Berlins Bildungssenatorin: Die Mangelverwalterin
Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) war in den vergangenen fünf Jahren eine der am heftigsten kritisierten SenatorInnen. Ein Porträt.
Es gibt Sätze, bei denen kann Sandra Scheeres sehr ungeduldig werden. Da fährt die Gabel eine Spur zu heftig in den Käsekuchen, den sich die Bildungssenatorin an diesem Freitagnachmittag in einem Pankower Café bestellt. Und die zarte Baiserhaube zerreißt sie in lauter kleine Fetzen. Sie hat das Café vorgeschlagen, unweit ihres Wahlkreises Pankow-Süd/Heinersdorf, in dem sie auch wohnt. Im September wählt Berlin ein neues Abgeordnetenhaus. Ein Wahlversprechen für die Pankower BürgerInnen von ihrer SPD-Abgeordneten, Frau Scheeres? Mehr Kitaplätze vielleicht, für die vielen Eltern auf den hinteren Wartelistenplätzen?
Die Kuchengabel quietscht über den Teller, als sie die Geschichte von dem „gefühlten Bedarf“ erzählt. Von den künstlich aufgeblähten Wartelisten, weil sich jeder panisch in jeder Kita vormerken lässt, die irgendwie morgens schnell erreichbar scheint. „Schauen Sie sich noch mal die aktuelle Kitaplanung an“, sagt Scheeres. „Pankow hat im Vergleich zu allen anderen Bezirken in den nächsten Jahren am wenigsten Ausbaubedarf.“
Es ist Scheeres’ grundsätzliches Problem in den vergangenen fünf Jahren gewesen: Sie drang oft nicht so recht durch. Was sie sagte, war nicht das, was die Öffentlichkeit sah.
Der Kitaplatzausbau taugt da als gutes Beispiel. Scheeres nennt ihn selbst gern als einen ihren größten Verdienste. Wenn man sie fragt, woran sich die WählerInnen wohl erinnern werden, wenn sie auf fünf Jahre mit ihr als Bildungssenatorin zurückblicken, tippt sie als Erstes auf die „20.000 Plätze, die wir seit 2012 geschaffen haben“. Von den ErzieherInnen, die man dafür gefunden habe, „und zwar ohne das Fachkräftegebot aufzugeben“.
„Ich glaube“, sagt Scheeres, „die Leute verbinden mit mir vor allem Qualität.“ Sie meint damit nicht nur den Kitaausbau, aber eben auch den.
Einstürzende Schulbauten
Eine gewagte These. Weil die Kitas – allen Bemühungen um die QuereinsteigerInnen zum Trotz – ernsthaft Mühe haben, qualifizierte BewerberInnen für offene Stellen zu finden. Die Erzieherin, die morgens allein mit der Praktikantin und zwölf Krippenkindern auf verlorenem Posten steht: Auch das ist ein Bild, das frustrierte Eltern mit ihrer Bildungssenatorin verbinden.
Scheeres, die Mangelverwalterin: bei den einstürzenden Schulbauten, bei den fehlenden Fachkräften. Das ist nicht immer fair. Weil es mitunter ihr Verdienst war, die Mängel überhaupt erst einmal systematisch zu erfassen. Die Einführung einer Kitabedarfsplanung war ihre Idee. Sie hat die Bezirke – zwar spät, aber doch – dazu verdonnert, den Sanierungsbedarf an ihren Schulgebäuden endlich einheitlich zu erfassen. Und warum soll man es eigentlich reflexhaft schlecht finden, die Schulen für QuereinsteigerInnen zu öffnen? Auch wenn es Dinge gibt, die man daran kritisieren kann: dass man die NichtpädagogInnen vom ersten Tag an mehr oder weniger allein in die Klassen stellt, ist, vorsichtig gesagt, mutig.
Aber die wenigen Lorbeeren, die es in der Bildungspolitik zu gewinnen gab, heimsten in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem die anderen ein. Da ist die beitragsfreie Krippe ab 2017, die vor allem auf Drängen von SPD-Fraktionschef Raed Saleh beschlossen wurde. Da ist die Abschaffung der Früheinschulung, die sich die CDU als Verdienst anrechnet und die bei Eltern gut ankommt.
Wurmt sie das? „Warum sollte es? Es kann mir doch nichts Besseres passieren, als wenn mir der Fraktionschef beispringt und beim Finanzsenator mehr Geld für den Qualitätsausbau raushandelt.“
Da habe sie nämlich drauf bestanden, das habe sie Saleh ganz klar gesagt: Wenn Gratis-Krippe, dann müsse parallel auch in mehr ErzieherInnen und den Platzausbau investiert werden. Das ist vernünftig. Doch es ist nicht das, was die Eltern erinnern. Weil mit so etwas wie „Qualitätsausbau“ nun mal kein Blumentopf zu gewinnen ist: Eltern sind unmöglich zufriedenzustellen. Es geht immer noch besser, wenn es um die eigenen Kinder geht.
Scheeres ist Pragmatikerin
Doch Scheeres ist Pragmatikerin, Populismus liegt ihr nicht sonderlich. Dass Salehs beitragsfreie Krippe bedeutet, dass auch GutverdienerInnen nichts mehr zahlen: Scheeres muss es verteidigen, als „sozial gerecht“, weil „die SPD schon immer der Überzeugung war: Bildung darf nichts kosten“. Ihre persönliche Idee war es nicht.
Vielleicht wirkt die Senatorin auf Pressekonferenzen auch deshalb immer ein bisschen verbissen und sauertöpfisch und ganz anders als jetzt in dem Café, wo sie über ihren ältesten Sohn plaudert oder über ihren Mann, der die Elternabende übernehme, weil sie das sehr strikt trenne: ihre Rolle als Mutter und den Job als Senatorin und Abgeordnete.
Es trifft sie nämlich doch, das wenige Lob, die ständige Kritik – etwa auch die, sie sei mit ihren drei Ämtern, als zuständige Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft, überfordert. Wer das denn konkret gesagt habe, will sie wissen, als das Aufnahmegerät aus ist.
Scheeres würde gern Senatorin bleiben, nach dem Wahlsonntag am 18. September. Ihre Chancen für eine zweite Amtszeit sind nicht schlecht: Rot-Rot-Grün ist nach den letzten Umfragen eine realistische Option, und aus der Parteispitze hört man: Die Scheeres bleibt.
Rot-Rot-Grün, eine okaye Vorstellung? Scheeres nutzt die Gelegenheit, der CDU eins mitzugeben. Der Noch-Koalitionspartner sei „das größte Hindernis in den letzten fünf Jahren gewesen“. Und sie lobt sich selbst noch mal. Dafür, dass man „trotz der CDU“ so weit gekommen sei. Sonst macht das ja niemand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert