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Berliner SzenenVon innen Vanüllje

Wenn Schokoeis aus ist und es stattdessen Sanddorn gibt, ist bald auch der bezahlbare Wohnraum aus.

Waffel oder Becher? Bild: dpa

V or der Marheineke-Markthalle steht ein Schild, das wirbt für „Künstliche Shakes“. Find ich gut. Ich gucke nochmal, und natürlich steht das da nicht. Da steht „Köstliche Shakes“. Klar. Bergmannstraße.

S. bleibt stehen, fragt „Eis?“, ich nicke. Es gibt Eissorten wie Sanddorn, Soja-Kokos, Gurke-Limette-Basilikum. Ich überlege, nach Schlumpfeis zu fragen, aus Prinzip. Ach, ich weiß auch nicht. Ich finde Bio-vegan-Zeugs ja toll, aber mir kriecht eine schwarze Hölle ins Hirn, wenn ich diese Eissorten sehe.

Vor uns ist ein Mann dran. „Habta Schoko?“, fragt der Mann. „Wir haben heute nur noch Soja-Schoko oder Schoko-Chili“, sagt der Verkäufer. Hmpf, macht der Mann. „Also Soja-Schoko ist eigentlich Schoko“, sagt der Verkäufer, „aber schmeckt halt bisschen nach Soja.“ „Jib ma Vanüllje“, sagt der Mann. Dann sind S. und ich dran. Ich nehme Biojogurt-Limette, S. Mango.

Wir zahlen, gehen, lecken. Ich esse Biojogurt-Limette, schmeckt auch okay, aber von innen bin ich dieser Mann mit Vanüllje. Ich will das alles nicht. Es macht mich fertig. Alle Eisdielen, die hier aufmachen, haben dieses crazy Eis. Süßkartoffel und Guave-Hibiskus. Es schmeckt alles gut und so, und es sind glückliche Süßkartoffeln, genau wie die kleinen Kinder, die mit ihren Laufrädern rumrollen, das sind auch glückliche Süßkartoffeln.

Es macht mich nur alles unfassbar melancholisch. Es wird der Tag kommen, an dem ich mir diese Gegend hier nicht mehr leisten kann. Es ist sowieso schon der Tag gekommen, an dem ich es hasste, auf die Straße zu treten und lauter Leute zu sehen, die doppelt so viel verdienen wie ich. Ach, dreimal, viermal, leck mich. Wenn die heiraten, sparen sie pro Nase so viel Steuern, wie ich im Jahr verdiene. Ein röchelnder Mops läuft vorbei und sieht kacke aus. „Mein nächstes Haustier wird ein Steingarten“, sagt S. Ich liebe ihn.

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Margarete Stokowski
Autorin
Jahrgang 1986. Schreibt seit 2009 für die taz über Kultur, Gesellschaft und Sex. Foto: Esra Rotthoff
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