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Berliner Freiwilligenmesse nur digitalEhrenämter in 2-D

Die 14. Freiwilligenmesse startet am Samstag digital. Dabei ist die Initiative Arbeiterkind.de, die sich gegen Klassismus im Bildungssystem richtet.

Benachteiligt etwa an der Uni: Kinder aus Arbeiterfamilien Foto: Werner Bachmeier/VISUM

Berlin taz | „Zivilgesellschaft.Gestalten.Wir!“, so lautet das diesjährige Motto der 14. Berliner Freiwilligenmesse, die am Samstag, dem 17. April 2021, startet. Denn eine „selbstbewusste Zivilgesellschaft“, so erklärt Carola Schaaf-Derichs von der Landesfreiwilligenagentur Berlin, könne „mit der Kraft, die in ihr wohnt, die Dinge verändern“. Insbesondere die ehrenamtlich Engagierten stopften die Löcher dort, wo „Staat und Wirtschaft weniger den Blick drauf haben“.

Freiwillige vor

Die 14. Berliner Freiwilligenbörse findet am 17. April 2021 ab 11 Uhr mit einem dreistündigen Online-Event und von Montag, den 19. April, bis zum 23. April digital statt. Seit 2008 wird sie von der Landesfreiwilligenagentur Berlin in Kooperation mit dem Landesnetzwerk Bürgerengagement veranstaltet. Das Land Berlin unterstützt die Veranstaltung. Livestream, Angebotskataloge und der digitale Messeraum Wonder.me sind auf der Webseite event.berliner-freiwilligenboerse.de zu finden.

Arbeiterkind.de ist eine gemeinnützige Organisation, die sich für Chancengleichheit in der Bildung einsetzt. Bundesweit engagieren sich etwa 6.000 Ehrenamtliche in über 80 Lokalgruppen, die Arbeiterkinder von der Schule bis zum Berufseinstieg unterstützen. Die Initiative verfügt über ein eigenes soziales Netzwerk und wurde mit zahlreichen Preisen geehrt. (tk)

Ein solches Löcherstopfen betreibt etwa die Initiative Arbeiterkind.de, die Kinder, Jugendliche und Studierende unterstützt, die als erste in ihrer Familie eine Hochschulbildung anstreben. Denn Arbeiterkinder haben es im deutschen Bildungssystem nicht leicht, wie die gemeinnützige Organisation in ihrem Jahresbericht vorrechnet: Nur 21 Prozent von ihnen beginnen demnach ein Studium – gegenüber 74 Prozent der Kinder aus Akademikerfamilien. Und der „Bildungstrichter“, wie Pablo Ziller, Pressesprecher der Initiative, das Phänomen gegenüber der taz bezeichnet, wirke auch in der weiteren Hochschullaufbahn fort. So erreiche nur eines von 100 Arbeiterkindern die Promotion – gegenüber 10 von 100 Kindern aus Akademikerfamilien.

Dieser Form von klassistischer Diskriminierung möchte die Initiative etwas entgegensetzen, indem sie Schü­le­r:in­nen und Studierende aus Arbeiterfamilien berät. Die Initiative veranstaltet etwa Vorträge an Schulen oder informiert über mögliche Stipendien. Insbesondere die Ehrenämtler, häufig selbst Kinder aus Arbeiterfamilien, fungierten dabei als „Vorbilder“, so Pressesprecher Ziller.

Diese Vorbilder sucht die Initiative auch auf der Berliner Freiwilligenbörse, die in diesem Jahr natürlich in digitaler Form stattfindet. Dabei sei man kreativ geworden, berichtet Schaaf-Derichs von der Landesfreiwilligenagentur: Man habe eine digitale „Speaker's Corner“ eingerichtet, ein Begriff, der eigentlich ein bekanntes öffentliches Rednerpult im Londoner Hyde Park beschreibt. Für die Messe ist ein Livestream geplant, über den sich täglich 14 bis 15 Organisationen kurz vorstellen können.

