Berliner Wohnungsmarkt: Vergesellschaftung finanziert sich selbst
Eine neue Studie zeigt: Vergesellschaftung von Wohnungen lässt sich über Mieteinannahmen refinanzieren. Es ginge also ganz ohne öffentliche Zuschüsse.
Eine von der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ (DWE) beauftragte Studie kommt zum Ergebnis, dass die für die Vergesellschaftung großer Wohnungsbestände benötigte Enteignungssumme durch Mieteinnahmen refinanziert werden könnte. Der nach verschiedenen Modellen berechnete Finanzierungskorridor liegt der Studie nach zwischen 10 und 17 Milliarden Euro. Damit würde die Summe nahe an den auf den Gebäudewerten basierenden Berechnungen von 8 bis 18 Milliarden Euro als Entschädigungswert liegen.
„Das zeigt, dass die Enteignung ohne langfristige Mittel aus dem Landeshaushalt bezahlt werden kann“, sagt Firdes Firat, Sprecherin von DWE. Die Initiative fordert, große, private Immobilienfirmen in Berlin, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, zu enteignen. Anschließend sollen die Wohnungen vergesellschaftet werden. Grundlage bietet GG Artikel 15, der Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln regelt. In der Geschichte der Bundesrepublik wurde der aber noch nie angewendet.
Realistische Entschädigungssumme
Bereits 2023 stimmten die Berliner:innen in einem Volksentscheid für das Vorhaben. Umgesetzt ist es immer noch nicht – obwohl der Senat eigentlich dazu verpflichtet ist. In der Debatte stellte etwa die Politik immer wieder die Frage, wie hoch die Entschädigungssumme für die Enteigneten sein müsste und wie diese aufgebracht werden soll. Damit beschäftigt sich die jetzt veröffentlichte Studie mit dem Titel „Refinanzierungsoptionen in vergesellschafteten Wohnungsbeständen“. Zentral ist die Frage, wie hoch eine Entschädigungssumme angesetzt werden kann, damit sie dauerhaft und ohne öffentliche Zuschüsse aus den Mieteineinnahmen refinanziert werden kann.
Durchgeführt hat die aktuelle Studie ein Team um Sozialwissenschaftler Andrej Holm und Friedrike Thonke. Letztere arbeitet bei der Triodos Bank im Bereich wertorientierte Immobilienfinanzierung. Die Verfassier:innen gehen für ihre Berechnungen davon aus, dass 240.000 Wohnungen vergesellschaftet werden. Auf dieser Annahme führen sie verschiedenen Modelle zur Berechnung der möglichen Mieteinnahmen durch. Das Spektrum an möglichen Entschädigungsbeträgen basiert dabei auf drei einander beeinflussenden Faktoren: Miethöhe, Bewirtschaftungsausgaben und Finanzierung der Schulden.
Verschiedene Modelle ergeben ein Spektrum
Bei konservativen Annahmen – also niedrigen Mieteinnahmen, hohen Bewirtschaftungskosten und kurzen Laufzeiten für die Rückzahlung von Krediten – gehen die Studienautor:innen von einem möglichen Entschädigungswert von 9 bis 11 Milliarden Euro aus. In einem mittleren Bereich liege der Wert zwischen 10 und 17 Milliarden Euro. Das betrachten die Autor:innen als realistischste Berechnung. Bei sehr günstigen Konditionen könnte laut der Studie sogar ein Betrag bis zu 25 Milliarden Euro erreicht werden.
DWE-Sprecherin Firat sieht mit dieser Studie die notwendige Grundlage geschaffen, um die Vergesellschaftung weiter voranzutreiben: „Mit dieser Studie liefern wir den klaren Nachweis: Vergesellschaftung ist finanzierbar ohne dauerhafte Zuschüsse aus dem Haushalt – und das bei dauerhaft bezahlbaren Mieten und einer funktionierenden Bewirtschaftung“, sagt Firat. Über eine konkrete Miethöhe könne man trotzdem noch keine Aussage treffen. Das könne erst die zukünftige Anstalt öffentlichen Rechts festlegen, die die Wohnungen dann verwaltet, sagt Firat der taz.
Keine höheren Mieten durch Vergesellschaftung
„Wir verfolgen weiter das Ziel, Mieten langfristig zu stabilisieren und unterhalb des derzeitigen Mietniveaus der großen, privaten Wohnkonzerne zu halten“, sagt die DW-Sprecherin weiter. Auch die neue Studie geht davon aus, dass die durchschnittlichen Mietpreise nach der Vergesellschaftung nicht über denen der „Vergesellschaftungskandidatinnen“ liegen werden – also den Wohnungen, die DWE vergesellschaften möchte.
Auch Grünen-Abgeordnete Katrin Schmidberger, Sprecherin für Bauen und Wohnen, sieht in der Studie eine wichtige Ergänzung der bisherigen Debatte: Die Studie schließe eine entscheidende Lücke im Bericht des Berliner Rechnungshofs von 2024, der lediglich Extremwerte betrachtet habe und so keine Aussage zur tatsächlichen Refinanzierbarkeit bieten konnte. Schmidberger fordert die Landesregierung dazu auf, zur neuen Studie Stellung zu beziehen: „Senat und Landesrechnungshof müssen sich dem deutlichen Ergebnis des Volksentscheids verpflichtet fühlen und die neuen belastbaren Daten ernsthaft prüfen“, sagt Schmidberger.
Trotz des erfolgreichen Volksentscheids 2023 hat der Berliner Senat bisher keine Bestrebungen gezeigt, die Vergesellschaftung großer, privater Wohnungsbestände umzusetzen. Deswegen verfolgt DWE mittlerweile ein neues Ziel: ein weiterer Volksentscheid, dieses Mal gleich mit einem Vergesellschaftungsgesetz. Einen entsprechenden Entwurf stellte die Initiative Ende September vor. Vielleicht darf DWE hoffen: Vergangenes Wochenende kündigte Tobias Schulze, Linken-Fraktionsvorsitzender, beim Parteitag an, den Gesetzesentwurf noch vor der Wahl 2026 ins Abgeordnetenhaus zu bringen.
Auch der frisch gekürte SPD-Spitzenkandidat Steffen Krach kündigte am Samstag beim Parteitag der SPD an, jetzt mal gegen die „Mieten-Mafia“ vorgehen zu wollen.
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