Berlinale-Rezension „Midnight Special“: Mit biblischem Unterton
Der US-amerikanische Regisseur Jeff Nichols, Held des Independent-Kinos, dreht mit „Midnight Special“ erstmals einen Science-Fiction-Film.
Das Etikett „Independent-Filmer“ ist nicht mit viel Glamour verbunden. Aber es steht für eine eigene Handschrift, für Innovation, für „Unabhängigkeit“, im besten Fall für die von dominierenden Geschmäckern und kommerziellen Interessen. „Shotgun Stories“, Jeff Nichols’ Debüt, das 2007 bei der Berlinale lief, war so ein Fall.
Er erzählte von einem Bruderzwist biblischen Ausmaßes mit den Mitteln eines sanften „Mumblecore“-Realismus. Auch in „Take Shelter – Ein Sturm zieht auf“, stand die Größe der Geschichte – ein Mann fürchtet den Weltuntergang oder ist paranoid, oder beides – im Kontrast zu den erzählerischen Mitteln. Wenn einer wie Nichols einen Science-Fiction-Film dreht, fühlt man sich alarmiert. Sci-Fi braucht oft ein größeres Budget. Heißt: automatisch weniger Unabhängigkeit.
Solche Sorgen stellen sich in „Midnight Special“ als unberechtigt heraus. Nicht nur, dass wieder Michael Shannon mitspielt, auch in einem weiteren Punkt bleibt Nichols sich treu: im „biblischen“ Unterton, den die Vorgängerfilme hatten. Es braucht eine Weile, bis man der Geschichte auf die Spur kommt.
Zunächst sind da zwei Männer, Roy (Shannon) und Lucas (Joel Edgerton), die einen 8-jährigen Jungen (Jaeden Lieberher) entführt haben. Man versteht schnell, dass sie keine Verbrecher sind. Zwiespältig bleibt die Rolle der Sekte, zu der der Junge gehörte, auch jene von FBI und NSA, die den Entführern auf der Spur sind.
12.02., 19 Uhr Berlinale Palast
13.02., 9.30 Uhr Zoo Palast, 11.00 + 21.30 Uhr Haus der Berliner Festspiele, 12.00 Uhr Friedrichstadt-Palast
Die Plotwendungen eines solchen „Gejagten“-Szenarios mit Motels und Straßensperren sind fast allzu vertraut, aber Nichols hält die Spannung, indem er den gestressten und dann wieder seltsam entschlossenen Reaktionen seiner Figuren viel Platz einräumt. Doch das Rätsel um den Jungen ist schließlich so rätselhaft nicht, und wenn der Film seine Enthüllung beginnt, steht man als Zuschauer bereits mit Blick auf die Uhr im Ziel.
Schade – weil die Schauspieler ihr Bestes im dialogarmen Minimalismus geben. Kirsten Dunstzeigt erneut, wie weit sie sich vom Blondie-Image verabschiedet hat, und Joel Edgerton als eine Art „erster Apostel“ verleiht dem Film den Grad an geerdetem Geheimnis, den man sich für den Rest gewünscht hätte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu