Berliner Wahlkampf: Die grüne Castingshow
Die Grünen suchen nach Politikeinsteigern für zusätzliche Sitze in den Bezirksparlamenten, die sie bei der Wahl 2011 voraussichtlich gewinnen.
Ein feines Lächeln liegt auf dem Gesicht von Jörn Oltmann, eine Mischung aus freundlich und skeptisch. Oltmann ist Fraktionschef der Grünen in Tempelhof-Schöneberg und an diesem Abend im örtlichen Parteibüro in etwa das, was Dieter Bohlen bei DSDS ist. Aber nur in etwa. Denn in einer Art Politcasting suchen die Grünen zwar - aber nicht den Superstar, sondern dringend neue Leute für die Bezirksverordnetenversammlung, kurz BVV, das örtliche Parlament. Denn setzt sich der in Umfragen bewiesene grüne Trend bis zur Abgeordnetenhauswahl im September 2011 fort, wird nicht bloß Renate Künast, die im Bezirk ihren Bundestagswahlkreis hat, Regierende Bürgermeisterin, sondern die jetzt zehnköpfige BVV-Fraktion doppelt so groß.
Der Kreisvorstand hat daher zu einem ersten Informations-und Vorstellungsabend eingeladen. Ein Mentorenprogramm soll sich anschließen, bei dem erfahrene Bezirkspolitiker Neulinge an die Hand nehmen und sie ins oft zähe und nüchterne Geschäft eines Kommunalparlaments einführen. Aus gutem Grund: Bei der Vorstellungsrunde legt sich Oltmanns Stirn verschiedentlich in Falten, als frage er sich, wie der ein oder andere, der jetzt doch etwas langatmig und visionär erzählt, in der BVV mit trockener Finanzpolitik oder Details eines Bebauungsplan klarkäme. "Natürlich denke ich mir: Wer könnte in welchen Ausschuss passen?", sagt Oltmann später der taz. Anders als bei DSDS bleibt eine Bewertung der Kandidatinnen und Kandidaten an diesem Abend aus. Ein Runtermachen à la Dieter Bohlen könnte sich die Partei auch gar nicht leisten, dazu braucht sie die neuen Leute einfach zu sehr.
Bei knapp 30 Prozent liegen die Grünen derzeit landesweit, 13,1 waren es bei der Abgeordnetenhauswahl. Die Fraktion im Landesparlament aufzustocken gilt nicht als Problem - dort gibt es immerhin etwas zu verdienen. Rund 3.200 Euro monatliche Diät sind zwar wenig im Vergleich zu anderen Bundesländern, aber immerhin genug, um davon zu leben. Das lässt sich von der Aufwandsentschädigung für Bezirksverordnete nicht sagen. Mit Sitzungsgeldern und Fahrtgeld kommen im Monat nicht mehr als 500 Euro zusammen, rechnen die aktuellen BVVler vor - wovon bei den Grünen aber 200 Euro an die Partei abzugeben sind. Bleiben 300 Euro für viel Arbeit und viele Termine: in Ausschüssen, im Plenum der BVV, in der Fraktion, mit Bürgern oder zu Hause über den Sitzungsunterlagen. Fraktionschef Oltmann malt die Lage alles andere als rosig: "Zwei bis drei Abende pro Woche sind schon mal blockiert. Wer nicht gewährleisten kann, regelmäßig um 17 Uhr im Rathaus zu sein, weil er vielleicht im Schichtdienst ist, sollte sich die Sache noch mal genau überlegen."
Weder das noch das geringe Salär bringt an diesem Abend jemanden dazu, das Parteibüro früher zu verlassen. Das Finanzielle dürfe ohnehin nicht der Anreiz sein, sagt die Kreisvorsitzende Renate Giese - das nur wegen des Geldes zu machen, sei nicht die richtige Richtung.
