Berliner CSD-Vorstand zu Sicherheitslage: „Wir brauchen Rückendeckung der Politik“
Marcel Voges, Vorstandsmitglied des Berliner CSD e.V. blickt mit Sorge auf die zunehmende Gewalt – und die „Zirkuszelt“-Aussage des Bundeskanzlers.

taz: Herr Voges, Ende August wird der Entwurf zur „Berliner Landesstrategie für queere Sicherheit und gegen Queerfeindlichkeit“ dem Senat übergeben. Seit Mittwoch wissen wir, was drinsteht. Gibt es wegen der zunehmenden Zahl queerfeindlicher Angriffe seitens des Berliner CSD e.V. ein neues Denken in puncto Sicherheit?
Marcel Voges: Wir sind ja eine Demonstration und da ist in erster Linie die Polizei für die Sicherheit zuständig. Wir sind natürlich im engen Austausch, daher weiß ich, dass die Polizei die veränderten Gegebenheiten fest im Blick hat und sich entsprechend vorbereitet. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Polizei die Demo ausreichend schützen wird.
taz: Mit Blick auf den CSD am 26. Juli: Was sagen Sie zur allgemeinen Sicherheitslage in der Stadt? Allein am letzten Wochenende kam es in Berlin zu drei queerfeindlichen Angriffen.
Marcel Voges: Ich nehme in der queeren Community eine große Unsicherheit wahr – und mir geht es auch selber so. Das ist einerseits auf die verschärfte Sicherheitssituation zurückzuführen. Die Angriffe werden häufiger und kommen näher, auch an den Orten, wo wir uns gerne aufhalten, zum Beispiel Clubs oder Kneipen. Andererseits gibt es einen Wegfall von Strukturen und Schutzräumen. Clubs kommen in finanzielles Wanken, wie zum Beispiel das SchwuZ. Gleichzeitig werden Bildungsprojekte vom Senat eingespart. Dazu merken wir, dass auch der Rückhalt von staatlichen Institutionen zurückgeht. Das alles ist besorgniserregend.
taz: Was kann man da machen? Weiter auf die Straße gehen, sich zeigen und nicht wegducken?
Marcel Voges: Es ist sehr facettenreich, was man machen muss und machen sollte. Wir als queere Community müssen weiter sichtbar sein. Wir müssen in Gesprächen bleiben und versuchen, die Mehrheitsgesellschaft zu überzeugen, dass es wichtig ist, queere Menschen zu schützen. Denn als Minderheit sind wir immer auch auf die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft angewiesen. Und ich finde, dass die Mehrheitsgesellschaft bei den aktuellen Ereignissen nicht schweigen sollte.
taz: Wie sehen Sie die Kürzungen bei queeren Projekten in Zeiten klammer Kassen?
Marcel Voges: Ich bin sehr skeptisch, wenn ich mir die aktuelle Haushaltspolitik der Landesregierung anschaue und das Wegkürzen von queeren Projekten, ob das am Ende wirklich eine Strategie sein kann, um die aktuellen Herausforderungen zu lösen.
taz: Apropos Mehrheitsgesellschaft. Wie lässt sich die „Zirkuszelt“-Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz, Parteikollege des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) deuten?
Marcel Voges: Es gibt ein Thema hinter dem Thema: Wir CSD-Organisator:innen und Aktivist:innen sind aktuell alle total angespannt. Wir sind ja im Austausch mit anderen CSD-Vereinen. Jede Woche gibt es eine andere Bedrohung. Jede Woche mobilisieren Rechtsextreme zu CSDs. Jede Woche gibt es entweder Angriffe auf Kneipen oder auf queere Menschen in Berlin. In so einer Situation brauchen wir einfach Unterstützung und Rückendeckung von den politischen Entscheidungsträger:innen und nicht eine Herabwürdigung durch solche Äußerungen. Und jetzt ist die Regenbogenfahne ja für viele nur ein Symbol. Uns aber in dieser Situation, in der wir aktiv angegriffen werden, dieses Symbol zu entziehen, ist ein klares politisches Signal, dass sich staatliche Institutionen wegducken und uns im Stich lassen. Das kommt bei vielen queeren Menschen so an und ruft erhebliche Unsicherheit hervor.
taz: In Berlin selbst, also auf Landesebene, sieht es mit der Unterstützung ja doch anders aus. Bezirksrathäuser hissen die Regenbogenfahne und auch der Regierende Bürgermeister lässt das Rote Rathaus damit beflaggen. Wie fühlen Sie sich da wahrgenommen?
