Gianfranco Rosi hat ein Faible für begnadete Exzentriker, die ohne große Worte zu einem großen Fresko heutiger „Italianità“ beitragen können. Nach seinem in Venedig prominent ausgezeichneten Semidokumentarfilm „Sacro Gra“, der schräge Eigenbrötler am Rand von Rom porträtierte, nahm sich Rosi ursprünglich ein Projekt über einen auf Lampedusa verwurzelten, aufgeweckten 12-Jährigen vor, der als Prototyp der italienischen Zukunft gelten könnte.
Dann aber eskalierte 2014 die Flüchtlingskrise. Immer mehr Tote und schwer gezeichnete Überlebende des gefährlichen Transfers von Tunesien nach Italien landeten auf der Insel. Rosi blieb und drehte mit hochauflösender Kamera Szenen dieser abgründig kontrastierenden Welten. Sein Wettbewerbsbeitrag, „Fuocoammare“, ist eines seiner Kunststücke in Sachen visueller und schnittdramaturgischer Opulenz und zugleich das Dokument seiner Fassungslosigkeit.
Rosi lässt die postheroische Welt des Kindes und das unmittelbare Grauen der afrikanischen Flüchtlinge wie hermetische Blöcke gegeneinanderprallen. Da sind die ruhigen, panoramaweiten Landschafts- und Wetterbilder, in denen er Samueles Ausbüxen vor dem Schulalltag folgt. Der verschmitzte kleine Macho animiert die Großeltern zu Geschichten über alte Seefahrerzeiten, während er selbst lieber mit der Schleuder hantiert und seine Fantasie um Waffenhelden kreist.
Der Filmtitel „Fuocoammare“ entstammt einem alten Schlager, der im Inselradio gespielt wird. Glaubt man dem melancholischen Erzählmodus Rosis, verharrt Lampedusa schläfrig und ignorant, als würde sich nicht ein paar Kilometer weiter ein erschreckendes anderes „Feuer am Meer“ ereignen.
Ein anonymer Rap-Song
„Fuocoammare“
21.2., 17.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
Einmontiert in die brüchige Idylle sind Schlaglichter auf den Überlebenskampf der Bootsflüchtlinge, die Rosis „Reporterpflicht“ mit einer diffusen Sehnsucht nach Spuren visueller Prägnanz wenn nicht Schönheit verschmelzen. Da zeigt er etwa die menschenleere Radarzentrale der Marine im Morgenrot, während man den verzweifelten Hilferuf eines Bootsflüchtlings hört, der seine Position nicht angeben kann und plötzlich verstummt. Oder Seenotrettungen mit Hubschraubern und Booten, Registrierungsaktionen sowie die niederschmetternde „Abfertigung“ bei der Bergung der Toten.
Berlinale 2016
Der „Goldene Bär für den besten Film“ ging an „Fuocoammare“. Der Preis ist ist die höchste Auszeichnung der Internationalen Filmfestspiele in Berlin. „Fuocoammare“ hält das Leben der Menschen auf Lampedusa fest. Er wurde erstmals am 13. Februar im Wettbewerb der Berlinale gezeigt.
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Blitzlichtgewitter, ein selbstfahrendes Auto und jede Menge Stars – das war die Berlinale 2016. Am Sonntag geht sie zu Ende.
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Silberne Bären bekamen Majd Mastoura als „Bester Darsteller“ in „Inhebbek Hedi“ und Trine Dyrholm als „Beste Darstellerin“ in „Kollektivet“ (v.l.). Außerdem erhielt Danis Tanovic den „Silbernen Bären Großer Preis der Jury“ für seinen Film „Smrt u Sarajevu“. Der „Silberne Bär Alfred-Bauer-Preis“ ging an den Film „Hele Sa Hiwagang Hapis“ von Lav Diaz.
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Preisträgerin Mia Hansen-Love ist glücklich über ihren Silbernen Bären für die beste Regie von „L'avenir“. Auch Tomasz Wasilewski erhielt einen für das Beste Drehbuch von „United States of Love“. Auch Mark Lee Ping-Bing konnte sich glücklich schätzen: Er erhielt einen „Silbernen Bären für eine Herausragende Künstlerische Leistung“ in „Crosscurrent“.
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Kameramann Michael Ballhaus hat den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk bekommen. Sein Markenzeichen: 360-Grad-Kamerafahrten. Bei der Preisverleihung wurde auch „Gangs of New York“ mit Leonardo DiCaprio und Cameron Diaz gezeigt.
