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Berliner StraßenporträtStraße lesen

Tempo-30-Zone mit Gründerzeitfassaden und vielen Spuren jüdischer Geschichte: Ein Spaziergang durch die Florastraße in Pankow.

Unterwegs in der Florastraße Foto: Robert Conrad

Berlin taz | Wer aus dem Berliner Stadtzentrum, über die Schönhauser Allee kommend, in die Pankower Florastraße will, muss hinter den Bahndamm, denn dort ist es, wo sie an einer stählernen Bogenbrücke abbiegt und die Breite Straße mit der Wollankstraße in Richtung Wedding verbindet. Communikationsweg hieß die Florastraße im 19. Jahrhundert, bis sie in dessen zweiter Hälfte ihren heutigen Namen erhielt, nach der römischen Blütengöttin und den zahlreichen Gartenanlagen, die damals das Straßenbild prägten.

Tatsächlich wird, wer die Florastraße auf ihrem einen Kilometer Länge erkundet, auch heute insgesamt drei Blumenläden bemerken. Gerade mal eine Viertelstunde zu Fuß oder fünf Minuten mit dem Rad wird das dauern, wobei es ratsam ist, mehr Zeit einzuplanen.

Wer wie skizziert den Weg zur Florastraße gefunden hat, wird sich auf jeden Fall erst einmal einem Bauwerk gegenübersehen, das mit dem Abstand des Panoramablicks ansprechender wirkt als aus der Nähe, einem Dienstleistungszentrum mit meerdunkler Natursteinfassade. Aus der Distanz gleicht der Mittelteil des 2012 fertiggestellten Gebäudes einer Brücke über einen der Eingänge zum U-Bahnhof Pankow, aus der Nähe ist es eben eine Mall mit einem Edeka-Markt und Einzelhandel, einer Drogerie und Arztpraxen.

Zu dem Ensemble gehört aber auch ein ausladendes metallenes Gedenkband von Susanne Ahner mit dem Schriftzug „Garbáty“, es erinnert an den deutsch-jüdischen Zigarettenfabrikanten Josef Garbáty, dessen Firma und Familie bis Ende der dreißiger Jahre nicht nur Arbeitgeber, sondern sozial engagiert und ihrer Zeit um einiges voraus waren: So gab es bei Garbáty bereits 1918 eine Arbeitslosenversicherung, die Firma sponserte Sportveranstaltungen und das Jüdische Waisenhaus in der nahe gelegenen Berliner Straße.

Als Josef Garbáty seine Firma 1906 in die Hadlichstraße, ebenfalls hinter den Bahndamm, holte, gehörte Pankow noch zum Landkreis Niederbarnim und war formal ein Dorf, seiner sprunghaft steigenden Einwohnerzahl zum Trotz. 1870 hatte Pankow 2.105 Einwohner gezählt, ihre Zahl sollte sich bis 1890 mehr als verdreifachen und dann bis 1912 großzügig verdoppeln.

1918, zwei Jahre vor der Eingemeindung durch das Groß-Berlin-Gesetz, lebten dann 58.000 Menschen in Pankow. Aus dieser Zeit datiert auch Berlin in seiner heutigen Ausdehnung. Der S-Bahnhof Pankow, ein Ensemble aus Empfangs-, Wohn- und Verwaltungsgebäude, Treppenaufgang und Bahnsteig in der Florastraße 52, konnte wenige Jahre vorher fertiggestellt werden. Seine Entstehungszeit ist dem Baudenkmal anzusehen; das ist ein Kompliment.

Dabei verströmt die Florastraße auf dieser Höhe eine gewisse Rauheit. Es braucht schon ein paar Schritte, bis sich nach der Bahnhofsgegend hinter der Mühlenstraße jenes Viertel zeigt, das fast wie eine Prenzlauer-Berg-Exklave wirkt. Da sind ein Tee- und ein Bioladen, eine Apotheke, Musikschule und Fahrradwerkstatt. Mit dem „Prager Frühling 1968“ hat die Florastraße eine amtliche tschechische Kneipe mit Verköstigung zu bieten. Aber wer an der Ecke, wo sich Flora- und Wollankstraße kreuzen, aus der Trattoria kommt, sieht die Suppenküche des Franziskaner­klosters.

Die Florastraße ist Tempo-30-Zone mit Gründerzeitfassaden und umzäunten Vorgärten. An einer Stelle rostet malerisch ein Balkon vor sich hin, gegenüber steht ein Haus, das sich in einem mitteleuropäischen Spielfilm gut machen würde. Pankow ist ein Kinobezirk gewesen. Das „Zimmer 16“, benannt nach seiner Hausnummer, beherbergt an der Adresse eines ehemaligen Lichtspielhauses eine Kleinkunstbühne. 2019 ist es hier zu Mieterprotesten gekommen. Neun Häuser in der Florastraße und ihrer Umgebung, darunter das von „Zimmer 16“, standen zum Verkauf an die Deutsche Wohnen; die Betroffenen fürchteten Mietsteigerungen und Verdrängung. Für vier Wohnhäuser konnte das Bezirksamt eine Abwendungsvereinbarung treffen.

