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Berliner Großflughafen„Eine einzige Katastrophe“

Neuer Termin, neue Kosten: Die Fertigstellung in Schönefeld kostet wohl eine Milliarde mehr. Fraglich ist, ob die Flughafengesellschaft weitere Kredite stemmen kann.

Die Landesfürsten Matthias Platzeck und Klaus Wowereit bei der Pressekonferenz der Flughafengesellschaft am Donnerstag Bild: DPA

BERLIN taz | Nach der Bekanntgabe des neuen Eröffnungstermins für den Flughafen BER in Schönefeld drohen Berlin und Brandenburg nach Angaben der Opposition zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe.

Auf bis zu einer Milliarde Euro schätzen die Grünen die Mehrkosten allein für die Fertigstellung des Baus und erwartete Schadensersatzforderungen aufgrund der Verschiebung der Eröffnung auf März 2013. Unklar ist, wieviel davon die Flughafengesellschaft tragen kann – und wieviel davon am Land Berlin hängen bleibt.

In einer zehnstündigen Krisensitzung hatten der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft, Vertreter der Länder und des Bundes, der Airlines und beteiligte Bauunternehmen bis Donnerstagmorgen über die Zukunft des neuen Hauptstadtflughafens beraten. Am Mittag gab Berlins Regierender Bürgermeister und Aufsichtsratschef Klaus Wowereit (SPD) bekannt: Der Flughafen eröffnet am 17. März 2013.

Der ursprünglich geplante Start zum 3. Juni war vergangeneWoche abgesagt worden. Als Grund waren Probleme bei der Fertigstellung der Brandschutz-Anlagen angegeben worden, inzwischen ist bekannt, dass die Bauarbeiten auch in anderen Bereichen seit Monaten in Verzug sind.

Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop geht wegen der Verschiebung von Schadensersatzklagen von bis zu einer halben Milliarde Euro aus. Große Unternehmen wie Air Berlin, Lufthansa und die Deutsche Bahn haben bereits angekündigt, Schadenersatz zu verlangen, hinzu kommen hunderte kleinerer Unternehmen, die im Juni am Flughafen eröffnen wollten und aufgrund der zehnmonatigen Verschiebung teils vor dem Ruin stehen. Die Flughafengesellschaft rechnet bis zur Eröffnung mit einem Verlust von 15 Millionen Euro für jeden Monat.

Hauptkunde Air Berlin

Zudem ist offenbar noch nicht geklärt, wer die Mehrkosten für die noch ausstehenden Schallschutzmaßnahmen bei den Anwohnern zahlt, deren Kosten laut Pop bei 200 bis 250 Millionen Euro liegen. Von den vorgeschriebenen Schallschutzmaßnahmen sind derzeit weniger als zehn Prozent umgesetzt. Wegen der veränderten Flugrouten haben darüber hinaus mehr Anwohner Anspruch darauf als in früheren Planungen berechnet.

Im Abgeordnetenhaus kursieren offenbar Zahlen, wonach noch 10 bis 15 Prozent der Baukosten fehlen, um den Flughafen fertigstellen zu können – rund 250 Millionen Euro. Die Flughafengesellschaft hat Kredite in Höhe von 2,4 Milliarden Euro bei Banken aufgenommen, um den Bau zu finanzieren. Die Länder Berlin und Brandenburg bürgen für diese Summe mit jeweils 880 Millionen Euro.

Unklar ist, wie die Fluggesellschaft derzeit finanziell dasteht – und ob sie überhaupt noch über finanzielle Spielräume verfügt, weitere Kredite aufnehmen und die Mehrkosten für die Fertigstellung tragen zu können. Der Grüne Haushaltsexpterte Jochen Esser bezweifelt das: Vor der Verschiebung habe es geheißen, die Kredite seien bereits ausgeschöpft. „Die Finanzierung ist eines der Themen, denen wir uns derzeit intensiv widmen“, sagte Flughafen-Sprecher Ralf Kunkel der taz. Es sei zunächst darum gegangen, Abläufe und Zeitplan neu zu strukturieren.

