Berliner S-Bahn: 180 Punkte für die Pünktlichkeit
Mit ihrem bisher umfassendsten Qualitätsprogramm will die S-Bahn die Unpünktlichkeit in den Griff kriegen. Grundlegende Probleme bleiben.
Er begann mit einer devoten Rückschau, dieser Mittwochvormittag in der S-Bahn-Zentrale am Hauptbahnhof. Da hatte doch jemand schon vorab der Presse gesteckt, dass verspätete S-Bahnen künftig an manchen Stationen einfach durchfahren sollten. Weil dies Medien, Kunden und Senat gleichermaßen empörte, war die Bahn vorauseilend zurückgerudert. Dabei hätte die zum Beispiel in London übliche Maßnahme nur 3 von 3.000 Zügen täglich betroffen. Aber man wolle „die Innovationsfreude der Berliner“ ja nicht überstrapazieren, versicherte Alexander Kaczmarek, Konzernverantwortlicher der Bahn für Berlin. So war das Qualitätsprogramm der Berliner S-Bahn schon vor der eigentlichen Vorstellung um einen Punkt ärmer.
Übrig blieb ein 180 Maßnahmen umfassendes Paket mit dem Ziel, die anspruchsvolle Berliner Kundschaft zufriedener zu machen. Und die will vor allem eines: mehr Pünktlichkeit. Das sagt zumindest die zweimal jährlich durchgeführte VBB-Zufriedenheitsstudie.
Nun gibt es mannigfaltige Gründe für S-Bahn-Verspätungen: Störungen im Betriebsablauf, Signal- und Weichenstörung, Personen im Gleis, Schäden am Fahrzeug. Entsprechend kleinteilig zeigten sich auch die Maßnahmen. Ein paar Highlights: In einem Pilotprojekt sollen zwischen Ostbahnhof und Alexanderplatz die Türen in den Stoßzeiten zentral vom Lokführer geöffnet und geschlossen werden. Absperrungen am Gleiskopf sollen verhindern, dass am Ostbahnhof jedes Jahr rund 100 Personen unerlaubterweise ins Gleisbett klettern und Sperrungen verursachen. Elektronikschränke in den Fahrzeugen, die sich überhitzen und damit den ganzen Zug lahmlegen, sollen ab Herbst mit einer zusätzlichen Kühlung versorgt werden.
Das System robuster machen
1,4 Millionen Fahrgäste transportiert die Berliner S-Bahn täglich.
94,5 Prozent der S-Bahn-Züge waren im ersten Halbjahr pünktlich. Ziel seien 96 Prozent, so die S-Bahn.
Die Note 2,51 gaben in der jüngsten VBB-Kundenzufriedenheitsstudie die befragten Fahrgäste der S-Bahn. Hauptbeschwerdepunkt: Unpünktlichkeit.
30 Millionen Euro kostet das aktuelle Qualitätsprogramm, das bis 2025 umgesetzt sein soll. 5,5 Millionen Euro davon fließen in die Aufwertung von 17 Bahnhöfen.
Hauptgrund für Störfälle sind aber Signal- und Weichenstörungen – 3 bis 4 Mal täglich stoppen sie den Verkehr. Eine monatliche statt zweimonatliche Wartung, besser gegen Tierbiss und Feuchtigkeit isolierte Kabel und – man darf erwartungsvoll auf kommende Winter blicken – neue Weichenheizungen sollen das ganze System robuster machen.
Im Falle einer Störung sollen etwa zusätzliche Ersatzteildepots entlang der Stadtbahn und elektronisch an die Lokführer übermittelte Umleitungs-Fahrpläne die Verspätungen klein halten.
Der sonst recht kritische Fahrgastverband lobte das Programm ausdrücklich, mahnte aber auch an, die dicken Bretter zu bohren. Das wäre dann vor allem die Tatsache, dass kein anderes S-Bahn-Netz in Deutschland so viele eingleisige Abschnitte hat – Provisorien aus der Nachkriegszeit, auf denen sich Sekunden zu Minuten und im Ernstfall Stunden an Verspätung aufsummieren. Daran etwas zu ändern, würde laut einer Machbarkeitsstudie der Bahn bis zu 1 Milliarde Euro kosten.
Das aktuelle Paket kostet 30 Millionen Euro und ist – wie eingangs bemerkt – offenbar noch verhandelbar. Im August sollen die Maßnahmen jedenfalls an verschiedenen Bahnhöfen präsentiert werden. Man freue sich auf Anregungen der Fahrgäste und stelle sich auf „kernige Diskussionen“ ein, so Kaczmarek. Sekunden der Verspätung haben sich da eben zu einer Menge Frust aufgestaut.
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