Ein erschwingliches Pflaster ist die Florastraße nicht, auch wenn es in ihr sogar eine Umsonstboutique gibt. Sie gehört zum Unabhängigen Jugend­zen­trum Pankow e. V., kurz JUP genannt, einer Institution seit den frühen neunziger Jahren. Mit seinen Transparenten und dem Schriftzug „Räubahöhle“ über dem Eingang zum Café, Räuber mit Anarchie-A, versteht sich, könnte es sogar aus dem Kreuzberg der achtziger Jahre kommen.

Dann ist die Florastraße eine Adres­se, wo es annähernd so viele Buchläden wie Friseursalons gibt. Da sind die „Buchdisko“ und der „Buchsegler“, dann die kürzlich eröffnete Dependance des Ventil-Verlags und das „einBuch.haus“, eine Galerie und Kunstbuchplattform.

Als Pionier dieser Tradition darf ein Pankower jüdischer Schriftsteller vermutet werden, Albert Katz. Seine Geschichte erzählt der Historiker Hermann Simon in dem mittlerweile vergriffenen Buch „Jüdische Lebenswege. Ein kulturhistorischer Streifzug durch Pankow und Niederschönhausen“ von Inge Lammel, einer Musikwissenschaftlerin und Expertin für Arbeiterlieder. Katz kam 1881 aus seiner Geburtsstadt Łódź nach Berlin, Simon zitiert aus einem Adressbuch des Jahres 1899, in dem die Florastraße 58 als Adres­se des „Buchhändlers Dr. phil. Albert Katz“ angegeben wird.

Die Florastraße ist eine, in der gelesen werden kann und über die gelesen werden sollte

Die Florastraße ist eine, in der gelesen werden kann und über die gelesen werden sollte. An der Ecke Dusekestraße, in Richtung Rathaus Pankow und Volkshochschule, sticht eine Wohnanlage im Stil der Zwanzige-Jahre-Moderne he­raus. Sie hat etwas eigentlich Unmögliches, eine runde Ecke. Über ihre Architekten, die gebürtigen Berliner Alfred Wiener und Hans Sigmund Jaretzki, die von 1925 bis 1930 ein gemeinsames Architekturbüro unterhielten, schreibt die deutschisraelische Architektin und Bauhistorikerin Myra Wahrhaftig in dem Buch „Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933 – Das Lexikon“.

Schön sich rundend: modernes Bauen in der Florastraße Foto: Robert Conrad

Auf Wiener und Jaretzki gehen mehrere Berliner Wohn- und Geschäftsbauten im sachlich-eleganten Stil zurück, außer in Pankow in Schmargendorf, Prenzlauer Berg und Weißensee. Jaretzki floh 1933 vor den Nazis über Holland und Frankreich nach London, wo er weiter als Architekt arbeitete. Alfred Wiener sollte erst 1938 mit seiner kranken Tochter nach Palästina fliehen, seine in Deutschland gebliebene Frau und die Schwiegermutter wurden im Konzentrationslager ermordet.

1938 ist auch das Jahr, in dem aufgrund der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ der Besitz der Familie Garbáty zwangsverkauft wurde. ­Josef Garbáty, der Gründer des Zigarettenimperiums, starb 1939 in Deutschland. Seiner Familie gelang die Flucht in die USA, seine Pflegerin Sophie Boroschek wurde 1943 vergast.

Seit dem Jahr 2000 trägt der Vorplatz des S-Bahnhofs Pankow den Namen Garbáty.

In unmittelbarer Nachbarschaft des Bahnhofs, in der Florastraße 48, erinnert eine Gedenktafel an die kinderreiche Familie Jany, die an dieser Stelle ihren Laden mit Wirtschaftsartikeln betrieb und gleich nebenan in der Nummer 50 wohnte. Das Foto auf der Gedenktafel ist auch eines der Einbandfotos von Inge Lammels Buch „Jüdische Lebenswege“, das der Familie Jany und ihrer weitverzweigten Geschichte ein Kapitel widmet: über die Herkunft aus Ungarn, die Heirat des Familienoberhaupts Adolf Jany mit Margarete Bernstein, einer Cousine des SPD-Politikers Eduard Bernstein und des KPD-Politikers Rudolf Bernstein. Elfriede Jany, eine der Töchter, arbeitete als Lehrerin für Deutsch, Englisch und Turnen an der jüdischen Schule in der Rykestraße in Prenzlauer Berg.

Im Februar/März 1943 verhafteten die Nazis acht der Familienmitglieder und ermordeten sie in Auschwitz. Die Gedenktafel wurde 2004 durch den Verein der Förderer und Freunde des ehemaligen Jüdischen Waisenhauses in Pankow e. V. enthüllt, der Lammels Buch mit herausgegeben hat. Dessen fünftes Kapitel ist überschrieben mit: „Pankower ­Juden im Widerstand“.

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