Berliner Doppelhaushalt: Gaebler rasiert Bürgerbeteiligung

Kürzungen allerorten: Auch den Anlaufstellen in den Bezirken für die Bürgerbeteiligung bei Bauprojekten sollen die Gelder zusammengestrichen werden.

Bausenator Christian Gaebler bei einem Richtfest

Ohne die Bürger:innenbeteiligungs-Quälgeister geht es leichter: Bausenator Christian Gaebler (SPD) Foto: Fabian Sommer/dpa

BERLIN taz | Geht es nach der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, schauen die bezirklichen Anlaufstellen für Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung demnächst in die Röhre. Allen Lobliedern auf einen „Rekordhaushalt“ 2024/25 zum Trotz soll auch hier der Rotstift angesetzt werden – und das denkbar radikal.

Gab es bislang 250.000 Euro pro Jahr und pro Bezirk für die Beteiligungsbüros, sind künftig nur noch gut 133.000 Euro vorgesehen. Die Anlaufstellen beraten Ber­li­ne­r:in­nen und die Bezirke bei Beteiligungsformaten, vor allem bei Bau- und Stadtentwicklungsprojekten, nach eigenen Angaben in steigendem Maße. „Die geplante Kürzung der Mittel hätte zur Folge, dass wir die Aufgaben in diesem Umfang nicht mehr erfüllen können“, heißt es in einem jetzt veröffentlichten Hilferuf von Büros aus acht Bezirken an das Abgeordnetenhaus.

„Für die Bezirke ist das fatal“, sagt Susanna Kahlefeld der taz. Die Sprecherin für Engagement und Beteiligung der Grünen-Fraktion verweist darauf, dass die Anlaufstellen nach jahrelanger Aufbauarbeit nun endlich „in die Hufe gekommen“ seien und loslegen wollen. Sie ist überzeugt: „Die Kürzung ist rein politisch motiviert.“ Denn Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler sei Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung genau so ein Graus wie seinem Amtsvorgänger Andreas Geisel (beide SPD).

Tatsächlich hatte auch Andreas Geisel 2022 bei den letzten Haushaltsverhandlungen keine Scheu gezeigt, über Kürzungen die Axt an vereinbarte Beteiligungsprojekte anzulegen. Damals sollte es für die Anlaufstellen auf 153.000 Euro pro Bezirk runtergehen. Das Vorhaben scheiterte letztlich am erbitterten Widerstand der Koalitionspartner Grüne und Linke.

SPD-Fraktion will mal schauen

Inzwischen ist Rot-Grün-Rot Geschichte und im Koalitionsvertrag von CDU und SPD läuft das Thema Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung unter ferner liefen. Hendrikje Klein von den Linken ist deshalb auch nicht überrascht, dass die SPD-Verwaltung die Gunst der Stunde zu nutzen versucht, um die Anlaufstellen zu rasieren. Auch Klein spricht von einer „gezielten Maßnahme“. Die Sprecherin für Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung der Linksfraktion sagt der taz: „Es gibt so viele Bauvorhaben, werden die Mittel gekürzt, können die Büros adäquate Beteiligungsformate kaum noch gewährleisten.“

Die SPD-Abgeordnete Ülker Radziwill sagte jetzt der Berliner Morgenpost, dass man mal schauen will, ob man im Rahmen der Haushaltsverhandlungen da noch was machen könne. Radziwill war bis zur Wiederholungswahl Staatssekretärin unter Beteiligungs-Tabula-rasa-Senator Andreas Geisel.

Susanna Kahlefeld traut den Worten aus der SPD-Fraktion dann auch nicht. Wobei die Grünen-Politikerin beim Blick auf die Kürzungspläne noch an etwas anderes erinnert: „Ausgerechnet diejenigen, die jetzt die Strukturen in den Bezirken schleifen, wollen auf der anderen Seite eine stadtweite Bür­ge­r:in­nen­be­fra­gung zur Randbebauung des Tempelhofer Feldes.“ Sobald es um die eigenen Bebauungsphantasien gehe, werde plötzlich auf die Relevanz von Beteiligungsformaten gepocht.

Nicht nur in der Opposition, auch beim Verein „Mehr Demokratie“ schrillen angesichts der bekannten Kürzungspläne die Alarmglocken. „Das ist schwer nachvollziehbar“, sagt Bundesvorstandsmitglied Marie Jünemann der taz. „Demokratie entsteht doch vor der Haustür.“

Da beschwere man sich allerorten, dass populistische Erzählungen und Politikverdrossenheit überhand nähmen – und dann trete man Partizipationsprojekten wie den Anlaufstellen in den Berliner Bezirken bewusst gegen das Schienbein. Jünemann sagt: „Eigentlich brauchen wir nicht weniger und auch nicht genauso viel Budget wie zuvor, sondern sogar mehr.“

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