Marcel Voges: Die Berliner CDU ist auf jeden Fall liberaler als die Partei auf Bundesebene. Ich begrüße es sehr, dass der Regierende Bürgermeister zum CSD kommt. Und jetzt haben wir auch endlich eine Berliner Bundesratsinitiative, um den Schutz queerer Menschen im Grundgesetz zu verankern. Das war lange ein Konfliktthema mit der Landesregierung, weil das doch sehr lange gedauert hat. Nichtsdestotrotz muss man sagen, dass Symbole – wie das Hissen der Regenbogenflagge – wichtig und richtig sind, doch Symbole immer auch mit politischen Handlungen verbunden sein müssen. Und wenn ich dann beobachte, dass bei der queeren Bildungsarbeit eingespart wird, dass immer mehr queere Projekte und queere Infrastruktur finanzielle Probleme haben, dann stelle ich mir die Frage, ob es in ein, zwei Jahren die Regenbogenhauptstadt noch gibt? Und welche Strategie verfolgt eigentlich die Landesregierung, um die Regenbogenhauptstadt zu erhalten und zu stärken?
taz: Eine Regenbogenfahne hissen und verbale Bekundungen sind das eine, Finanzierbarkeit und Kürzungen das andere.
Marcel Voges: Ich will das gar nicht gegeneinander ausspielen. Wir freuen uns immer, wenn jemand die Regenbogenfahne hisst. Dadurch wird uns signalisiert: Das ist erst mal ein Ort, wo wir uns sicher und gesehen fühlen können. Das sollte aber nicht der einzige Anspruch sein, den wir als Hauptstadt haben, wo viele queere Menschen ihre Heimat gefunden haben.
taz: Kai Wegner ist beim CSD dabei, wird ihn aber nicht eröffnen, oder?
Marcel Voges: In diesem Jahr werden die beiden Bundestagsvizepräsidenten den CSD eröffnen. Das ist eine bewusste Entscheidung von uns. Es gibt Gesprächsangebote unsererseits auch an die Senatskanzlei, weil bei allen politischen Konflikten in einer Demokratie immer miteinander reden können muss. Wir haben aber bisher keine Antwort von der Senatskanzlei bekommen.
taz: Sind Firmen ganz im Geiste von Trump vom Sponsoring zurückgetreten? So wie beim CSD in München?
Marcel Voges: Vor einigen Wochen sind damit wir an die Öffentlichkeit gegangen, dass wir im Vergleich zum Vorjahr 200.000 Euro Sponsorengelder weniger hatten. Danach haben wir super viel Solidarität erfahren. Es sind viele Spendengelder hereingekommen, aber es gibt auch einige Unternehmen, die uns jetzt unterstützen – und da sind auch amerikanische Unternehmen dabei. Es ist trotzdem so, dass wir eine gewisse Zurückhaltung und Vorsicht bei den Unternehmen wahrnehmen, die in Gesprächen signalisieren, dass sie uns schon unterstützen und sich solidarisch zeigen, aber nicht mehr in erster Reihe stehen wollen.
taz: Es gibt immer wieder Leute, die sich fragen, ob die Teilnahme an einem CSD noch sicher ist …
Marcel Voges: In Berlin haben wir eine besondere Situation, weil wir eine sehr hohe Unterstützung aus der Stadtgesellschaft erfahren und eine konstruktive und gute Zusammenarbeit mit der Polizei haben. Dementsprechend erwarten wir da keine großen Gegenbewegungen von Rechtsextremen. Trotzdem sind wir natürlich auf der Hut und beobachten die Situation genau und stimmen uns eng mit der Polizei ab. Und ich bin überzeugt davon, dass sich die Polizei auf alle möglichen Szenarien vorbereitet.
taz: Mit wie vielen Teilnehmer:innen rechnen Sie?
Marcel Voges: Ich glaube, es wird so in etwa die gleiche Zahl sein wie in den vergangenen Jahren, also mehrere 100.000.
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