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Meryl Streep erhielt 2012 auch einen Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk. Die dreifache Oscar-Gewinnerin war in diesem Jahr die Präsidentin der internationalen Jury. Diese verleiht den Goldenen und den Silbernen Bären der Berlinale. Die US-Schauspielerin ist derzeit im Film „Suffragette“ zu sehen.
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Nur durch seine bloße Anwesenheit stach George Clooney bei der Eröffnung der Berlinale am 11. Februar hervor. Selfies mit Fans zu machen gehört zur Berlinale einfach dazu. Clooney spielt die Hauptrolle im Film „Hail, Caesar!“ und zeigte sich mit seiner Frau Amal Alamuddin auf dem Roten Teppich. Am 12. Februar sprach er mit Kanzlerin Angela Merkel über die Flüchtlingskrise.
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In „Hail, Caesar!“ mimt George Clooney den Hollywoodstar Baird Whitlock. Der Film von den Coen-Brüdern entführt den Zuschauer in eines der großen Filmstudios im Hollywood der frühen Fünfzigerjahre. 2011 eröffneten die Coens bereits mit „True Grit“ die Berlinale. „Hail, Caesar!“ ist seit dem 18. Februar in den deutschen Kinos zu sehen.
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Der deutsche Filmstar Daniel Brühl erregte ebenfalls Aufsehen, als er zur Eröffnungsgala der Berlinale in einem selbstfahrenden Auto erschien. Zudem spielt er im Berlinale-Film „Alone in Berlin“ einen Kommissar, der die Herkunft von Anti-Hitler Postkarten aufdecken soll. Mit Emma Watson ist Brühl abseits der Berlinale auch im Kinofilm „Colonia Dignidad“ zu sehen.
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Der Künstler Ai Weiwei hat am 13. Februar das Berliner Konzerthaus mit Rettungswesten von der griechischen Insel Lesbos einkleiden lassen. Damit will er auf die Flüchtlinge, die auf ihrer Flucht nach Europa ertrunken sind, aufmerksam machen. Ai Weiwei ist Ehrenpräsident des „Cinema for Peace“, das zeitgleich zur Berlinale stattfand.
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Der einzige deutsche Film im Wettbewerb heißt „24 Wochen“. Was macht ein Paar, bei dessen ungeborenem Kind Trisomie 21 diagnostiziert wird?
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Außerdem war im Wettbewerb: der Film „Chang Jiang Tu“. Kapitän Gao Chun fährt mit seinem Frachter auf dem chinesischen Jangtse flussaufwärts. Er soll die Seele seines verstorbenen Vaters befreien und ist gleichzeitig auf der Suche nach der großen Liebe. Der Film ist am 21. Februar im Haus der Berliner Festspiele zu sehen.
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Johnny Oritz ist erst 19 Jahre alt und hat bereits seine erste Hauptrolle im Film „Soy Nero“, der im Wettbewerb gezeigt wurde. Darin verkörpert er den mexikanischen Jungen Nero, der US-Bürger werden will. Oritz hat eine besondere Verbindung zum Thema: Seine Familie ist auch in die USA migriert.
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Der Schauspieler Gérard Depardieu bewarb am Freitag „Saint Amour“. Der Film gewann keinen Bären, er lief außer Konkurrenz.
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Rosi, der sich den Männern in Schutzanzügen als Einmannteam anschloss, kommt dem Grauen sehr nah, aber im Unterschied zur Erzählebene um Samuele sucht er nicht nach Männern und Frauen, die über ihre unmittelbar elende Verfassung hinaus als Subjekte von sich erzählen. Selbst der furiose Rap-Song eines Nigerianers, der wie im Rausch den Durst seiner Mitreisenden in der Wüste, die Schläge in libyschen Gefängnissen und die Panik herausschreit, bleibt anonym.
Die Kluft überbrückt allein der weise Oberarzt des Inselkrankenhauses. Er behandelt die vom Dieselöl und Salzwasser Verbrannten und sagt, was Rosi vielleicht mit seinem heikel unentschiedenen Film meint: Man muss den Flüchtlingen helfen.
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Achtzehn Filme im Wettbewerb, acht erhalten einen Preis: Die Berlinale-Jury streut ihre Anerkennung breit. Das Flüchtlingselend nimmt sie besonders in den Blick.
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