Berliner SPD-Fraktionschef: Salehs letzte Bastion
Lange galt Raed Saleh als mächtigster Mann der SPD Berlin. Den Landesvorsitz ist er zwar los, an der Fraktionsspitze kann er sich aber behaupten.
Nicht nur hier konnte sich Saleh durchsetzen. Auch ein – von ihm abgelehnter – Antrag, sofort eine männlich-weibliche Doppelspitze für die Fraktion einzuführen, fand keine Mehrheit. 10 Abgeordnete stimmten dafür, 23 dagegen. Es bleibt damit bei der festgelegten Linie, dass sich nun eine noch einzusetzende Arbeitsgruppe bis Sommer 2025 mit Geschlechterparität in der Fraktion und der Option einer Doppelspitze befassen soll.
„Ich bin sehr stolz auf meine Fraktion, eine sehr starke Fraktion“, sagte Saleh nach der Entscheidung. Zudem hätten sich die Abgeordneten ja darauf geeinigt, „dass grundsätzlich eine Doppelspitze möglich ist“. Auch hierauf sei er „stolz“. Seine kurze Wahlanalyse: Die SPD wolle, „dass wir uns nicht mehr mit uns selbst beschäftigen“, es gehe jetzt darum, „geschlossen rauszugehen“.
Die Wahl des Fraktionsvorstands war nach übereinstimmenden Berichten eigentlich auf Juni terminiert. Dass sie in der vergangenen Woche kurzerhand auf diesen Dienstag verlegt wurde, sorgte in der Partei flügelübergreifend für Unmut. Saleh widersprach jetzt auf Nachfrage: „Es gab nie einen Termin.“
Segler-Tipps bleiben ungehört
Mehr noch als der Termin stand der Umstand in der Kritik, dass sich der Spandauer bislang konsequent einer Fraktionsdoppelspitze verweigert. Martin Matz, der innenpolitische Sprecher der Fraktion, gab kurz vor der Fraktionsabstimmung in den sozialen Medien noch den Rat: „Der erfahrene Segler verringert bei starken Winden die Angriffsfläche, indem er die Segel refft.“ Sein Appell verhallte ungehört.
Der alte und neue Fraktionschef verweist intern stets darauf, dass nicht nur die SPD-Bundestagsfraktion, sondern auch andere Landtagsfraktionen mit einer oder einem Vorsitzenden auskommen. Tatsächlich sprach sich auch die Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen 2023 klar gegen eine Doppelspitze aus.
Raed Saleh führt die Fraktion seit über zwölf Jahren, seit Ende 2020 teilt er sich mit Franziska Giffey zusätzlich den Landesvorsitz. Letzteren werden beide am Samstag beim SPD-Landesparteitag aber ohnehin abgeben müssen. Während Giffey ihren Chefinnenposten freilich von sich aus aufgibt, erfolgt der Rückzug Salehs von der Parteispitze alles andere als freiwillig. In der jetzt zu Ende gegangen Mitgliederbefragung kam er in der ersten Runde zusammen mit seiner Co-Kandidatin Luise Lehmann auf nicht mal 16 Prozent und schied vor der Stichwahl aus.
Das Rennen an der Basis gemacht haben letztlich Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Ex-Sportstaatssekretärin Nicola Böcker-Giannini vom rechten Parteiflügel. In der zweiten und entscheidenden Runde der Befragung setzten sich die beiden gegen die Parteilinken Kian Niroomand und Jana Bertels durch.
Mission Machtsicherung
Die vorgezogene Fraktionswahl wurde in der SPD auch und vor allem als Panikreaktion verstanden, mit der sich Saleh seine Machtbasis im Abgeordnetenhaus sichern will. Die neuen Parteivorsitzenden Hikel und Böcker-Giannini kritisierten den Schritt ebenso wie das unterlegene Duo. Kian Niroomand sagte dazu: „Das ist genau der Stil, den viele Mitglieder dieser Partei nicht mehr wollen.“
Klar ist: Der Rückhalt für die Politik Salehs bröckelt stückchenweise. Bei der letzten Abstimmung über den SPD-Fraktionsvorstand kurz nach der Wiederholungswahl 2023 – und vor dem von Saleh und Giffey vorangetriebenen Kursschwenk von Rot-Grün-Rot zur CDU – wurde er noch mit realsozialistischen 100 Prozent wiedergewählt. Inzwischen sind es eben nur noch 75 Prozent. Saleh ficht das nicht an. „Die Fraktion ist jetzt sortiert“, sagte er.
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