Das Spektrum jener siebzehn Frauen und Männer, die schließlich aufstehen und sich als Bewerber vorstellen, ist breit. Es reicht von der Schülerin über den sportbegeisterten Jurastudenten Anfang 20 bis zum ergrauten 60-Jährigen, der in früheren Jahren in Baden-Württemberg im Gemeinderat saß. Ein Landschaftsplaner ist dabei, eine Islamwissenschaftlerin, eine Integrationsforscherin, eine Journalistin, ein Abiturient. Handwerker ist nur einer der Interessierten, ein selbstständiger Tischler. Oltmann und seinen Mitstreitern wäre eine stärkere Mischung von Akademikern und Nichtakademikern lieber. "Aber wollen wir uns nun darüber beschweren, dass so viele hoch qualifizierte Leute mitmachen wollen?", relativiert der langjährige Bezirksverordnete Ulrich Hauschild.
Auffällig ist, wie viele erst kurze Zeit dabei sind, ein paar Monate oder ein halbes Jahr. Immer wieder ist von dem Wunsch zu hören, dabei zu sein, wenn sich - angesichts einer immer realistischer werdenden Regierungsübernahme - etwas bewegt. Wie bei dem im Journalismus erfahrenen Mann, der gar nicht ins Parlament will - das fände er nach Jahren geringen Interesses nicht redlich -, sondern sich für Schreibarbeiten zur Verfügung stellen möchte. "Es ist eine schöne Zeit, die die Grünen gerade erleben", sagt er, "das zieht mich jetzt hoch aus meinem Wohnzimmer."
Sie sollen es erst mal sacken lassen, was sie gehört haben, und beim nächsten Mal wiederkommen, wenn es ihnen ernst ist, entlässt der Parteivorstand die Interessierten an diesem Abend. Zwei öffentliche BVV-Sitzungen stehen bis dahin noch an, Gelegenheit genug für den Realitätstest.
Der Kreisverband Steglitz-Zehlendorf hat sein Mentorenprogramm schon im September gestartet. Von den 30 bis 40 Interessierten, die dort auftauchten, erscheint auch eine Reihe bei der nächsten Sitzung des Kreisverbands, als es um das zukünftige Wahlprogramm geht. Auch hier ist bei einer Vorstellungsrunde immer wieder zu hören, man sei erst seit zwei, drei, vier Monaten dabei.
In puncto Optik ist es wie in Tempelhof-Schöneberg: Nicht nur im Parlament, auch bei der Basis sind die Zeiten sind vorbei, in denen die Grünen an langen Bärten und Haaren, Strickpullis und Latzhosen zu erkennen waren. Poloshirts, Jacketts, weiße Hemden: das ist zwar noch nicht der örtliche Rotary-Club, aber Welten von Grünen-Treffen früherer Zeiten entfernt. Ein 19-Jähriger sticht mit seinen Rastalocken derart heraus, dass die Frankfurter Allgemeine ihn nach einem Besuch an einem anderen Abend in den Rang eines Maskottchens erhebt.
Hans-Jörg Henning ist einer derjenigen, die hier im Südwesten ins Bezirksparlament wollen. 48 ist er, und gewählt habe er die Grünen schon seit Jahrzehnten, aber erst jetzt fühle er sich reif für eine Kandidatur. Dieser Schritt erfolge unabhängig vom aktuellen Boom, betont er, der Ärger über die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen beispielsweise bringe ihn dazu, sich stärker zu engagieren.
Fraktionschefin Christa Markl-Vieto ist zuversichtlich, über das Mentorenprogramm genug gute Leute für das Bezirksparlament zusammenzubekommen. Sie sorgt sich eher um die im Vergleich zu den boomenden Umfragewerten noch dünne Mitgliederbasis. CDU und SPD seien viel breiter vertreten, in Vereinen, Verbänden und allen Ecken des Bezirks. Das können die örtlichen Grünen mit ihren knapp 400 Mitgliedern trotz eines deutlichen Zuwachses von rund 10 Prozent seit Jahresbeginn schlicht nicht leisten.
