Berlinale: „In den Gängen“: Zwischen Gabelstapler und Kühlraum
Ein ruhiger, genauer Film über die Arbeitswelt: In Thomas Stubers „In den Gängen“ brillieren Sandra Hüller und Franz Rogowski.
Zwischen Sibirien und dem Meer stehen die Getränke. Sibirien, das ist das Lager für Tiefkühlkost, und das Meer sind die frischen Fische im Glastank im Großhandel, in dem der kurz zuvor aus dem Knast entlassene Christian anfängt.
Der ehemalige Fernfahrer Bruno weist ihn ein in die Welt des Großhandels und das Miteinander der Angestellten. Schweigsam geht es zu zwischen den Männern, schweigsam ist auch Christian. Hauptsache, weg von seinen alten Freunden, die ihre Zeit hauptsächlich saufend verbringen.
Durch die Regale hindurch erblickt er die fremde Welt der Süßwarenabteilung. Nur eine Regalreihe entfernt sortieren zwei Frauen Schokoriegel und Kekse in die Regale. Eine von ihnen: Marion. Im Pausenraum, in dem eine Fototapete mit Palmen darauf Urlaubsstimmung verbreiten soll, treffen sich die beiden am Kaffeeautomaten. „Schwarz oder weiß?“ – „Cappuccino.“ Marion ist nicht wie die anderen.
In den Hallen zuhause
Ruhig, mit skurrilem Humor ohne jede Überheblichkeit nähert sich Thomas Stuber in „In den Gängen“, seinem Beitrag zum diesjährigen Wettbewerb der Berlinale, diesem Mikrokosmos. Selten verlässt der Film die hohen Hallen, denen die Aufnahmen des Films all ihre Facetten zwischen sterilem Neonlicht, Schreddeligkeit und heimeliger Vertrautheit entlocken.
Die strengen symmetrischen Bilder, die vielen axialen Bewegungen der Kamera schaffen Raum, in denen die Gabelstapler tanzen können wie Eiskunstläufer und in denen sich Nähe und Distanz der Menschen im Raum ablesen lassen.
Vorführungen: 23.2. 18:30, Berlinale Palast, mit Audiodescription, 24.2. 12 Uhr, Friedrichstadt-Palast, mit Audiodescription, 24.2., 15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, 25.2., 21 Uhr Berlinale Palast
„In den Gängen“ ist ein Schauspielerfilm. Das gilt für die beiden Hauptrollen, Christian (Franz Rogowski) und Marion (Sandra Hüller) ebenso wie für Bruno (Peter Kurth) und die anderen Angestellten. Eine Ensembleleistung wie in diesem Film gibt es im deutschen Film viel zu selten.
Die Hallen des Großhandels sind für die Angestellten ein Zuhause. Zu Bildern auf den nächtlichen Parkplatz sinniert Christian, abends, wenn alle zu sich nach Hause gingen, sei es, als fielen sie in einen tiefen Schlaf. Als Marion in die Tagschicht wechselt, schlurft Christian verloren durch die Gänge der Süßwarenabteilung, hindurch durch den Rummel der Vorweihnachtszeit. Als Christian seinen Gabelstaplerführerschein mit wackelnden Paletten besteht, stehen die Kolleginnen und Kollegen im Kreis drumherum und gratulieren wie die Verwandtschaft zum bestandenen Schulabschluss.
Das emotionale Umland
Der anfängliche leicht klischeehafte Musikeinsatz verschwindet im Laufe des Films, macht Platz für eine Tonspur, die den Geräuschen aus den Hallen Raum gibt und nur vereinzelt durch Musik emotional verdichtet.
Ohne je den Ort zu nennen, an dem sich der Großmarkt befindet, ist „In den Gängen“ klar verortet: Sachsen, nicht ganz flaches Land, aber nicht weit davon entfernt. Wichtiger als die Geografie ist ohnehin das emotionale Umland. Der Großhandel steht, wo einst Lastwagen eines VEB parkten, die Männer wurden nach der „Wende“ übernommen. Das Miteinander der Angestellten, die Vertrautheit, ohne sich recht zu kennen, die Achtsamkeit füreinander, die Distanz wahrt, rekonstruiert ein ostdeutsches Verständnis von Kollegialität.
Das Leben spielt sich in „In den Gängen“ in den Hallen des Großhandels ab, in denen sich jeder die Nischen sucht, die er braucht. Bruno spielt mit einem Kollegen über Wochen hinweg Schach, zieht sich mit Christian zum Rauchen aufs Klo zurück, über dem dann Rauchwolken aufsteigen, Christian und Marion kommen sich im Kühlraum näher. Einmal nur schwappen Freundschaft und Kollegialität über die Hallen hinweg, als Bruno Christian mit nach Hause nimmt auf ein Bier.
„In den Gängen“ ist ein ruhiger Film über Arbeitswelten und die Würde gemeinsamer Arbeit mit Dialogen, denen die Geschwätzigkeit deutscher Drehbücher abgeht. Ein Film, nach dem man eine Weihnachtsfeier mit Schlagermusik mit anderen Augen sieht. Thomas Stubers Film ist ein kleines Meisterwerk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!