Die Fraktionen von Grünen, Linken und Piraten fordern in einem Antrag, dass der Senat den für Finanzen zuständigen Hauptausschuss in der kommenden Woche umfassend über die erwarteten Kosten informiert. Der finanzpolitische Sprecher der Piraten, Heiko Herberg, erwartet nicht, dass die zusätzlichen Kosten bis zur Verabschiedung des Haushalts im Juni eindeutig beziffert werden können: „Das ganze Controlling des Flughafens war offenbar eine einzige Katastrophe“, sagte er der taz. Niemand habe einen Überblick.

Vollkommen offen ist auch, wie sich eine mögliche Pleite von Air Berlin auf die Zukunft des Flughafens auswirken würde: Air Berlin ist Hauptkunde des neuen Flughafens und stellt ein Drittel der dort geplanten Flüge.

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9 Kommentare

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  • V
    vjr

    Ach was, noch mehr Politiker in der Flughafenbaugesellschaft?!

    (taz: Dabei sitzen auch andere Parteien mit im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft. Und eine davon müht sich momentan, ein denkbar schräges Bild zu liefern: die CDU.)

  • V
    vjr

    Was haben zwei Politiker in einer Flughafenbaugesellschaft verloren?

  • A
    Antonia

    Wowereit muss zurücktreten.

     

    "Zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe" muss das Land Berlin zahlen wegen der 4. Verschiebung der Flughafenfertigstellung. Bürgermeister Wowereit muss zurücktreten. Er gibt seit 2001 mit diesem BBI an und er sitzt im Aufsichtsrat! Der wusste doch wohl was los ist! Und wenn nicht ist er komplett unfähig.

     

    Berlin wird unter Führung der SPD finanziell ruiniert, weil die SPD-Führungsleute auf angeberische Großprojekte fixiert sind und auch noch unfähig sind diese im Zeitplan fertig zu kriegen.

     

    Gleichzeitig wird an Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslose, an Erhalt und Pflege der klimatechnisch wichtigen Stadtnatur, an LehrerInnen, ErzieherInnen,PolizistInnen usw. gespart. Überall fehlt Personal und die tatsächliche Arbeitslosigkeit in Berlin steigt (die Statistik ist gefälscht).

     

    Durch den BBI - Bau hatten Wowereit und Michael Müller massenhaft neue Arbeitsplätze versprochen. 700.000 Arbeitsplätze. Letztlich waren es nur mickrige 700 und die Bauarbeiter aus Osteuropa haben oft noch nicht mal ihren Lohn gekriegt - dank des vorher ausgeklüngelten Subunternehmersystems.

     

    Wowereit hat dagegen auch nix gemacht. Kontrolle durch das Land Berlin? Fehlanzeige.

     

    Wowereit zurücktreten!

    Neoliberale Looser brauchen wir nicht.

  • S
    siegfried

    Mehdorn als ehemaligem Chef der Bahn ist die Verspätung von ganzem Herzen zu gönnen.

  • T
    Thomas

    Ich wohne in Reinickendorf, direkt unter der Einflugschneise. Ich habe mich darauf gefreut, dass in Kürze es lärmtechnisch andere auch mal trifft, die gerne ihren Pauschalurlaub billig anfliegen. Ich jedenfalls gehöre nicht dazu und ärgere mich. Ärgere mich über die Zeitverschiebung und sowieso darüber, dass es überhaupt soviel Flugverkehr gibt. Ich erinnere mich sehr gerne an jene Tage, wo der isländische Vulkan den Verkehr lahm gelegt hat. Ich Miene, mit dem billigen Fliegen verhält es sich ähnlich wie mit Atomkraft: Ist es erst einmal weg, vermisst man es gar nicht wirklich.

  • Y
    yberg

    sollte es keine patronatserklärung der lander berlin, brandenburg oder vom Bund geben machen sich die könner in der geschäftsführung der GMBH bereits der insolvenzverschleppung schuldig.

     

    auf den ersten blick tip ich auf weitere hilfsmaßnahmen durch die sparkassengruppe,eventuell mit einer verkauf- und rückmietaktion vom größten teil des anlagevermögens.