In Steglitz-Zehlendorf regieren die Grünen zwar seit 2006 mit, als sie die landesweit erste schwarz-grüne Koalition im Bezirksparlament verabredeten. Doch im Bürgermeistersessel sitzen noch andere.
Ganz anders sieht das schon jetzt in Friedrichshain-Kreuzberg aus. Hier holten die Grünen bei der letzten Wahl ihr bestes Ergebnis: 26,6 Prozent - landesweit waren es nur 13,1 Prozent. Und hier ist zu erkennen, mit welcher Rolle sich die Grünen nach der nächsten Wahl wohl anfreunden müssen.
Unmut auf kleiner Flamme
Denn grünes Regieren macht nicht alle glücklich, vor allem nicht im linken Spektrum. In Friedrichshain-Kreuzberg bekommt der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz Gegenwind: Von Bürgern, die sich in einem Bürgerentscheid gegen Mediaspree aussprechen, von Naturschützern, die sich vom Grünflächenamt eine grünere Politik erhoffen, von linken Projekten, die enttäuscht sind über das Fehlen von Unterstützung.
Meist ist es kein starker Unmut, der Proteste und revolutionäre Umstürze verursacht. Es ist ein kleiner Unmut, der zwischen den Zeilen sichtbar wird, der auf kleiner Flamme schwelt und der Sätze mit Fragezeichen am Ende formuliert. Sätze wie den von Anuschka Guttzeit, Mitstreiterin einer Bürgerinitiative (BI) in dem Bezirk: "Wir wollen, dass unser Amt vorbildlich ist, wozu haben wir sonst die Grünen gewählt?"
Guttzeits Initiative hat eigentlich ein urgrünes Anliegen: den Schutz der Bäume und Grünflächen rund um den Landwehrkanal, den Kampf gegen Umweltverschmutzung, Erhalt der lokalen Ökosysteme. Doch seit drei Jahren quälen sich BI und Bezirk in einem Mediationsverfahren. Mühevoll haben die Aktivisten dem Bezirksamt abgerungen, dass es zumindest eine Liste veröffentlicht, die einen Überblick über gefällte und zu fällende Bäume gibt. Und doch stehen beide Fronten einander immer wieder unversöhnlich gegenüber: Wenn wieder einmal ein Baum gefällt wird, den die BI als gesund betrachtet, wenn der Zeitraum nicht ausreichte, um einen Gutachter zu schicken, wenn die Liste nicht stimmt. "Wir sind alle tendenziell Grüne-Wähler", sagt Guttzeit. Es klingt nicht danach, als würde sie eine Alternative sehen.
Ähnlich sieht die Konfliktlage beim Nachbarschaftsgarten am Bethanien aus. Die Gärtner liegen mit dem Bezirksamt im Clinch, seit sie einen Baum außerhalb des festgelegten Artenbereichs gepflanzt haben. Die Briefe der zuständigen Bezirksstadträtin klingen mittlerweile gereizt. Die Aktivisten dagegen sind der Meinung: Wie können gerade die Grünen die Beseitigung eines frisch gepflanzten Baumes verlangen? "Auch wenn die Grünen mitregieren, gibt es keine konsequent ökologische Politik", klagt eine Aktive. Andere formulieren ihren Unmut ähnlich: Warum sollten sie grün wählen, wenn die Partei das Gleiche macht wie alle anderen auch?
Diese Unzufriedenheit ist in verschiedenen Bürgerinitiativen zu finden. Der Unmut äußert sich zum Beispiel auf Demonstrationen, wo Reden von Parteivertretern zunehmend kritischer beäugt werden. Die Aktivisten sehen mit dem Nachlassen der ökologischen Ausrichtung ein Alleinstellungsmerkmal der Partei schwinden. Selbst um Guttzeits Stimme werden die Grünen bei der Wahl 2011 kämpfen müssen. Denn derzeit sagt sie: "Ich weiß überhaupt nicht mehr, wen ich wählen soll."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen