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Berliner Datenschutzbericht 2024Rechtswidrige Überwachung

Unverhältnismäßige Videoüberwachung am Kotti und Abfragen der eigenen Datenbank für private Zwecke: Die Berliner Polizei nimmt es mit dem Datenschutz oft nicht so genau.

Achtung, Videoüberwachung! Dass dieser Hinweis am Kotti fehlt, ist nur einer der Verstöße gegen das Datenschutzrecht Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Die Videoüberwachung der Polizeiwache am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg ist rechtswidrig. Das sagte die Datenschutzbeauftragte der Hauptstadt, Meike Kamp, am Montag bei der Vorstellung des Datenschutzberichts 2024. „Wir haben die Videoüberwachung vor Ort geprüft und dabei mehrere Verstöße festgestellt.“

In der Unterführung des „Zentrums Kreuzberg“ in der Adalbertstraße gibt es laut Polizei elf Kameras, die auch einen großen Teil des öffentlichen Raums filmen. „Die Videoüberwachung erfolgt ohne ausreichende Rechtsgrundlage und greift unverhältnismäßig in die Grundrechte von Pas­san­t:in­nen und Ver­kehrs­teil­neh­me­r:in­nen ein“, so Kamp.

Bedenken hat die Beauftragte vor allem bei der flächendeckenden Überwachung der Terrasse, wo sich auch Beratungsangebote für marginalisierte Gruppen befinden. „Den Hilfesuchenden muss ermöglicht werden, diese Angebote wahrzunehmen, ohne dass sie gezwungen sind, sich der Videoüberwachung auszusetzen“, so Kamp.

Der „Kotti“ gilt der Polizei als „kriminalitätsbelasteter Ort“. Im Februar 2023 wurde daher im „Zentrum Kreuzberg“ die Polizeiwache eröffnet. Drei Be­am­t*in­nen sind dort rund um die Uhr im Dienst. Die schreiben vor allem Anzeigen, außerhalb der Wache sind sie kaum präsent, wie eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Vasili Franco ergab. Die Wache wurde von Beginn an stark kritisiert: An­woh­ne­r*in­nen und auch Polizeibeamte vor Ort forderten stattdessen soziale Lösungen für die Probleme.

Berliner Datenschutzbericht 2024

Bilanz Mit 6.063 Fällen gab es einen neuen Höchststand an Eingaben von Bürger:innen. Erlassen wurden 104 Verwarnungen und 164 Geldbußen in Höhe von insgesamt 80.190 Euro.

Biometrische Gesichtserkennung Die Staatsanwaltschaft hat in mehreren Verfahren ein Gesichtserkennungssystem im öffentlichen Raum eingesetzt – laut Bericht ohne Rechtsgrundlage. „Es wurden Videoaufnahmen von sehr vielen unverdächtigen Personen erstellt“, kritisiert die Beauftragte.

Künstliche Intelligenz Viele Unternehmen informieren betroffene Personen entweder gar nicht oder nicht ausreichend über die Verarbeitung ihrer Daten für KI-Systeme. (mfr)

Nur wenige Straftaten aufgezeichnet

Die Polizei begründet die Videoüberwachung auf taz-Anfrage mit Gefahrenabwehr und der Verhinderung von Straftaten. Sie befürchtet Angriffe auf die Wache – in ihren Augen ein „gefährdeter Ort“. Dem widerspricht die Datenschutzbeauftragte. Seit Beginn der Überwachung seien nur wenige Straftaten aufgezeichnet worden, vor allem Sachbeschädigung, heißt es in ihrem Bericht. Zudem sei die Polizeiwache immer besetzt, die Mit­ar­bei­te­r:in­nen könnten im Gefahrenfall sofort reagieren.

„Die Videoüberwachung ist in dieser Form unverhältnismäßig“, sagt Kamp. Sie hat gegenüber der Polizei eine Mangelfeststellung ausgesprochen und fordert die Behörde auf, alternative Konzepte in Betracht zu ziehen, um einen „Ausgleich zwischen Sicherheitsinteressen und Freiheitsrechten“ zu ermöglichen.

Das könnten etwa bauliche Maßnahmen sein, um den Überwachungsbereich zu verkleinern. Laut Berliner Rechtsprechung „muss der unverpixelte Erfassungsbereich der Kameras auf etwa einen Meter zur Gebäudefassade begrenzt und für Pas­san­t:in­nen deutlich markiert werden“. Alternativ könnten Polizeistreifen eingesetzt werden.

Ein Gespräch mit der Polizeipräsidentin vor zwei Wochen hat laut Kamp bislang zu keinem Ergebnis geführt. „Die Kameras sind nach wie vor vorhanden.“ Die Berliner Polizei teilte auf taz-Anfrage mit, die Mangelfeststellung werde derzeit „eingehend geprüft“.

Datenschutzbeauftragte hat keine effektiven Befugnisse

Das Problem: Die Berliner Datenschutzbeauftragte hat kaum Befugnisse. „Wir können nichts anordnen, nur anmahnen“, erklärt Kamp, auch könne sie keine Fälle vor Gericht bringen. Selbst wenn die Polizei sich weigert, die Verstöße zu beseitigen, hat sie keine Handhabe.

Dabei sieht die Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union das durchaus vor. Demnach müssen Aufsichtsbehörden die Einhaltung von Vorschriften direkt anweisen können, etwa durch Einschränkung der Verarbeitung oder die Löschung von Daten.

Diese Vorgaben sind jedoch bis heute auf Bundes- und Landesebene nicht umgesetzt. „Wir haben keine effektiven Befugnisse, wie sie das Europarecht vorsieht“, kritisiert Kamp. Die EU-Kommission hat daher bereits 2022 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, das auch das Berliner Datenschutzgesetz als unzureichend kennzeichnet.

50 Bußgeldverfahren gegen Po­li­zis­t:in­nen

Die Filmerei am Kotti ist indes nicht der einzige Verstoß der Polizei gegen den Datenschutz. So gibt es seit Jahren immer wieder missbräuchliche Abrufe der polizeiinternen Datenbank Poliks. 2024 betraf ein großer Teil der Bußgeldverfahren Polizist:innen, die zu nicht-dienstlichen Zwecken personenbezogene Daten abgerufen hatten. Insgesamt gab es 50 Verfahren, wobei in 23 Fällen Bußgelder erlassen wurden. Die restlichen 27 sind zum Großteil noch nicht abgeschlossen.

So fragte ein Polizist in 170 Fällen Daten seiner Ex-Freundin und ihrer Familie ab. Ein anderer nutzte die Telefonnummer einer Geschädigten, um mit ihr privat Kontakt aufzunehmen. Ein weiterer Polizist fragte die Meldeadresse einer Person des öffentlichen Lebens ab, die später ein Drohschreiben erhielt. Ein Zusammenhang konnte allerdings nicht nachgewiesen werden.

Die Datenschutzbeauftragte geht davon aus, dass die erfassten Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind: „Die Dunkelziffer ist sehr viel höher.“ Sie fordert ein erweitertes Schutzkonzept der Polizei. Die müsse technisch nachrüsten, um die „fortwährenden missbräuchlichen Abrufe“ zu verhindern. Die technischen Hürden für unbefugten Zugriffe seien nach wie vor niedrig. Darüber hinaus brauche es eine „konsequente Sanktionierung“.

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1 Kommentar

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  • Bestimmt auch nur so Einzelfälle wie die Rechtsextremisten in der Polizei