Berliner Ausstellung über Religion und Stadt: Gospel in der Lagerhalle

Ohne eurozentrischen Blick: "the Urban Cultures of Global Prayers" in der Berliner NGBK zeigt künstlerische Arbeiten über neue religiöse Bewegungen in den Städten der Welt.

Tausende Quadratmeter für die spirituelle Erweckung: Gebetsstätte der Redeemed Christian Church of God Redemption Camp nahe Lagos, Nigeria. Bild: Bitter / Weber

Eine neutrale Haltung einzunehmen, wenn es um Religion geht, scheint unmöglich. Stichworte wie Kirche oder Glaube genügen, um eine Reihe von Assoziationen auszulösen, nicht selten negativer Art. Zu sehr ist das Gedächtnis durch Mediendiskurse der letzten Monate und Jahre geprägt - Papstbesuch, Extremismus, Missbrauchsfälle.

Religion ist ein sensibles, emotional aufgeladenes Thema, gleichzeitig hat es für viele westliche GroßstädterInnen die persönliche Bedeutung gänzlich verloren. Undenkbar scheint es etwa in Berlin, dass ein kirchliches Ereignis hunderttausende Menschen anzieht.

Genau an diesem Punkt, der westlichen, großstädtisch-atheistischen Denkart, holt die Ausstellung "the Urban Cultures of Global Prayers" ihre BesucherInnen ab. Vom multikulturellen, dennoch unreligiösen Treiben der Oranienstraße geht es hinein in die Räume der NGBK, wo dokumentarische Arbeiten mit neuen urbanen, religiösen Praktiken konfrontieren.

geht vom 12. November 2011 bis 8. Januar 2012. Ausstellungsort: NGBK e.V., Oranienstraße 25, 1099 Berlin. Öffnungszeiten: täglich von 12 bis 19 Uhr; Do, Fr und Sa bis 20 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos. Zur Ausstellung ist es eine Begleitbroschüre erhältlich.

Da gibt es die christliche Großveranstaltung, das Redeemed Christian Church of God Redemption Camp, am Rand der Megastadt Lagos, welches fünfmal mehr Menschen als das weltgrößte Fußballstadion fasst. Jens Wenkel, Arzt und Filmemacher, ist mit der Videokamera durch die lagerhallenartige Gebetsstätte gewandelt. Per Mikrofon und Riesenleinwand wird die Predigt übertragen, die Menschen tanzen, beten, sitzen und liegen auf dem Boden, während die Kamera einfach nur da ist, langsam durch das Treiben streift, niemanden fokussiert.

Der diffuse Lärm der vielen Menschen nimmt den ganzen Ausstellungsraum ein, und das europäische Ohr sehnt sich nach der aus Dokumentarfilmen gewohnten Offstimme, die erklärt, warum die Menschen sich so eigenartig bewegen, was für eine Kirche das ist, was sich abspielt. Auch ein Blick an die Wand daneben stillt das instinktive Bedürfnis nach Erklärung nicht.

Dem "Fremdeln" wird kein Raum gegeben

Beim Streifzug durch die Ausstellung weicht diese empfundene Haltlosigkeit dann langsam der Erkenntnis, dass hier ganz bewusst auf den gewohnten, eurozentristischen Blick verzichtet worden ist, auch wenn viele der KünstlerInnen aus westlichen Ländern kommen. Auf die künstliche Distanz, die entsteht, wenn ein Kommentar das Gezeigte erläutert und einordnet, wird in allen Exponaten verzichtet. Dem "Fremdeln" wird kein Raum gegeben.

Die Aufnahmen der Massenveranstaltung in Lagos etwa, die vielen tanzenden und betenden Menschen, wirken nach einigem Hinschauen gar nicht mehr so fremd. Die Ausstellung versucht damit das eigentlich Unmögliche: aus einer neutralen Perspektive neue religiöse Bewegungen in den Großstädten der Welt zu zeigen.

Natürlich kann man den eigenen, kulturell und persönlich geprägten Blick nicht einfach abstreifen. Doch "the Urban Cultures of Global Prayers" zwingt zum längeren Hinschauen und zur Auseinandersetzung, eben weil die Werke nicht selbsterklärend sind. Dabei wandelt sich auch eine traditionelle Vorstellung von praktiziertem Glauben.

Jenseits der "gottlosen" Welt

In Mexiko-Stadt, im von Drogen und Kriminalität geprägten Stadtteil Tepito, verehren Anhänger des Santa-Muerte-Kults eine Heiligenfigur, die aussieht, als entstamme sie einem Horrorfilm, beten zu ihr, zünden sich für ein Rauchritual eine Zigarette an ihr an. Was komisch klingt, erscheint auf den Fotoarbeiten von Frida Hartz alltäglich und normal.

Überhaupt liegt das Augenmerk auf religiösen Ereignissen, die, ohne danach zu suchen, mitten auf den Straßen der Großstädte zu beobachten sind, nicht auf sektenartigen Ritualen, die von der Öffentlichkeit abgeschottet stattfinden. Nur wenige Werke haben dabei einen explizit ästhetischen Anspruch, die wirken dafür umso anziehender, wie Sevgi Ortaçs "Missing the Place". Leider verschwindet die facettenreiche Videoinstallation mit farbstarken Bildern einer alljährlichen Feier in Istanbul im zu hellen Eingangsbereich.

Die Ausstellung ist der künstlerische Teil des Forschungsprojekts "Global Prayers - Erlösung und Befreiung in der Stadt" des Vereins metroZones, das sich um die Wiederkehr von Religion in den Städten der Welt dreht. Eine Wiederkehr, von der man in Berlin nichts merkt. Aber das Bewusstsein dafür, dass es sie gibt, wächst, je weiter man in die durch Vorhänge abgetrennten Räume der NGBK vordringt, je weiter man die gewohnte, "gottlose" Welt vor der Haustür hinter sich gelassen hat.

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