Berliner Hilfe für die Ukraine: Was man im Krieg so braucht
Was vom Verlin „Berlin to borders“ in Marzahn gesammelt wird, spiegelt auch den Verlauf des Krieges und die Bereitschaft zu spenden. Ein Rundgang.
„Die Gehhilfen hat unsere englische Partnerorganisation gebracht“, erzählt der Pressebevollmächtigte von „Berlin to borders“. Doch zumeist bekommt der Verein seine Spenden aus dem Berliner Raum. Privatleute und Firmen bringen Dinge vorbei oder lassen sie vom Verein abholen. Der sammelt alles Mögliche – auch Kartons mit gemischten Medikamenten und Erste-Hilfe-Kartons – in seinem Lager im vierten Stock eines Gewerbekomplexes in Marzahn. Die Krankenhäuser in der Ukraine können offenbar alles gebrauchen.
Knapp zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs haben die Macher des Berliner Vereins viele Routinen entwickelt. Jeder der etwa 15 Hauptaktivist*innen hat einen Zuständigkeitsbereich. Knickerbocker, der eigentlich Fotograf ist, seit fast zwei Jahren aber vorwiegend Aktivist, ist für Kiew, Cherson und für den Spenden-Bereich Werkzeuge zuständig. An den Wochenenden kommen Dutzende Freiwillige zum Sortieren und Verpacken nach Marzahn – und alle paar Wochen werden die Sachen per Lkw oder Van in die Ukraine transportiert. Entweder von ukrainischen Fahrern oder von den Volunteers selbst, so Knickerbocker, vor allem wenn es wertvolle Fracht gibt wie Generatoren, medizinische Geräte oder Starlink-Satellitenschüsseln.
In allen Ecken des kriegsgeschüttelten Landes hat Berlin to borders inzwischen Partnerorganisationen. „Wir liefern nur, was die brauchen und bei uns bestellen“, erklärt der 30-jährige Deutsch-Amerikaner. Inzwischen dürfe man auch nur noch an registrierte Vereine Spenden liefern, die neuen Antikorruptionsbestimmungen der ukrainischen Regierung verlangten dies. Ebenso, dass alle Spenden an der Grenze mit Geldwert und Gewicht angemeldet werden. „Ich kann das verstehen, aber es erschwert unsere Arbeit erheblich“, sagt Knickerbocker.
Spenden sammeln schwierig geworden
Schwieriger ist nach knapp zwei Jahren Krieg auch das Spendensammeln geworden. „Die Leute geben nicht mehr so leicht wie am Anfang“. Am ehesten noch für notleidende Tiere, „weniger für diese unspektakulären Dinge, die wir brauchen“, sagt der junge Mann mit ernstem Gesicht. Als sie einmal per Social Media für eine „Katzenfrau“, die in ihrem Haus Dutzende herrenlose Katzen versorgt, 500 Euro Spenden gebraucht hätten, sei das Geld binnen zwei Stunden da gewesen. Zugleich hätten sie Probleme, 600 Euro für einen Van zusammenzubringen.
Ein Grund für die abnehmende Spendenbereitschaft könnte sein, dass der Verein mit seinem Projekt „Gemeinsam4Ukraine“ auch für die ukrainische Armee sammelt. „Das wollen viele Spender nicht“, weiß Knickerbocker, „aber wir stehen dazu.“ Drohnen hätten sie schon geliefert, „die rüstet die Armee dann mit Kameras aus“, oder Tarnnetze – zumeist aber geht es um Grundversorgung für „die Jungs“, wie Knickerbocker sagt: um Hand- und Fußwärmer, Gaskartuschen, Hygieneartikel.
Gerade ist der mit dem Schild „Military“ gekennzeichnete Verschlag im Lagerraum ziemlich leer, erst kürzlich ist eine Lieferung abgegangen. Nicht mehr reingepasst in den Laster haben ein paar Dutzend Kartons, die mit „MF“ und einer Zahl zwischen 1 und 15 beschriftet sind: „Military Food“, bestehend aus Dosen- und anderem Fertigessen. Kann die ukrainische Armee ihre Soldaten nicht einmal mehr mit Essen versorgen? „Auch die brauchen inzwischen alles“, sagt Knickerbocker.
