Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD):: "Schulen brauchen mehr Freiheit"
Unattraktive "Restschulen" wird es künftig nicht mehr geben, verspricht Senator Jürgen Zöllner wenige Tage vor Beginn des neuen Schuljahrs und dem Start seiner Schulreform.
taz: Herr Zöllner, die Schulstrukturreform ist beschlossene Sache, ab Montag gibt es statt Haupt- und Realschulen nur noch die neue Sekundarschule - eigentlich könnten Sie sich entspannt zurücklehnen. Wie wollen Sie in den nächsten Monaten noch dazu beitragen, dass die SPD die nächste Wahl gewinnt?
Jürgen Zöllner: Zuerst muss ich ehrlich sagen, dass ich wirklich ein bisschen stolz bin, dass wir so viel in Bewegung bringen konnten. Ich habe noch nach meinen ersten zwei Jahren hier in Berlin nicht gedacht, dass wir bei der Schulstrukturreform so viel schaffen. Und wir haben ja gerade gesehen, dass in anderen Bundesländern solche umfassenden Schulreformen trotz günstigerer Rahmenbedingungen nicht machbar sind.
Jürgen Zöllner, 65, ist seit 2006 Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Berlin. Zuvor war der Professor für Physiologische Chemie Präsident der Universität Mainz sowie Minister für Bildung und Wissenschaft und stellvertretender Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz. Zöllner ist seit 1972 in der SPD.
Die Sommerpause: Parallel zu den Schulferien macht auch das Abgeordnetenhaus Sommerpause. Es ist die vorerst letzte Ruhephase. Der nächste Sommer wird vom Wahlkampf geprägt sein: Im September 2011 wird das Abgeordnetenhaus gewählt. Die taz nutzt die Zeit, um in einer Interviewreihe auf die Wahl und die Themen zu blicken, die die Berliner bewegen.
Den Reigen eröffnete der grüne Fraktionschef Volker Ratzmann. Dann verriet Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linke) ihre Klimaziele bis 2050, und Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) provozierte die Genossen von der SPD. Zuletzt lotete Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) die Spielräume regionaler Wirtschaftspolitik aus.
Ist also alles getan?
Aber gar nicht! Die Kleinarbeit ist bei solchen umfassenden Reformen genauso wichtig wie das große Konzept. Jetzt geht es darum, dass die ganze Sache funktioniert. Da muss man sich um viele Einzelheiten kümmern.
Zum Beispiel?
Etwa bei dem Qualitätssprung, der sich aus dem dualen Lernen und dem Ganztagsbetrieb ergibt. Der ist ja nicht allein durch eine Verordnung, eine Stundenplanänderung und eine Fortbildungsveranstaltung zu erreichen. Ich weiß, dass die Lehrkräfte sehr engagiert sind, die Kooperationsbereitschaft der Wirtschaft in Sachen Praxisbezug beim dualen Lernen ist groß - aber dennoch wird es da sicher im Einzelfall auch mal ein bisschen knirschen. Und dann geht es darum, dass man da Optimierungen macht.
Dennoch werden sich die Folgen der Reform kaum bis zur nächsten Wahl im Herbst 2011 zeigen. Dagegen wird es sicher viele Gelegenheiten geben, bei denen KritikerInnen Ihnen Fehler vorwerfen können.
Auch wenn man als Politiker natürlich manchmal in Legislaturperioden denken und handeln muss: Bildungspolitik ist ein längerfristiger Prozess. Deshalb ist jetzt unsere Aufgabe, deutlich zu machen, dass das, was wir mit einem großen Konsens in Berlin realisieren, seine positiven Auswirkungen in Gänze erst in vier, fünf oder sechs Jahren zeigen wird. Eine Bildungskette von der Kita bis zu Sekundarschule und Gymnasium, wie wir sie hier hergestellt haben, wirkt erst, wenn die ersten Kinder sie durchlaufen haben. Wenn ich auf kurzfristige Maßnahmen setzen würde, würde ich keine gute Bildungspolitik machen.
Den Konsens haben Sie durch große Kompromisse erreicht: Das Gymnasium wurde beibehalten, der Elternwille bei der Oberschulwahl im Prinzip auch - der Oberschulzugang durch Wohnortnähe wurde dabei durch eine andere Regel ersetzt, die den Schulen viel Freiraum lässt. Wie diese den nutzen werden, werden wir erst nächstes Jahr erleben - genau zur Wahlkampfzeit.