     

    vielleicht findet auch ne public privat partnership groteske statt,also ein notverkaufsgeschäft,das wir bürger nur noch staunend zur kenntnis nehmen werden,weil dann öffentliches eigentum einmal mehr verschleudert wird.

     

    im übrigen bietet die GMBH konstruktion der flughafengesellschaft die möglichkeit die geschaftsführer auf schadensersatz zu verklagen.

     

    sollten die aufsichtsräte dies nicht in angriff nehmen ,machen diese sich selbst strafbar.

     

    wie wärs denn mal mit nem untersuchungsausschuß.

     

    ich denke ,daß kein einziger ausführungsvertrag der flughafengesellschaft mit den auftragnehmern eine belastbare strafbewehrung bei terminüberschreitungen enthält.

     

    daraus schließe ich,daß allen beteiligten von anbeginn an die termingerechte fertigstellung unmöglich erschien.

     

    mit einer milliarde mehrkosten wird es auf grund des mangelnden baufortschritts und des bekloppten krisenmanagements nicht getan sein.

     

    ne gute schippe drauf und schon ist die zweite milliarde mehr als halb aufgebraucht.

  • N
    Nemo2011

    Das sind doch gute Nachrichten! Wenn jetzt die Banken ihren Job machen und weitere Kredite verweigern, habe wir eine riesige Bauruine und dauerhaft weniger Fluglärm. :)

  • SL
    Sebastian Lammermann

    Die Verschiebung des Eröffnungstermin ist sympthomatisch für allerlei Bauprojekte, nicht nur dieser Größenordnung. Am Anfang wird ein ambitionierter Zeitplan erarbeitet und von Oben aus Druck ausgeübt, dass dieser Termin zu halten sei. Sobald sich Verzögerungen einstellen, mag niemand dies weiter melden, weil man sonst als Buhmann darsteht und den einen oder anderen Wutausbruch ausbaden muss. Bis sich die Erkenntnis, dass der Termin nicht zu halten ist, durch alle Instanzen bewegt hat, ist es oftmals schon zu spät.

    Das Problem liegt hier bei allen Beteiligten und in der Projektkultur. Solange einerseits niemand den Mut hat den Vorgesetzten die bittere Wahrheit mitzuteilen und solange eben dies von den Vorgesetzten wiederum als negativ drgestellt wird, ja, solange wird es solche Situationen auch immer wieder geben.

  • S
    Sigranna

    Für die Schallschutzberechtigten fordere ich eine Aufstockung der Summe von 157 Mio. EUR um weitere 300 Mio. EUR. Nur mit diesem hohen finanziellen Aufwand können die im Nahbereich von estremem Fluglärm Betroffenen wenigstens in ihren Häusern halbwegs vor dem Lärm geschützt und so gersund erhalten werden. Der Standort ist so falsch, dass etwa 25.570 schallschutzberechtigte Objekte versorgt werden müssen. Und viele mit aufwändigen Schutzmaßnahmen, weil dichte Siedlungsgebiete häufig schon 2,5 bis 3 Kilometer hinter den Start- und Landebahnen liegen. Surch Tricksereien bei den Berechnungen hat die Flughafengesellschaft versucht, das Budget zu deckeln, aber mit ihrem Angebot für einen "Schallschutz light" riskieren sie die Gesundheit von 75.000 Menschen. Auch das sind Kosten, die der Fehlplanung am falschen Standort geschuldet sind und für die die Flughafengesellschaft die erforderliche Summe wohl auch nicht in der richtigen Höhe eingeplant und zurückgestellt hat. Jetzt soll im Nachhinein der "Schallschutz light" durch eine Planänderung legalisiert werden. Die nahen Anrainer des BER sollen also die Unfähigkeit der Planer nicht nur über ihre Steuerzahlungen und nicht nur mit den entschädigungslosen Wertverlust ihrer Immobilien bezahlen, sondern auch noch mit ihrer Gesundheit. Die Verantwortlichen in Politik und Management gehören aus ihren Ämter davongejagt. Wer seiner Bevölkerung so übel mitzuspielen bereit ist, verdient kein Vertrauen mehr.