Im zweidimensionalen Messeraum

Anschließend könnten sich die am Freiwilligendienst interessierten Ber­li­ne­r:in­nen wie in einem Computerspiel in einem digitalen, zweidimensionalen Messeraum bewegen. Steuere man den eigenen Avatar in Richtung eines digitalen Standes, öffne sich ein Videokonferenzfenster – womit der direkte Austausch mit Ver­tre­te­r:in­nen der Organisationen ermöglicht würde. Denn „auch in digitalen Zeiten bleibt der persönliche Kontakt für das zukünftige Engagement entscheidend“, sagt Schaaf-Derichs.

Exakt 100 Freiwilligenorganisationen stellen sich auf der Messe vor

Die Angebote sind vielfältig: Exakt 100 Freiwilligenorganisationen stellen sich auf der Messe vor. Interessierte können sich schon vorab auf der Webseite der Messeerkundigen: Insgesamt stehen 16 Themenfelder zur Auswahl. Besonders im Trend liege dieses Jahr der Umwelt-, Natur- und Tierschutz, sagt Schaaf-Derichs, wohl auch, da dieser häufig draußen stattfinde. Die AHA-Regeln könnten so leichter eingehalten werden.

Etwa 10.000 Menschen besuchten die Messe in analogen Zeiten in Präsenz im Roten Rathaus sowie auf der Webseite der Messe. Schaaf-Derichs hofft, dass es in digitaler Form noch mehr werden. Denn nach wie vor seien Ehrenämter beliebt: Fast 40 Prozent der Ber­li­ne­r:in­nen würden ein solches ausüben, wie Schaaf-Derichs unter Bezugnahme auf dem Bundesfreiwilligensurvey 2019 sagt. Trotz Ausbildungsstress und Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt seien dabei gerade junge Menschen statistisch überrepräsentiert. Doch auch Rent­ne­r:in­nen blieben lange engagiert.

Rund 10 Prozent der Organisationen gaben auf

Die Coronapandemie habe das Engagement in den Freiwilligendiensten nicht geschmälert: „Insgesamt haben wir eine ähnliche Wellenbewegung wie in der sogenannten Flüchtlingskrise im Jahr 2015 erlebt: Zu Beginn der Pandemie gab es eine enorme Hilfsbereitschaft, die mittlerweile wieder etwas abflacht, einfach weil dieses Level an spontanem Engagement nicht dauerhaft zu halten ist“, so Schaaf-Derichs. Besonders hebt sie die „logistischen Meisterleistungen“ vieler Organisationen hervor, die ihr Engagement innerhalb kürzester Zeit an die neuen Bedingungen anpassen mussten. So habe etwa die Berliner Tafel auf einen AHA-Regeln konformen Lieferdienst umgeschaltet.

Doch nicht alle Organisationen konnten die Umstellung stemmen. „Nach unserem Überblick mussten circa 10 Prozent der Organisationen aufgeben“, sagt Schaaf-Derichs. „Vor allem trifft es jene, die noch nicht dauerhaft organisatorisch aufgestellt und durch langfristige Förderungen gesichert sind.“ Überdurchschnittlich oft träfe dies auf migrantische Selbstorganisationen zu, die auf der politischen Agenda „oft noch zu wenig Unterstützung für ihre Selbstorganisation erhalten“, so Schaaf-Derichs.

Die Initiative Arbei­ter­kind.de erhofft sich einen neuen Schwung an Ehrenämtlern durch die Berliner Freiwilligenbörse. Das habe man schon in der Vergangenheit beobachten können, sagt Ziller. Man müsse auch nicht zwingend ein Arbeiterkind sein, um bei der Initiative mitzumachen: „Man kann sich auch bei uns engagieren, wenn man das Kind einer Lehrerin ist. Wir sind für alle offen.“

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