Ich wäre unehrlich, wenn ich sagen würde, dass man eine solche Reform ohne Kompromisse macht. Aber ich sehe keinen der von Ihnen angesprochenen Punkte als großen Kompromiss. Wenn wir uns die Diskussion in Hamburg ansehen, sehen wir, dass der Weg, den wir hier eingeschlagen haben, der zielführende ist. Und was die Freiräume der Schulen betrifft: Ich bin der festen Überzeugung, dass der Ansatz einer stärkeren Eigenständigkeit von Schulen der richtige ist. Es ist doch unbestritten, dass Schulen selber lernfähige Organisationseinheiten sein müssen. Dafür brauchen sie mehr Selbstständigkeit. Wir alle wissen, dass im gleichen Land, in der gleichen Stadt unter gleichen Rahmenbedingungen die Qualität von Schulen sehr unterschiedlich sein kann. Also geht eine Verbesserung nur über die einzelne Schule. Wir müssen ihr mehr Freiheit geben.
Wenn beliebte Schulen sich einen großen Teil ihrer SchülerInnen künftig - etwa per Aufnahmeprüfungen - selber aussuchen können, kann das für Berlin bald bayerische Verhältnisse bedeuten: Eltern, die ihre Kinder auf eine bestimmte Schule hin trainieren. Ist das im Sinne der Schulreform?
Im Gegenteil: Sinn der Schulreform ist, dass so etwas nicht nötig ist. Dass es beliebtere Schulen gibt, ist aber unvermeidbar - Sie können Engagement und Kreativität von LehrerInnen ja nicht verordnen. Die müssen selber motiviert sein. Ihre Motivation wird aber natürlich verstärkt, wenn sie Erfolg haben. Und Zeichen des Erfolgs ist, dass Eltern ihre Kinder auf diese Schule schicken wollen. Das zu ermöglichen ist doch ein positiver Prozess.
Er ermöglicht aber auch, dass wir nach der Schulreform das haben, was Sie vorher abschaffen wollten: beliebte Schulen, die sich die Schüler aussuchen können, und solche, die eben den Rest nehmen müssen.
Wir tun mit den Rahmenbedingungen der Reform alles, was man dafür tun kann, dass es solche Restschulen künftig nicht mehr geben wird. Etwa, indem dort, wo Schülerinnen und Schüler betreuungsintensiver sind, die Ausstattung, die personelle Betreuung besser ist. Aber da kommen wir genau zum Punkt: Denn das führt doch noch nicht automatisch dazu, dass man sich tatsächlich verstärkt um diese Kinder kümmert. Ich kann das zwar in eine Verordnung schreiben, aber das führt immer noch nicht dazu. Ich brauche dazu das Vorbild erfolgreicher Schulen, die merken, dass es sich für sie lohnt, wenn sie besondere Wege einschlagen, besondere Konzepte entwickeln. Und da soll ich den anderen Weg gehen und sagen: Ich weise den Schulen die Schüler zu, damit es keine Übernachfrage gibt? Nee, also das wäre doch die Aufgabe der Ziele der Reform.
Wir haben kürzlich bei einem anderen Interview viel Zustimmung für Ihre Haltung zur Eigenständigkeit der Schulen gehört. Von der Bildungspolitikerin der FDP, Mieke Senftleben.
Ach ja? Freut mich.
Ihre Koalitionspartnerin Linkspartei ist dagegen manchmal nur zähneknirschend Ihren Weg mitgegangen, und der von Ihrer Partei berufene Finanzsenator Ulrich Nußbaum sagte kürzlich in einem taz-Interview, in Schulen und Kitas würde ohne jede Kontrolle viel Geld gepumpt. Wer ist eigentlich Ihr Wunschkoalitionspartner?
Ich sehe weder im Schul- noch im Hochschulbereich irgendeine Veranlassung zu sagen, dass eine andere Konstellation besser wäre. Ich schließe aber auch nicht aus, dass man auch in anderen Konstellationen eine gute und vernünftige Politik machen kann. Ich sage das ganz selbstbewusst: Solche Grade von Freiheit zu ermöglichen, die Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Schule zu stärken, ist ja tatsächlich keine Selbstverständlichkeit für eine rot-rote Regierung. Und ich bin da ebenso stolz auf den Wissenschaftsbereich: Wir waren schon vorher das Bundesland mit den meisten Studienplätzen - offenbar hochqualitative, denn wir sind sehr stark nachgefragt. Und wir werden die Zahl noch mal um 20 Prozent erhöhen. Dazu kommt, dass kein Land so viel zusätzliches Geld in die Spitzenforschung zu investieren bereit ist wie Berlin, und auch das wird in einer rot-roten Koalition realisiert. Wenn das in anderen Koalitionen auch machbar ist, gut. Mir geht es um die Sache.
