Berliner Clubs in Corona-Zeiten: Erfolgreiche Anti-Infektionskultur
300.000 Euro Spenden hat das Clubbündnis United We Stream mit seinen Live-DJ-Sets eingespielt. Das Programm wird um ein Debattenformat erweitert.
„Hallo? Hallo?“ Was Videokonferenzen betrifft, ergeht es dem Clubbündnis United we Stream genau wie den meisten anderen Menschen und Firmen, die derzeit von ihrem angestammten Arbeitsplatz abgeschnitten sind: Es holpert manchmal noch ein bisschen; der eine oder andere Mitstreiter dringt nicht gleich so richtig durch, wie die Pressekonferenz via Internet von United we Stream am Mittwoch zeigte.
Ganz anders das Programm, das die Clubs ins Netz stellen, seit wegen des Coronavirus Mitte März das Nachtleben in Berlin abgeschaltet wurde. Jeden Abend ab 19 Uhr spielt ein DJ live aus einem Club, in Zusammenarbeit mit Arte landet der Auftritt ganz ohne Publikum in hoher Qualität direkt im Netz.
Eigentlich ein schizophrenes Projekt, sagte Lutz Leichsenring, Sprecher der Club Commission, bei der Pressekonferenz. „Schließlich sind Clubs Räume, aus denen eben nicht gefilmt wird; es sind Schutzräume, damit Leute sie selbst sein und abschalten können.“ Die aktuelle Situation und der besondere Blick auf die DJs machten das Projekt aber wieder interessant.
Zumal die Not groß ist: Wegen des Shutdowns sind zahlreiche Clubs und mit ihnen laut Club Commission rund 9.000 Jobs akut bedroht. Umso größer ist die Freude über die Resonanz dieser Anti-Infektionsclubkultur: Mehr als 70 Künstler waren bislang an den Auftritten beteiligt, gut 70 Stunden Material sind entstanden, so die erste Bilanz. Und es soll schon so manche Solo-Heimparty damit bespielt worden sein.
Das Beste: 300.000 Euro gingen bisher an Spenden ein; 8 Prozent der Einnahmen erhält der Seenotrettungsfonds, der sich um Geflüchtete im Mittelmeerraum kümmert; der große Rest soll in Kürze an die KünstlerInnen und Clubs ausgeschüttet werden.
Katja Lucker, Musicboard
Letztere rechnen freilich nicht damit, schnell wieder öffnen zu können, sagte Daniel Plasch von der Programmarbeitsgruppe von United We Stream. „Wir wollen das Programm noch einige Monate aufrecht erhalten.“ Und nun sogar ausbauen: Zusätzlich zur täglichen DJ-Musik werde es ab Sonntag zwei Mal die Woche das Debattenformat „United we talk“ geben, immer von 16 bis 19 Uhr.
Darin soll es um politische Forderungen nicht nur der Musikbranche gehen – etwa die Aufnahme von Geflüchteten aus den überfüllten Lagern in Griechenland. Es werde Reports und Liveschaltungen geben aus aller Welt, Filme und auch eine bisschen Musik. Am kommenden Sonntag seien die aktuellen Veränderungen Thema, die sich wegen Corona für die Mietenbewegung und auch die Clubs ergeben. Titel: Future habitat.
Die ebenfalls zugeschaltete Chefin des landeseigenen Musicboards, Katja Lucker, mahnte derweil die Politik an, die vergangene Woche gestartete Notförderung nachzubessern. „Clubs, die mehr als feste zehn MitarbeiterInnen haben, fallen derzeit noch durch alle Raster“, sagte sie – anders als kleinere Betriebe oder Solo-Selbstständige, die die Förderung teils schon erhalten haben.
Geht auch das Berghain online?
In der Szene sei die Solidarität untereinander groß, wurde bei der Pressekonferenz mehrfach betont. So gut wie alle Clubs beteiligten sich an den DJ-Auftritten, sagte Daniel Plasch, und kündigte noch „einige Überraschungen“ an. Dass darunter auch das Berghain – das ein besonders striktes Fotoverbot hat – sein könnte, schloss er explizit nicht aus.
Korrektur: In einer ersten Version des Textes war von 30.000 Euro Spenden bisher die Rede. Tatsächlich sind es laut United We Stream 300.000 Euro.
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