Berliner Piraten: Hoffen auf höhere Weihen
Die Berliner Piraten suchen Kandidaten. Nach der verkorksten Wahl im Frühjahr interessieren sich die Mitglieder kaum für den Vorstand. Sie wollen in den Bundestag.
BERLIN taz | Diesmal wollten sie alles besser machen: statt Spontankandidaturen auf dem Parteitag ihre Vorsitzanwärter im Voraus prüfen. Nur: Gut einen Monat vor dem nächsten Parteitreffen der Berliner Piraten finden sich kaum Mitglieder, die in den Vorstand wollen. Der Abgeordnete Martin Delius reagierte jetzt mit einem eindringlichen Appell.
Er verstehe nicht, schrieb Delius in einer internen Mail-Liste, „wie wir von Mitmachpartei reden können, wenn sich im Landesverband nicht mal 3 bis 5 Mitglieder finden, die Verantwortung übernehmen möchten“. Offenbar sei es eine „scheinheilige Selbstlüge“ gewesen, die Wahl Mitte September besser vorzubereiten, statt wieder „einen Überraschungsvorstand“ zu bestimmen. Dann kündigte Delius noch allen seinen „Gegenwind“ an, die „die Frechheit besitzen, erst kurzfristig anzutreten“.
Der Mahnruf kommt nicht von ungefähr. Noch hängt die Schlappe des letzten Parteitags vom Februar nach. Damals rechneten alle mit der Wiederwahl des Landeschefs Gerhard Anger. Der aber zog kurzfristig wegen des „emotionalen Drucks“ zurück, stattdessen wurde Spontankandidat Hartmut Semken zum neuen Vorsitzenden gewählt. Mit den bekannten Folgen: Semken verstrickte sich in krude Links-rechts-Vergleiche, Mitglieder opponierten, im Mai trat der 45-Jährige zurück. Seitdem füllt Vizechefin Christiane Schinkel den Vorsitz kommissarisch aus.
Für die Neuwahl des fünfköpfigen Vorstands haben bisher nur gut ein halbes Dutzend Mitglieder ihre Kandidatur erklärt – in der Partei profiliert ist davon fast niemand. Vorstandsmitglied und Schatzmeister Enno Park macht die hohen Erwartungen für das schleppende Interesse verantwortlich. „Im Vorstand kann man es keinem recht machen“, klagt der 39-Jährige. Es sei schwierig, da, „ohne Popularität zu verlieren, durchzukommen“.
Park kündigte nun an, dennoch wieder zu kandidieren, auch für den Vorsitz. Er habe lange überlegt, ob er den Stress tragen könne, „aber mir liegt die Sache am Herzen“. Auch Vize Schinkel trägt sich mit einem Antritt.
Delius konstatiert ebenso eine enorme Erwartungshaltung an den Vorstand, gerade nach der Parteikritik an Semken. „Es sollte aber klar sein, dass ein Kandidat nicht alles erfüllen kann.“ In der Partei wird noch ein anderes Motiv diskutiert: Viele Mitglieder wollen offenbar statt für den Vorstand lieber im nächsten Jahr für den Bundestag kandidieren. Delius sieht hier keinen Ausschluss: „Es sollte auch beides möglich sein.“ Park widerspricht: „Ich weiß nicht, wie Vorstandsarbeit und Wahlkampf zeitlich gehen sollte.“
Die Piraten können in Berlin derzeit mit drei Bundestagsmandaten rechnen. In Umfragen für das Bundesparlament liegt die Partei in der Stadt aktuell bei 13 Prozent. Bisher haben erst zwei Piraten öffentlich ihre Kandidaturen erklärt, beide Referenten der Abgeordnetenhausfraktion: Der Hacker und Acta-Aktivist Stephan Urbach will sich um Europapolitik kümmern, IT-Experte Philipp Brechler um Netz- und Technologiepolitik.
Abgeordnete wie Christopher Lauer schlossen Kandidaturen bisher aus. Wohlweislich: Die Piraten wählten fürs Abgeordnetenhaus nur eine 15-köpfige Liste, alle Kandidaten zogen ein, Nachrücker gibt es keine. Kandidiere doch ein Abgeordneter für den Bundestag, sagte Delius, wäre dies „ein medialer Super-GAU“.
Die Partei will auf einem Parteitag im Frühjahr 2013 ihre Landesliste wählen. Park erwartet einen „schwierigen Parteitag“ mit „richtig vielen Bewerbern“. Die Partei wuchs seit letztem Herbst von 900 auf rund 3.000 Mitglieder. Dass auch Neueingetretene den schnellen Aufstieg suchen könnten, sieht Delius nicht als Problem. „Ich freue mich über all die neuen, kompetenten Leute.“ Klar scheint, dass es für die Liste keine Frauenquote geben soll: Im Liquid Feedback, der Meinungsplattform der Piraten, stimmte die Basis deutlich gegen eine Quote – da dies „binäre Geschlechterkategorien zementieren“ würde.
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