Noch mal zu Nußbaums Kritik, dass im Bereich Bildung viel Geld ausgegeben, aber wenig Effizienzkontrolle betrieben wird. Geht Ihnen als Wissenschaftler das nicht auch gegen den Strich?
Es ist ja bekannt, dass ich kein Gegner von Evaluationen bin. Ich habe den Eindruck, dass wir da überhaupt nicht auseinander sind, Herr Nußbaum und ich. Ich werde noch in diesem Jahr ein Qualitätspaket auf den Weg bringen, bei dem es auch darum geht, sich ständig zu hinterfragen, ob man das, was man erreichen will, auch erreicht hat. Ein Aspekt von Schule ist ja auch, dass man gewisse Fähigkeiten und Fertigkeiten erwirbt, die dann irgendwo abgefragt werden müssen. Und es ist keine Schuldzuweisung damit verbunden, sondern zunächst eine reine Feststellung. Und wenn das irgendwo nicht gut läuft, dann muss man den Ursachen nachgehen.
Was möchten Sie zum Ende des ersten Schuljahres nach der Reform erreicht haben?
Wenn es uns gelingt, die große Akzeptanz, die jetzt da ist und die teilweise mit sehr hohen Erwartungen verknüpft ist, zu halten, wenn die Selbstständigkeit von Schulen zu einem schönen bunten Strauß von unterschiedlichen Ansätzen individueller Förderung von SchülerInnen geführt hat, dann war das erste Jahr ein riesiger Erfolg. Und ich bin optimistisch, dass uns das gelingen wird. Und auch, dass wir nach den ersten vier Jahren mehr junge Menschen mit besseren Abschlüssen als bisher haben - wenn auch vielleicht noch nicht so viele, wie ich mir wünsche.
Und Sie werden in vier Jahren als Berliner Bildungssenator die Früchte der Reform noch miternten?
Ich bin ja schon etwas länger in der Politik und habe von Anfang an nie eine Aussage darüber gemacht, ob oder wie lange ich etwas tun werde. Ich habe jetzt hier eine verantwortungsvolle Aufgabe, und dann schauen wir mal, ob man später noch gebraucht wird oder nicht, ob man meint, sich einbringen zu können. Das ist aber jetzt noch kein Thema für mich.
Haben Sie manchmal bereut, dass Sie nach Berlin gekommen sind?
Ich habe es noch nie bereut. Aber es gab Momente, wo ich nicht wusste, ob ich noch die Kraft habe. Es ist manchmal unglaublich, was die Leute in einem Stadtstaat wie Berlin alles mit dem Bildungssenator direkt regeln zu können meinen. Natürlich hat man in einem Flächenland nicht so viel mit den Problemen vor Ort zu tun wie hier, und es kommt auch keiner auf die Idee, sich, wenn die Ausstattung einer Schule nicht stimmt, gleich beim Minister zu beschweren. Aber darin liegt ja auch ein Vorteil. Wenn Bildungspolitik Ihnen nicht Pflichterfüllung ist, sondern Anliegen, haben Sie auch die Chance, mehr Einfluss auszuüben, weil Sie näher dran sind.
Wie nah einem die Stadt kommen kann, haben Sie kürzlich erlebt, als es bei der Besetzung der Leitungsstelle der Einstein Stiftung nicht um die Qualifikation der dafür ausgewählten Person, sondern nur darum ging, dass es sich dabei um Ihre Lebensgefährtin handelt.
Die Tatsache, dass ich zu ihr eine persönliche Beziehung habe, hat zu einer Diskussion geführt, die aus meiner Sicht sachlich nicht gerechtfertigt war. Ich war davon ausgegangen, dass die Besetzung einer Stelle mit einer Person, die diese Aufgabe kommissarisch zuvor ja schon ausgeführt hat, über ein nachvollziehbares Auswahlverfahren kein Problem ist. Das war eine falsche Einschätzung, und ich habe daraus sofort die Konsequenzen gezogen.
Sie haben nicht mit dieser Debatte gerechnet?
Nein, natürlich nicht in dieser Form. Sonst hätte ich das nicht gemacht.
Wie geht es weiter an der Spitze der Stiftung?
Wir werden so schnell wie möglich die Leitung der Geschäftsstelle gewährleisten. Das wird sich in den nächsten zwei, drei Wochen klären.
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