Berliner Clubkrise: Panik auf dem Dancefloor

Gestiegene Kosten, Besucherrückgang, Gentrifizierung: Drei Tage lang diskutieren Clubs über ihre Probleme. Positive Botschaften sind die Ausnahme.

Menschen tanzen im Scheinwerferlicht auf dem Dancefloor

Der Letzte macht das Licht aus? Die Stimmung ist jedenfalls am Boden Foto: Seeliger/imago

BERLIN taz | Eigentlich hatte die Berliner Clubszene am Ende der Corona-Pandemie erwartet, dass alles schnell wieder werden würde wie zuvor. Die Partytouristen kehren zurück, die während der Lockdowns angestaute Energie entlädt sich auf den Dancefloors, die Probleme würden vergessen sein. Aber es kam anders.

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind die Preise für Energie durch die Decke gegangen. Die Inflation spüren alle. Das wirkt sich auf das Clubleben unmittelbar aus. So hat die Berliner Clubcommission vor kurzem festgestellt, dass der durchschnittliche Besucherrückgang in den Clubs im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie bei 20 Prozent liegt. Die große Mehrheit der Ausgehläden, so das Fazit, beklage erhebliche Umsatzrückgange und gestiegene Betriebskosten.

Das Kollektiv des Clubs Mensch Meier in Prenzlauer Berg gab vor einer Weile bekannt, auch und vor allem deshalb Ende dieses Jahres den Betrieb einzustellen. Es ist im Grunde kein anderer Fall in Erinnerung, in dem ein Club aus weitgehend freien Stücken gesagt hat: Es reicht, wir können nicht mehr.

Die Stimmung ist also ohnehin am Boden. Die Konferenz „Stadt nach acht“ – die die Livekomm, der Bundesverband der Musikspielstätten, Ende vergangener Woche organisiert hat – machte dabei deutlich, wie vielschichtig die Problemlage für die Clubs ist. Drei Tage lang wurde in diversen Locations auf dem RAW-Gelände und im Club Wilde Renate in Friedrichshain konferiert, von morgens bis abends, mit Teilnehmern aus der Branche, aber auch aus Politik und Wissenschaft.

Wer soll das bezahlen?

Es ging um Nachhaltigkeit, Drogen, Diversity, Awareness, Safe-Spaces, aktuelle Trends bei Musikfestivals, kurz: um komplett alles, was bei der Gestaltung des Nachtlebens heute eine Rolle spielt. Und eben sehr viel und sehr oft um die Frage: Wie soll ein Club das alles finanziell stemmen, wenn er so schon kaum über die Runden kommt? Warum sich Gedanken darüber machen, ob in eine Photovoltaikanlage auf dem Hausdach investiert wird, weil auch Clubs echte CO2-Schleudern sind? Und die Awareness-Schulung des Teams: Mit welchem Geld soll das bezahlt werden?

Beim Konferenz-Panel „November Days“, bei dem die Frage erörtert wurde, wie der Glanz des Berliner Nachtlebens erhalten werden könne, wurde es noch grundsätzlicher. Katja Lucker vom Musicboard Berlin sprach den Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen des Nahostkonflikts auf die hiesige Szene an. Acts aus der Ukraine würden bei Veranstaltungen nicht auf demselben Line-Up wie russische stehen wollen. Und der Nahostkonflikt spalte die Szene.

Dass sich diese in weiten Teilen gegenüber dem Massaker der Hamas in Israel erschreckend zurückhaltend bis problematisch positioniert hat – dazu sagte Lucker nichts. Formulierte aber die Befürchtung: „Der Zusammenhalt bricht weg.“

Eher nebenbei wurden auch Neuigkeiten zur Zukunft des RAW-Geländes verkündet. Dessen Neubebauung, die nach der bisherigen Planung langsam anstehen sollte, werde sich laut Florian Falkenhagen vom Cassiopeia verschieben. Es gebe Probleme beim Aushandeln des Deals zwischen dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und dem Investor. Nun sei nicht vor 2027 mit einem Baustart zu rechnen. Er persönlich finde das nicht gut, da er damit weiterhin keine Planungssicherheit für die Zukunft seines auf dem RAW-Gelände gelegenen Clubs habe, so Falkenhagen.

Andere sagen freilich: Jeder weitere Monat, in dem das RAW-Gelände nicht völlig umgekrempelt wird, kann für die direkte Nachbarschaft, die den unglaublich hässlichen Mercedes-Benz-Platz kredenzt bekam und demnächst im Schatten des fast fertiggestellten Amazon-Towers stehen wird, nur ein gewonnener sein.

Clubkiller A100-Verlängerung

Auch das war letztlich ein Thema, um das die Konferenz wiederkehrend kreiste: Wie lässt sich der weitere „Ausverkauf der Stadt“, von dem Katja Lucker sprach, verhindern? Und was, wenn die Stadtautobahn A100 tatsächlich über Treptow hinaus Richtung Friedrichshain verlängert wird, wie es Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) stoisch plant und dabei von der Berliner CDU unterstützt wird?

Die Pläne der CDU, den durch den Weiterbau bedrohten Clubs Ausweichflächen zur Verfügung zu stellen, nennt Lucker „naiv“. Zu Recht. Denn abgesehen davon, dass sich gewachsene Clubs kaum verpflanzen lassen, ohne dabei ihren Charakter, ihre Aura zu verlieren: Es gibt kaum freie Flächen in der Stadt.

Pamela Schobeß vom Club Gretchen sagte in diesem Zusammenhang, dass es langsam Zeit werde, die vom Bundestag beschlossene Aufwertung von Clubs hin zu Kulturstätten – aktuell werden sie baurechtlich noch behandelt wie Bordelle oder Glückspielhöllen – endlich umzusetzen. „Niemand würde auf die Idee kommen, die Philharmonie nach Marzahn zu verschieben“, sagte sie mit Blick auf die geforderte kulturelle Gleichbehandlung von Clubs und Konzerthäusern. Auch dadurch könnten Clubs besser vor Gentrifizierungsprozessen geschützt werden.

Sascha Disselkamp vom Sage Club, der auch den Feierladen Re:­mi­se betreibt, konnte dabei von seinem frisch ausgetragenen abenteuerlichen Kampf um seine Clubs berichten. Und damit nach drei Tagen, an denen von der Branche sehr viel be- und geklagt wurde, noch etwas Hoffnung verbreiten. Die Re:­mi­se feierte zwar genau an diesem Wochenende ihre Abschiedsparty. Doch nun bestehe die Chance, dass es weitergehen kann, so Clubbetreiber Disselkamp.

Zuckerbrot und Peitsche

Er habe es geschafft, Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU), Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) und die Eigentümer des Grundstücks, die ihn loswerden wollten, an einen gemeinsamen Tisch zu holen. Und die Größen der Berliner Politik, berichtet Disselkamp, hätten den Anzugträgern von der Immobilienwirtschaft mit Zuckerbrot und Peitsche klar gemacht: Wir wollen, dass der Club bleibt.

Es ließe sich also auch bei schrecklichen Investoren etwas erreichen, glaubt Disselkamp. Durch Reden und gute Kontakte zur Politik. Disselkamps Erkenntnis: Noch ist die Berliner Clubkultur am Leben. Der Clubbetreiber wirkte sehr gerührt.

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