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Berliner SPD„Weckruf“ der Ex-Größen

Frühere SPD-Senatoren und weitere ehemals führende Köpfe der Partei sehen Vertrauensverlust und stellen sich gegen Enteignung und Gratis-Angebote.

Ein anderer Wind soll in der Berliner SPD wegen, fordert eine mit sehr prominenten Ehemaligen bestückte Gruppe Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin taz | 50 teils prominente Berliner SPD-Mitglieder, die mehrheitlich aus dem konservativen Parteispektrum stammen, haben in einem von ihnen als „Weckruf“ bezeichneten Papier heftige Kritik an ihrem Landesverband geübt. Der sei, so der Tenor, oftmals lebensfern. „Die Berliner SPD hat ihre gesellschaftliche Verankerung verloren“, heißt es in dem dreiseitigen Text, der der taz vorliegt. Die Unterzeichner distanzieren sich beispielsweise von einer Enteignung großer Wohnungskonzerne, die zu unterstützen eigentlich auf dem Landesparteitag beschlossen wurde.

Auch mit der vor allem von SPD-Fraktionschef Raed Saleh betriebenen Politik, Kitabetreuung, Schulessen und BVG-Karte universell zu subventionieren – als „Umsonst-Stadt“ bezeichnet –, ist die Gruppe nicht einverstanden, weil so auch Gutverdiener entlastet werden.

Unterschrieben ist das dreiseitige Papier unter anderem von sieben früheren Senatsmitgliedern. Darunter sind welche, deren Zeit in der Landesregierung zwei Jahrzehnte zurückliegt, wie bei dem früher für Stadtentwicklung zuständigen Peter Strieder, der damals auch Parteivorsitzender war. Unterzeichnet haben aber auch Stephan Schwarz und Astrid Busse, die bis vor zwei Jahren noch im Senat für Wirtschaft beziehungsweise Bildung zuständig waren.

Beide kamen – als vormaliger Handwerkskammerpräsident und langjährige Schulleiterin – als Praktiker in die Landesregierung. Weil sie bis dahin parteilos waren, sind sie aber – anders als Strieder – in der SPD nicht tief vernetzt. Zu der Gruppe gehört neben dem 2021 nach sieben Jahren als Regierender Bürgermeister in den Bundestag gewechselten Michael Müller auch eine aktuelle Führungskraft mit SPD-Parteibuch: Bezirksstadtrat Oliver Schwork aus Tempelhof-Schöneberg. Ein weiterer bekannter Name unter dem Text ist der von Ralf Wieland, bis 2023 Präsident des Abgeordnetenhauses.

Schwork war unter den vier Gruppenmitgliedern, die das Papier am Montag vorstellten. Mit dabei: der frühere Bildungssenator Jürgen Zöllner, der vor seiner 2011 endenden Berliner Amtszeit schon Minister in Rheinland-Pfalz war. Er arbeitete sich dabei nach Teilnehmerangaben an der Personalauswahl seiner Partei bei der Aufstellung der SPD-Landesliste für die jüngste Bundestagswahl ab. Den früheren Regierenden Bürgermeister Michael Müller dabei außen vorzulassen, sei „unanständig“ gewesen. Denen, die vorne auf der Liste platziert wurden, hielt er demnach vor, fast durchweg keinen wirklichen Kontakt zur arbeitenden Mitte zu haben.

„Wählerwanderung von der SPD zur AfD“

In dem Papier ist die Rede von einem „strukturellen Vertrauensverlust“ der Sozialdemokraten. „Die Wählerwanderung von der SPD zur AfD ist erschreckend“, heißt es. Das soll nicht allein an der Bundespolitik oder der Koalition mit der CDU liegen. Ursache sei, „dass in der Berliner SPD häufig Themen die politische Agenda dominieren, die an den Alltagserfahrungen und der Lebenswirklichkeit der Berlinerinnen und Berliner vorbeigehen.“ Bei der Bundestagswahl im Februar war die SPD in Berlin mit 15,1 Prozent der Stimmen nur auf Platz 5 gelandet, hinter Linkspartei, CDU und Grünen und auch noch ein Zehntelprozent hinter der AfD.

Man werde die Demokratie nicht durch Parolen verteidigen, „sondern nur, wenn wir den Menschen zuhören und nicht mehr versuchen, ihnen von oben herab zu erklären, dass sich die Dinge ganz anders darstellen, als sie glauben.“ Der Text drängt darauf, alltäglich Themen wie Wohnen, Sicherheit, Sauberkeit und Mobilität stärker in den Blick zu nehmen. „Enteignungs-Debatten verhindern Neubau“, heißt es unter anderem.

Fraktionschef Saleh mochte sich gegenüber der taz nicht zur Kritik an den maßgeblich von ihm verantworteten Gratis-Angeboten äußern. „Das Prinzip „Umsonst-Stadt“ führt doppelt zu sozialer Ungerechtigkeit“, hatten die Autoren des Papiers formuliert. Stellung zu dem Text nahm die Co-SPD-Vorsitzende Nicola Böcker-Giannini: „Wir freuen uns, dass es in der SPD Berlin den vielfältigen Wunsch nach Erneuerung gibt“, ließ sie sich zitieren. Sie verwies darauf, dass sie mit ihrem Co-Vorsitzenden Martin Hikel die SPD seit 2024 – in jenem Jahr kamen beide nach einem Mitgliedervotum ins Amt – kontinuierlich erneuere.

Böcker-Giannini wie Hikel gehören dem konservativen Flügel der auf der Funktionärsebene mehrheitlich links orientierten Berliner SPD an. Sie hatten sich selbst vor einem Jahr kritisch gegenüber den Gratis-Angeboten geäußert. In der Spitze der Partei sind sie aber von Vorstandsmitgliedern umgeben, die nicht wie sie direkt von der Basis, sondern vom links dominierten Landesparteitag gewählt sind. Die von den Kritikern im „Weckruf“ angesprochenen Punkte dort umzusetzen, ist ihnen bislang in dieser Konstellation nicht gelungen.

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2 Kommentare

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  • Was soll man von der SPD halt erwarten? Da fehlt nicht mehr viel, damit diese Partei als anschlussfähig zur CDU gilt. Man fragt sich eh wofür braucht es die SPD, wenn die CDU das rechte bzw. rechtspopulistische Programm schon umsetzt? Und Leute wie Klingbeil als Vertreter*innen des Parteirechten Seeheimer Kreises dieses auch nur abnicken. Da fällt einem zu den ehemaligen Sozialdemokraten nicht mehr soviel ein. Nur das sie sich selbst überflüssig und bei den nächsten Wahlen bedeutungslos machen. Mehr braucht man dazu nicht zu sagen. Die Wähler*innen-Basis wird dadurch halt nicht größer sondern immer nur kleiner für die lieben Sozis.

  • das ist zum kringeln: den bürger*innen soll auf der suche nach "gesellschaftlicher verankerung" mehr zugehört werden, aber wenn knapp 2/3 der wahlberechtigten einen volksentscheid zur vergesellschaftung börsennotierter wohnungsunternehmen unterstützen, dann ignoriert man das, hält sich die ohren zu und schreit "bauen, bauen, bauen". die selbstabschaffung der spd ist weiter in vollem gange...