Jahr lag sie bei 14 Prozent. Im Februar kam sie gar nur auf 5 Prozent. Der Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus bei der Wahl im Herbst 2011 ist somit keineswegs sicher.
Der Führungswechsel: Lange Jahre war die Berliner FDP von einem Machtkampf zwischen dem bisherigen Vorsitzenden Markus Löning und dem einstigen Fraktionschef Martin Lindner geprägt. Nun sitzt Lindner im Bundestag, Löning soll neuer Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung werden. Am Landesvorsitz sind beide nicht mehr interessiert. Beim Parteitag, der am Freitagabend beginnt, ist Meyer der einzige Kandidat.
Dann dürften Sie am heutigen Freitag nicht Parteichef werden. Als Sie im März 2009 zum Fraktionschef gewählt wurden, lag die FDP laut Umfragen in Berlin noch bei 14 Prozent, ein Jahr später ist sie auf 6 Prozent abgesackt. Diese Bilanz schreit nicht nach einem Bonus.
Das stimmt natürlich so nicht ganz. Bei der Europa- und der Bundestagswahl haben wir ganz hervorragende Ergebnisse eingefahren. Ich kann nicht feststellen, dass die Abgeordnetenhausfraktion einen schlechten Trend in den Meinungsumfragen zu verantworten hat. Im Gegenteil, wenn man die Entwicklung auf Landes- und Bundesebene vergleicht, lagen wir Anfang 2009 3 Prozentpunkte hinter der Bundes-FDP zurück. In jüngsten Umfragen haben wir diesen Rückstand eingeebnet.
Auf niedrigstem Niveau.
Wir sind jetzt in der Situation, dass die Bürger die FDP in Berlin und im Bund gleich bewerten - und das ist ein Indiz dafür, dass wir eine gute Politik machen.
Die Wähler bewerten Sie gleich schlecht.
Das ist Ihre Sichtweise.
Es fällt bloß auf, dass Exfraktionschef Martin Lindner, das bekannteste Gesicht der Berliner FDP und jetzt im Bundestag, angesichts dieser Lage keine Lust auf den Landesvorsitz hat.
Martin Lindner, der scheidende Landesvorsitzende Markus Löning und andere haben sich in den letzten Monaten mehrfach mit mir verständigt. Wir sind uns einig, dass es am sinnvollsten ist, anderthalb Jahre vor der Abgeordnetenhauswahl den Fraktions- und den Landesvorsitz in eine Hand zu legen. Denn das prioritäre Ziel der FDP ist selbstverständlich, den rot-roten Senat aus dem Amt zu drängen und nach über 20 Jahren erstmals wieder eine FDP-Regierungsbeteiligung zu erkämpfen.
Von einer Regierungsübernahme sind Sie weit entfernt. Und jetzt ist auch noch einer Ihrer eigenen Abgeordneten, Rainer-Michael Lehmann, direkt zur SPD rübergegangen.
Wenn ein Abgeordneter über acht Jahre für die FDP in Berlin Sozialpolitik gestaltet, ist es nicht nachvollziehbar, dass er dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Fraktion mit der Begründung verlässt, seine eigene Sozialpolitik sei plötzlich unsozial.
Lehmann sieht in der FDP soziale Kälte. Das macht er am "Liberalen Sparbuch" fest, einer Streichliste, die Sie als Alternative zum Senatsentwurf für den Landeshaushalt vorgelegt haben. Darin schleifen Sie unter anderem den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor und das verbilligte BVG-Monatsticket für Bedürftige.
Der ÖBS muss tatsächlich abgeschafft werden. Wir halten es für zutiefst unsozial, für nur 7.500 Menschen zu unvertretbar hohen Kosten einen dritten Arbeitsmarkt zu schaffen, während wir über 200.000 Arbeitslose haben. Rot-Rot hat da ein Vehikel für eine Placebopolitik gefunden, in die ein dreistelliger Millionenbetrag fließt …
… inklusive der Bundeszuschüsse - Berlin zahlt deutlich weniger.
Das zahlen doch auch die Bürger. Teuer bleibt der ÖBS in jedem Fall. Man schafft für diese 7.500 Leute ja keine Perspektive. Man zieht sie nur für eine bestimmte Zeit aus der Arbeitslosenstatistik raus, statt das Geld für Wachstumsimpulse zu investieren. Das gilt umso mehr, als wir viele gering qualifizierte Langzeitarbeitslose haben. Deshalb halte ich nichts von der Unterscheidung zwischen guten und schlechten Arbeitsplätzen, die außer der FDP alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus treffen, beispielsweise mit der green economy. Die Jobs dort erfordern in der Regel höhere Qualifikationen. Berlin braucht aber jeden Arbeitsplatz, nicht nur die grünen.
