Berliner Kommentar der Woche I: Jetzt bloß nicht unter­tauchen

Welche Konsequenzen sollte Berlin aus dem NSU-Urteil ziehen? Die Linke will einen U-Ausschuss, die Grünen selber forschen. Was dazwischen wäre gut.

Teilnehmer auf einer Anti-NSU-Demo in Berlin

Protest in Berlin: Demonstranten fordern nach dem Urteil gegen Zschäpe mehr Aufklärung Foto: dpa

Alles in allem fällt es uns schwer zu glauben, dass der NSU und sein Umfeld so wenig Interesse an Berlin hatten.“ Man muss kein Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker sein, um zu glauben, dass nach dem Urteilsspruch gegen Beate Zschäpe am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht in München nicht alle Wahrheit über das rechtsextreme Terrortrio und seine Unterstützer ans Licht gekommen ist. Der anfangs zitierte Satz stammt aus der „Berliner Erklärung“ der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, namentlich June Tomiak und Benedikt Lux. Die Frage ist nur: Was folgt daraus?

Tatsächlich gibt es viele Spuren des NSU, die nach Berlin führen: So will ein Wachmann im Jahr 2000 Beate Zschäpe in der Nähe der Synagoge in der Rykestraße in Prenzlauer Berg gesehen haben. War das Gotteshaus ein mögliches Anschlagsziel?

Es gibt den V-Mann des Berliner LKAs, Thomas Starke, der zum engsten Unterstützerumfeld des NSU zählte. Was wusste die Behörde über die untergetauchten Neonazis? In Brandenburg werden die Aktivitäten des V-Mannes des dortigen Verfassungsschutzes Carsten Szczepanski („Piatto“) in einem Untersuchungsausschuss untersucht. Welche Verbindungen hatte Szcze­panski nach Berlin?

Auch das Berliner Abgeordnetenhaus solle einen Untersuchungsausschuss einsetzen, um die vielen Ungereimtheiten aufzuklären, fordert deswegen der Linkspartei-Innenpolitiker ­Niklas Schrader. Der Aufwand dafür wäre groß; es wäre zudem der bereits dritte derartige Ausschuss derzeit neben dem Amri- und dem neuen BER-Ausschuss. Die Grünen-Fraktion will einen anderen Weg gehen und nun – nach dem Münchner Urteil – Einsicht in alle Berliner Akten und Informationen mit Bezug zum NSU beantragen. Aber kriegen sie die auch?

Viele Spuren der rechten Terror-zelle führen nach Berlin

Tatsächlich wäre ein gemeinsames Vorgehen zumindest der drei Regierungsfraktionen sinnvoll: um dem Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen und als Zeichen, dass Rot-Rot-Grün in Sachen NSU für Aufklärung steht. Nicht zuletzt wäre es sinnvoll, am Ende irgendeine Art offiziellen Bericht zu haben. Das Abgeordnetenhaus hat jenseits von Untersuchungs- und Sonderausschüssen keine Möglichkeit, eine solche Angelegenheit recherchieren und klären zu lassen.

Anders der Senat: So hat Innensenator Andreas Geisel (SPD), ursprünglich um einen Untersuchungsausschuss zu verhindern, im April 2017 mit Bruno Jost einen Sonderermittler im Fall Anis Amri eingesetzt. Es würde Geisel gut anstehen, dieses Vorgehen im Fall des NSU und Berlin zu wiederholen. Er könnte sich sogar zugutehalten, damit diesmal wirklich einen Untersuchungsausschuss abgebogen zu haben.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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