Wie zum Beweis geht er in eine dunkle Ecke und zieht ein eingeschweißtes Etwas aus einem unscheinbaren Karton: einen Leichensack. Eine sehr wichtige Sache sei dies, erklärt der junge Mann. 17.000 Säcke – schwarze fürs Militär, weiße für Krankenhäuser – hätten sie schon geliefert. „Wenn der Schnee schmilzt, wird das ukrainische Militär in den befreiten Gebieten wieder schnell viele Leichen einsammeln müssen, um Seuchen vorzubeugen. Die Russen haben es nicht so mit dem Leichenwegbringen.“ Auch, weil sie der eigenen Bevölkerung die „Verluste“ möglichst verschweigen wollten.
Linke an der Front
Ein weiterer Verschlag ist zugesperrt: Hier hat Berlin to borders den Anarchist*innen der Radical Aid Force ein Plätzchen freigeräumt. Dass diese Aktivist*innen ihre Spenden – Medizin, Generatoren, Starlinks – „bis an die Front bringen“, findet Knickerbocker „mutig und spannend, weil deutsche Linke es ja sonst nicht so mit dem Militärischen haben“.
Er selbst, erzählt er, war auch schon nah an der Front, in Cherson am Dnipro. Die Stadt, die zwischenzeitlich von den Russen eingenommen war, ist weitgehend zerstört, wie man auf den Fotos und Videos sieht, die der Fotograf der Reporterin auf seinem Handy zeigt. Russische Angriffe von der anderen Flussseite – sowohl mit Artillerie als auch Snipern – machten das Leben dort lebensgefährlich, erzählt er.
Nur der Verein Spravzhni Ukraine versorge die weiterhin dort ausharrenden Menschen mit dem Nötigsten. „Weder das Rote Kreuz noch die UNO, keine der große Hilfsorganisation ist vor Ort!“ Ende Februar will er wieder hinfahren, unter anderem Computer für eine Untergrundschule bringen, und ein paar Wochen bleiben, um zu helfen: Fenster mit Holz vernageln, Medizin, warme Kleidung und Medikamente verteilen.
Aber vorher machen er und andere Volunteers noch eine Schulung – er selbst zum zweiten Mal, berichtet Knickerbocker: 24 Volunteers von verschiedenen Berliner Vereinen lernen dort Erste Hilfe für Schusswunden, wie man Sprengfallen und Minen erkennt, stundenlangen Artilleriebeschuss aushält oder mit Menschen umgeht, die in Schockstarre verfallen sind – eben Dinge, die man zum Überleben in einer Frontstadt so braucht.
Nachfrage nach fast allem
In einer weiteren Abteilung des Lagers sortieren zwei Frauen Kleiderberge für Frauen, Männer, Unisex und Kinder. „Das ist für die Flüchtlingscamps in der Ukraine“, erklärt Maria Ines Mariano. „Viele verlassen ja das Land gar nicht, sondern fliehen in die großen Städte.“ Die Argentinierin ist eine der zwei Gründerinnen von Berlin to borders: „Direkt nach Kriegsbeginn haben Maggi – eine befreundete Künstlerin – und ich angefangen, Spenden zu sammeln, zuerst bei mir zu Hause.“
Fast zwei Jahre später ist ein gut organisiertes Netzwerk um die Künstler*innen entstanden, die den Kern von Berlin to borders ausmachen. Die GSW Immobilien AG stellt das Lager in Marzahn zur Verfügung, die Clubszene sammelt auf Veranstaltungen immer wieder Spenden, ebenso andere Vereine wie Vitsche, eine ukrainische Exilorganisation.
Doch die Sache bleibt mühsam, immer wieder gilt es Rückschläge einzustecken. Der „Solidarity Shop“ etwa, in dem Berliner Geflüchtete, nicht nur aus der Ukraine, gespendete Kleidung und Hygieneartikel bekamen, musste mangels Raum wieder geschlossen werden. Die verringerte Spendenbereitschaft wurde bereits angesprochen, gleichzeitig steigt mit dem Fortgang des Krieges in der Ukraine die Nachfrage nach allem. „Es gibt viel mehr Zerstörung, immer mehr Verletzte“, fasst Knickerbocker die Lage zusammen. Und beschließt den Rundgang mit einer Aufzählung der dringendsten Dinge, die man immer benötigt: Erste-Hilfe-Kästen, Wolldecken, Dosenessen. Und natürlich Geld.
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