In welchen Branchen sehen Sie denn Chancen?
Der Tourismus und der Servicesektor sind Bereiche, in denen sich gering Qualifizierten Möglichkeiten bieten könnten.
Für geringe Löhne wahrscheinlich, unter dem derzeit diskutierten Mindestlohn.
Welchen Mindestlohn meinen Sie? Ich höre inzwischen 10 Euro bei der Linken, 8,50 Euro bei der SPD …
Jene 7,50 Euro, die im Vergabegesetz stehen, das der Senat auf den Weg gebracht hat.
Wir sind grundsätzlich gegen einen Mindestlohn. Was wir hingegen befürworten, sind Lohnuntergrenzen, und die richten sich nach der Sittenwidrigkeit von Entlohnung.
Wann wird es sittenwidrig?
Das kann ich nicht pauschal sagen, sondern nur auf die jeweilige Branche bezogen.
Nehmen wir mal den Wachschützer, der 5,80 brutto bekommt - ist das sittenwidrig?
Ich werde mich nicht auf eine Debatte einlassen, wie viel oder wie wenig man einem einzelnen Berufszweig zahlen soll.
Gerade sagten Sie, branchenbezogen würden Sie das tun.
Das muss nicht die Politik, das müssen die Tarifpartner aushandeln. Man muss da einschreiten, wo ein eklatantes Unterschreiten des Durchschnittslohns zu beobachten ist.
Ab wann also?
Das kann nicht die Politik festlegen. Mit einem Mindestlohn werden wir jedenfalls in keiner Weise die Probleme dieser Stadt lösen, sondern nur noch mehr Menschen in die Schwarzarbeit abdrängen.
Mit 6 Prozent laut Umfrage werden Sie Ihre Vorstellungen kaum durchsetzen können. Auch mit der CDU reicht es nicht. Sie brauchen noch jemand. Was ist mit den Grünen? Wo ist die Schnittmenge?
Im Bereich der Innenpolitik, der Bürgerrechte, auch in der Haushaltspolitik. Aber die größte Schnittmenge haben wir natürlich mit der CDU. Eines unserer Ziele ist es, die Linkspartei aus dem Senat zu drängen. Dafür muss man Koalitionsperspektiven ohnehin pragmatisch angehen.
Was ist etwa mit der Stadtautobahn A 100? Sie wollen den Weiterbau, die Grünen nicht.
Da muss man sich doch ganz pragmatisch den Zeitablauf anschauen. Mit dem Widerstand der Grünen gegen den 17. Bauabschnitt der A 100 …
… der Verlängerung von Neukölln nach Treptow …
… muss sich doch aktuell Rot-Rot auseinandersetzen. Und ihre Forderung nach Schließung des Autobahnrings wird der FDP vermutlich noch viele Jahre erhalten bleiben. Man darf da keine ideologischen Kämpfe führen …
Sondern?
… sondern muss eine tragfähige Grundlage hinbekommen. Und wenn das mit der CDU und den Grünen gelänge, wäre das gut für Berlin.
Die Alternative wäre die Ampelkoalition mit einer SPD, die gerade wieder ihr linkes Herz entdeckt.
Eine SPD, die sich im Wettlauf mit der Linkspartei nach links bewegt, kann sicherlich für die FDP kein Koalitionspartner sein. Diese Entscheidung kann man aber nicht im Frühjahr 2010 treffen. Die Ampel ist übrigens nicht die einzige Alternative zu Jamaika. Es gibt auch noch andere Dreierkonstellationen …
Schwarz-Rot-Gelb?
Genau, die Deutschland-Koalition zum Beispiel.
Angenommen, die Grünen würden 2011 stärkste Fraktion im Abgeordnetenhaus. Können Sie sich vorstellen, Renate Künast zur Regierenden Bürgermeisterin zu wählen?
Frau Künast hat noch nicht einmal ihre Kandidatur erklärt. Es ist doch völlig offen, ob die Grünen mit einer Spitzenkandidatin Künast antreten oder etwa mit Herrn Ratzmann.
Wäre Ihnen Fraktionschef Volker Ratzmann lieber als grüner Spitzenkandidat?
Nein, ich schaue mir das Spektrum möglicher Kandidaten an - entscheiden müssen die Grünen.
Macht Ihnen die Idee von Jamaika Lust aufs Regieren?
Jamaika ist eine Option, den Stillstand in dieser Stadt zu durchbrechen. Ich glaube, dass vor allem FDP und Grüne die Kräfte sind, die hier mit der stärksten Dynamik ausgestattet sind. Das wäre schon eine sehr spannende Konstellation.
Und die Union?
Die CDU hat sich in den letzten zehn Jahren personell erneuert und kann deswegen eine gute Ergänzung darstellen.
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