Berliner Dreck: Scherben gibt's nur noch in Düsseldorf
Bisher galt Berlin als Ort, an dem man die Sau raushängen lassen kann. Neuerdings wirken die Parks herausgeputzt. Verliert die Stadt ihren Ruf als raue Wilde?
Unter den deutschen Metropolenbewohnern sind die Rollen klar abgesteckt: Den Hamburger prägt der Hafen und das Fernweh. Für den Münchner sind die Alpen mit ihrer Romantik identitätsstiftend. Und der Kölner ist seit jeher fröhlich. Berliner, so scheint es abgemacht, sind die Kellerkinder des Landes. Blässliche, schlecht oder zumindest schräg gekleidete Wesen, die in einer vernarbten, verdreckten Stadt hausen. Arm aber sexy sei sie, behauptet selbst ihr Bürgermeister Klaus Wowereit. Berlin gibt sich wild, hier wird gefeiert, und mitunter war das dem Straßenbild und vor allem den Grünanlagen bisher auch anzusehen: Die Plastiktüte blüht im Gras, die Kippen sprießen aus den Gehsteigen. Ein Indiz für Armut und den Mangel an Jobs in der Stadt war, dass die im Tiergarten verstreuten Dosen vom Discounter stammten. Heute aber ist eine auffällige Begleiterscheinung der hohen Arbeitslosigkeit, dass keine leeren Büchsen mehr zwischen den Stiefmütterchen der öffentlichen Grünanlagen liegen.
Verkehrte Welt? Melancholische Seelen bangen um den Mythos Berlins als lässige Wilde. Schon wurde aus verschiedensten Ecken Nordrhein-Westfalens berichtet, dort sei es viel verlotterter als an der Spree. Es wurden im Düsseldorfer Raum gar Scherben auf einem Fahrradweg gesichtet, ein in Berlin selten gewordenes Ärgernis. Bevor die achtlos weggeworfene Flasche zu Boden fällt wird sie dort schon von einem Pfandsammler abgefangen. Berlin, so wird geunkt, mutiert zur Clean City. Arm und anständig -und bald auch zum Gähnen langweilig?
Tatsächlich durchkämmen seit der Einführung des Dosenpfands und der Hartz-IV-Gesetze Pfandsammler und 1-Euro-Jobber die Stadt. Die einen verdienen sich etwas dazu, die anderen sollen durch das Müllsammeln im Idealfall an eine Arbeitsgelegenheit herangeführt werden. Geld und das Bonbon einer möglichen Festanstellung sollen den Langzeitarbeitslosen die Liebe zum sauberen Beet näher bringen. Dabei wirkt das Bild des 1-Euro-jobbenden Müllsammlers oft wie das eines Schülers, der zum Hofdienst mit Zange und Eimer verdonnert wurde: Er zeigt sich nicht gerade motiviert. So sind von den etwa 40 Kräften, die dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf von der Arbeitsagentur zum Müllsammeln zugewiesen wurden, die Hälfe gar nicht zum Dienst erschienen.
Dass fachfremde 1-Euro-Jobber auch für Aufgaben eingesetzt werden, die eigentlich von dafür ausgebildeten Menschen ausgeführt werden sollten, und dabei Blumenrabbatten mitunter mehr zerstören als aufzuhübschen, gehört dank öffentlichem Sparzwang zur Realität. Die 1-Euro-Jobber seien nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, heißt es aus dem Amt für Umwelt und Natur im Bezirk Mitte, es fehle an fähigen Facharbeitern.
Wenn Berlin heute mehr denn je geharkt und geordnet wirkt, ähnlich wie ein straff geführter Vergnügungspark, dann liegt es wohl doch eher an der Flächenbereinigung im Ostteil der Stadt. Hier steigt der öffentlich gepflegte Grünflächenbestand. Leere Grundstücke wurden verkauft und bebaut. Wo es früher wild wucherte, entstehen heute Parks oder Grünanlagen. Bestes Beispiel ist das schwer aufgeräumt wirkende Regierungsviertel. Frisch gemähter Rasen im grauen Betonkorsett sieht eben nicht nach einer exzessiven Party aus. Eine solche fand am Wochenende wohl im Monbijou-Park statt, der neu gestaltete Park und Spielplatz wurde angeblich völlig verwüstet - gegen solches Ungemach helfen auch Müllsammler wenig.
Dass Berlin um den Ruf als Dreckshauptstadt nicht bangen muss, bewies vor kurzem eine Touristin aus Bombay. An einem Freitag abend kurz vor acht führten Hamburger-Papierchen auf der Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg ihren Tanz im Wind vor. Leere Eisbecher lagen vor überquellenden Mülleimern. Die Frau schaute auf einen Müllhaufen und entrüstete sich: "Aus Bombay sind wir ja einiges gewohnt, aber das hier ist ja wirklich eklig." Nein, der Berliner liebt wohl seinen Dreck wie der Münchner sein Alpenvorland. Keine Gefahr für den Mythos der rauen Wilden also.
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