Berliner Theatertreffen: Eine Art Schockstarre
Die Geschichte dreht sich weiter, aber der Nazi bleibt. In Claudia Bauers und Ersan Mondtags Stücken dient er der Provokation.
Claus Peymann, der scheidende Intendant des Berliner Ensembles, war noch nie so oft auf dem Theatertreffen zu sehen wie dieses Jahr. Er verkaufte sein Buch „Mord und Totschlag“ vor dem Haus der Berliner Festspiele und wirkte stets freundlich entspannt gegenüber dem aufgeregten Treiben der anderen. Sein kleiner Büchertisch stand vor den für das Theatertreffen aufgebauten Holzbänken und Wegen, die sich jetzt, gegen Ende des Festivals, schon zu wellen und zu lösen beginnen. Erschöpftes Material, erschöpfte Zuschauer.
In Claudia Bauers Leipziger Inszenierung „89/90“, nach dem Buch von Peter Richter, geht es um das Driften nach rechts in einer Dresdner Schülerclique in den letzten Monaten der DDR – und den ersten nach dem Mauerfall. Großartig, wie die Regisseurin einen Chor einsetzt, mit Punktexten und Choralmusik, um die dichte Textur von Ideologie und Institutionen zu markieren, die alle Ebenen des Lebens rahmt und einzwängt. Es ist die starke und stilisierte Form, über die sich Geschichte hier vermittelt.
Die Erzählungen der einzelnen, aus einer Erinnerung heraus, die sich selbst nicht so ganz über den Weg traut, sind immer als Störung der kollektiven Struktur angelegt. Und oft als Provokation, rassistischer Zwischenruf, bei dem einem selbstverständlich unwohl wird. Gerade auch, weil man nicht einschätzen kann, wie sich da die Gemengelage von Fremdenhass und Widerstand gegen geheuchelte Solidarität verhält. Es ist auf jeden Fall gruselig, wenn die Drangsalierten ihren Ausbruch markieren wollen, indem sie zum „Schwarze-Verprügeln“ auffordern.
Doch ist einer der stärksten Momente der Inszenierung, wenn von einer Demonstration am Dresdner Bahnhof erzählt wird, in der die Fronten und Abgrenzungslinien nicht mehr funktionieren, da die vorher verachteten Spießer und die sich als Außenseiter Begreifenden auf die gleiche Weise in die Enge getrieben werden. Wie eben die Zuordnungen versagen und auch die eigene Wahrnehmung der Erzähler ihnen als eine sehr fragwürdig zusammengebastelte Konstruktion erscheint – das erschließt die Inszenierung dann doch sehr stringent.
Zweimal wurde die eingeladene Inszenierung in Berlin gezeigt. Durch einen Eintrag im Blog des Theatertreffens wurde bekannt, dass die Festspielleitung, Intendant Thomas Oberender, kurz vor der zweiten Vorstellung das Ensemble anwies, in den rassistischen Zwischenrufen das Wort Neger durch „Beep“, Signal für verbotenes Wort, zu ersetzen. Ein solcher Eingriff ist dreist und scheint unsinnig, hilft er doch dem Anliegen, Rassismus zu reflektieren, zu diskutieren und zu verhindern, kaum weiter.
Erregungskurven
Der Nazi aber blieb dem Festival weiter als Provokationsfigur erhalten, denn er ist auch präsent in „Die Vernichtung“ von Olga Bach (Text) und Ersan Mondtag (Regie). Wieder geht es um junge Leute, ihre Langeweile, ihr diffuses Unbehagen, aber diesmal in der Gegenwart. Sie haben Geld und Drogen, viel Zeit, viel schicke Theorie im Kopf, viele Informationen und massenhaft Verschwörungstheorien.
Das wirkliche Leben, denken sie, kennen sie nicht; stattdessen interessieren sie Experimente, die stets mit Vernichtung zu haben, der Falschdenkenden, der Unterwürfigen, der Langsamen an der Theke in diesem Club. Nazi-mäßig ist der Schick, in dem sie ausgehen – das sieht man allerdings nicht, man entnimmt es nur den Dialogen, die gegenläufig zu den Erregungskurven ihrer Inhalte sehr ruhig gesprochen werden.
Die Körper der vier Schauspieler stecken dabei in bemalten Trikots. Wie gemalte Aktfiguren sehen sie aus und bewegen sich lange in den Posen antiker Wettkämpfer. Nur am Ende, als sie synchron zu lang anhaltendem Techno tanzen, denkt man bei jedem Armheben, jetzt kommt der Hitlergruß, aber dann geht die Hand weiter hoch, langsam, bis die gestreckte Faust nach oben zeigt.
Es ist nicht nur dieses Vorbeischrammen an Symbolen, das „Die Vernichtung“, produziert vom Konzert Theater Bern, so ungemütlich und beklemmend macht. Das Bühnenbild erinnert an eine Friedhofslandschaft. Wildschweine und Kopien antiker Statuen stehen darin, anfangs kommen die vier wie Zombies aus einer Gruft.
Ästhetik der Überwältigung
Alles in dieser Landschaft erinnert an etwas, jede Bewegung führt durch ideologisch vermintes Gelände. Antike, Romantik und eine Zombiewelt sind visuell präsent, während die Dialoge der Aufklärung und der Vernunft den Bankrott erklären. Manchmal scheinen die vier in einer Art Schockstarre zu leben und so viele Trips wie möglich vor dem nächsten Terrorangriff erleben zu wollen. Dann wieder spotten sie über die Angst als gemachtes Phänomen: Die Sicherheitsindustrie lacht sich ins Fäustchen, die Migranten sind ihre beste Waffe.
Die Dialoge im Text von Olga Bach kommen von wechselnden Orten. Plötzlich funktionieren die, die sich eben noch langweilten und zudröhnten, im Business. Smarte Checker. Das sind nur wenige banale Sätze, die aber die Freundesclique als gut geölten Teil jenes Systems darstellen, das sie eigentlich dauernd als ausbeuterischen Machtapparat kritisieren.
Die Dialoge allein könnten womöglich völlig überkonstruiert wirken. Aber weil sie wie eine bildunabhängige Tonspur mitlaufen, während Bilder, Musik (Brahms, Beethoven und Technobeat) und Bewegungen ihr jeweils eigenes Potenzial einer Ästhetik der Überwältigung ausbreiten, entsteht doch ein bedrückendes Gefüge. Das wurde in Berlin in ziemlich atemloser Stille rezipiert, am Ende mit viel Applaus und heftigen Buh- und Bravorufen bedacht. Vermutlich ist so ein uneinhelliges Urteil (bloß nicht schon im Konsens angekommen sein!) Ersan Mondtag und Olga Bach gerade recht. Wer mal so richtig auf die Kacke haut, will ja nicht gleich umarmt werden.
Draußen sitzt weiterhin Claus Peymann und lächelt milde.
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