piwik no script img

Berliner SzenenDit is ’n Zauberstab

Es nieselt, Liebe wird aus Mut gemacht und keiner hört zu.

V erdammter, ekelhafter Nieselregen. Und immer noch gibt es keine Schirmständer in der S-Bahn. Man weiß nie, wohin mit dem nassen Schirm. Schirmständer wären gut, auch wenn man ständig seinen Schirm darin vergessen würde, aber das würden andere auch tun, und man könnte sich, wenn man mal einen braucht, einfach einen nehmen, den jemand anders vergessen hat. Schirmsharing.

Jedenfalls sitze ich in der S-Bahn und lese Zeitung. Ein Mann mit buntem Hemd steigt ein und setzt sich neben mich, seinen Schirm steckt er sich zwischen die Beine. „Sagen Sie“, dreht er sich zu mir, „sieht das unanständig aus, wie ich hier so sitze?“ „Wieso?“, frage ich. „Na ja“, sagt er, und nickt Richtung Schirm.

Der Schirm ist ein langer Schirm, also ein normaler, nicht so ein Klappdings, und ragt senkrecht zwischen den Beinen des Mannes hoch. „Wegen dem Schirm, so?“, frage ich. „Wegen dem Schirm“, sagt er. „Nee“, sage ich, „ist nicht unanständig. Ist ja nur ’n Schirm, wa?“ Er guckt mich an. „Denkste. Dit is ’n Zauberstab.“

„Ach“, sage ich, „aber selbst dann ist es eigentlich nicht unanständig.“ Er grinst. Irgendetwas in mir sagt, ich könnte ihn zurückfragen, ob er es unanständig findet, dass meine Zeitung ein bisschen feucht ist, aber – nein. Ganz bestimmt nicht. Ich könnte auch sagen, dass ich gerade über Schirmständer nachgedacht habe – auch nicht. Nein, nein, nein. Ich lese weiter.

Dann fängt er an, zum ganzen S-Bahn-Waggon zu reden. „Liebe wird aus Mut gemacht, und ich bau mir ein Schloss aus Sand“, sagt er. „Wenn ihr mich das nächste Mal seht, werde ich mir eine Plastiktüte über den Kopf gezogen haben.“ Und: „Halt’s Maul, Josef.“

Niemand guckt ihn an, natürlich, und niemand sagt etwas. Wenn jemand in der S-Bahn zu allen Leuten spricht, antwortet keiner. Heißt aber vermutlich auch niemand Josef. Vielleicht heißt der Mann selber Josef. Oder der Zauberstab.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Klingt nach einem verzweifelten Annäherungsversuch eines einsamen Berliners. Manche Männer glauben immer, Frauen könnten sie aus ihrer Einsamkeit befreien. Beweise gibt's dafür aber keine.

  • I
    ion

    So-so, dit is also DIE berühmte "Berliner Szene" in der Hackle-Feucht – na, denn ma jute nacht, wa?!