Berliner Stimmen aus der Quarantäne (6): Die Lebensfreude ist auf Kurzarbeit
Die Berliner Comic-Zeichnerin, Künstlerin und Autorin Katharina Greve über das Fehlen von Überschwang und Überraschungen in Zeiten von Covid 19.
taz: Was würden Sie in einer Welt ohne Covid 19 gerade machen?
Katharina Greve: Ich wäre gerade vom Internationalen Comic-Salon in Erlangen zurückgekommen, der wichtigsten Veranstaltung für die deutschsprachige Comic-Szene. Vier Tage lang hätte ich alte Freund*innen und feine Kolleg*innen getroffen, famose Ausstellungen gesehen und mir die Nächte in meiner liebsten Erlanger Kneipe „Schwarzer Ritter“ um die Ohren geschlagen. Natürlich hätte ich auch mal wieder zu viele Bücher gekauft. Dieses schreckliche Schicksal ist mir nun erspart geblieben.
Was haben Sie zuletzt gestreamt, das Sie besonders gut oder schlecht fanden? Und warum?
Ich höre beim Zeichnen sehr gern klassisches Radio, vor allem Deutschlandfunk. Dort findet man live oder in der Mediathek immer interessante Sendungen. Die „Lange Nacht“ über Wolfram Siebecks Gourmetreisen – drei Stunden Tonbandaufnahmen seiner Restaurantkritiken – habe ich nun schon zweimal gehört, da ich sie so hinreißend komisch finde.
Katharina Greve, geboren 1972 in Hamburg, studierte Architektur und lebt als Cartoonistin, Comic-Zeichnerin, Künstlerin und Autorin in Berlin. Neben Arbeiten für Titanic, taz, neues deutschland und Das Magazin veröffentlichte sie bisher eine Solo-Cartoon-Sammlung und fünf Comic-Bände. Für ihren Web-Comic „Das Hochhaus“ erhielt sie 2016 den Max und Moritz-Preis für den besten deutschsprachigen Comic-Strip beim Internationalen Comic-Salon Erlangen. www.katharinagreve.deFoto: Marcus Müller
Was halten Sie vom (oft kostenlosen) Streaming von Theateraufführungen, Konzerten, DJ-Sets oder Lesungen?
Sie mögen ein wenig über die auftrittslose Zeit hinweghelfen, vielleicht den Künstler*innen mehr als den Zuschauenden, um sichtbar zu bleiben, um der Zeit eine Struktur zu geben. Eine echte Lösung sind sie aber nicht. Zum einen sind sie nur ein matter Abglanz des echten Erlebnisses vor Ort. Und zum anderen verwässern sie weiter das Wissen darum, dass Kultur Arbeit ist, die bezahlt werden muss.
Welchen Ort in Berlin vermissen Sie gerade am meisten?
Es ist kein konkreter Ort, den ich vermisse. Mir fehlt das Überraschende, das Unabsichtliche, der Überschwang. All das, was nur durch eine gewisse Menge und Dichte an Menschen entstehen kann.
Womit vertreiben Sie sich aktuell am liebsten die Zeit? Welche Routinen haben Sie seit dem Lockdown entwickelt?
Da die Kulturbeilage taz Plan in unserer Printausgabe derzeit pausiert, erscheinen Texte nun vermehrt an dieser Stelle. Mehr Empfehlungen vom taz plan: www.taz.de/tazplan.
In der neuen Interviewreihe „Berliner Stimmen“ stellt der taz plan Berliner Kulturschaffenden Fragen zu Kultur, Alltag und Stadtleben.
Der Kern meines Arbeitslebens hat sich nicht gravierend verändert. Zwar sind alle Messen, Ausstellungseröffnungen und Lesungen ausgefallen, die Zeichnerei am heimischen Schreibtisch jedoch geht weiter. Gerade sitze ich am nächsten Buch, das im September im avant-verlag erscheinen wird: „Die letzten 23 Tage der Plüm“. Einigen Berliner taz-Leser*innen mag das bekannt vorkommen.
Das Buch basiert auf einer Comic-Strip-Serie, die ich 2016 für den taz Plan gezeichnet habe. Es geht um einen drohenden Weltuntergang auf dem kleinen Planeten Plümos und die Unfähigkeit zum klugen Handeln angesichts der Katastrophe. Ungeplant aktuell.
Ist die Pandemie nur Krise oder auch Chance?
Die Welt ist mit einem Sprung deutlich schlechter geworden. All das Leid, das wir schon als normal betrachten, geht ja weiter, hier und überall. Dann kommt noch Corona obendrauf. Und die Lebensfreude ist vorerst auf Kurzarbeit. Es besteht vielleicht die winzige Chance, dass einige der systemrelevanten Beschäftigen hierzulande ein paar Euro mehr und bessere Arbeitsbedingungen bekommen – was mich natürlich freuen würde. Aber summa summarum: eine schlechte Ausbeute.
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