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Berlinale „Die Kinder der Toten“Satanisches Oberammergau

„Die Kinder der Toten“ von Kelly Copper und Pavol Liska ist ein superdüsterer satanischer Film nach einer Romanvorlage von Elfriede Jelinek.

Stummer Steiermärker in „Die Kinder der Toten“ von Kelly Cooper und Pavol Liska Foto: Nature Theater of Oklahoma/Berlinale 2019

Die Kinder der Toten“ ist ein Monster von einem Film. Es liegt der gut zwanzig Jahre alte Roman von Elfriede Jelinek zugrunde, er ist aber, womöglich durchaus zur Freude der Autorin, schrecklich entstellt. Die Regisseur*innen Kelly Copper und Pavol Liska haben das Buch als solches vor Verfassen des Drehbuchs gar nicht gelesen, sondern ihre Fantasie auf das losgelassen, was ihnen davon – ziemlich haarklein allerdings – erzählt worden ist.

Ist das auch philologischer Wahnsinn, so hat es bei den beiden sehr wohl Methode. Bekannt, wenn nicht berühmt sind Copper und Liska nämlich auf den Freien Theaterbühnen der Welt unter dem Namen Nature Theater of Oklahoma, unter dem sie auch in den Credits des Films figurieren. Im Theater haben sie mit ihren Performern schon mal eine „Romeo und Julia“-Version inszeniert, die auf dem erinnerten Hörensagen von Freunden beruhte.

Sie sind allerdings nicht nur Meister*innen des Profanierens von Klassikern, sondern ganz im Gegenteil auch der Erhebung des Banalen ins fast schon Sublime. Ihr vielstündiges siebenteiliges kreuz- und quermediales Epos „Life and Times“ bestand in der Transformation eines langen Telefongesprächs in ein Musical, Buch, Film und Stück. Wort für Wort, ja: äh für äh, wurde noch die trivialste Phrase zur Bühnenwürde erhoben. Man darf sich also nicht wundern, dass sie aus Jelineks Werk ein sehr freies, wüst zerfleddertes – und darin durchaus kongeniales – Splatterding machen.

Es ist zum einen: ein Film, auf 8 mm gedreht. Entstanden allerdings während eines ganzen Monats, den das Team auf Einladung des Festivals Steirischer Herbst in der Steiermark zugebracht hat, um dort am Ort des Romangeschehens, was an Steier­mär­kerinnen und Steiermärkern kreuchte und fleuchte, als Laien­dar­stel­le­r*innen­crew zusammenzutrommeln. Schauplätze, nur zum Beispiel: das Restaurant Alpenrose, der real existierende Wasserfall Totes Weib, Berge, Täler, Wälder, nicht zuletzt ein auf einem verlassenen Fabrikgelände eingerichtetes klandestines Kino. Während des Drehs gab es zudem eine Dauerleseperformance des zugrundeliegenden Romans, dessen Taschenbuchversion ganz am Anfang des Films auch mal ins Bild kommt.

Ein Stummfilm oder etwas in der Art

Das alles ist also eine Art satanisches Oberammergau im Alpenland; oder auch: wie das mysteriöse Naturtheater von Oklahoma aus Franz Kafkas Romanfragment „Der Verschollene“, nach dem die Performance-Truppe sich natürlich benannt hat. Allerdings wenn auch nur als gemeinschaftsstiftender Weg zum Ziel, das am letzten Ende nun dieser Film ist.

Satanisch ist der Film, satanisch ist schon das Buch. Alle, die darin hausen, sind untot. Gar so arg ist es im Film am Anfang noch nicht. Wird es aber durchaus. Es stirbt, wie im Buch, die Karin Frenzel und geht dann im Folgenden mit einer Doppelgängerin um. Andere Prota­gonisten aus dem an Figuren überaus reichen Roman sind, weil in neunzig Minuten nun einmal sehr viel weniger Platz ist, einfach getilgt. Und vor allem die Jelinek’sche Hauptprotagonistin, ihre Sprache, kommt gar nicht zum Zug.

„Die Kinder der Toten“

9. Februar, 19.30 Uhr, Colosseum 1

10. Februar, 22 Uhr, CinemaxX 4

16. Februar, 13.30 Uhr, CineStar 8

„Die Kinder der Toten“ ist nämlich ein Stummfilm oder etwas in der Art. Mit allerlei Tönen nachsynchronisiert: mit überpointierten Geräuschen, mit Dräuen und Rauschen, mit Blasmusik nicht zu knapp, aber die Sprach(spiel)wut, die Jelinek ausmacht, die haben Nature Theater of Oklahoma da gelassen, wo sie hingehört: im Roman.

Dafür kommt immer wieder eine Truppe syrischer Dichterinnen und Dichter ins Bild. Wo kommen die her? Von irgendwo halt. Aber auch aus dem englischen Wortspiel, bei dem Styrian (für Steirisch) und Syrian so nah beieinanderliegen, dass sie per Kalauer diese erst dramatisch verhungernde, dann außer Rand und Band geratende Lyrikerbande gebären. Am Ende gehen die, man muss schon sagen, echt ab.

Der Schoß, aus dem bei Jelinek alles kriecht, die Schoah als verdrängte Mordgeschichte, ist auch im Film noch fruchtbar: Es kommt zur großen nächtlichen Zombieparade, bei der berühmte Österreicher (einer mit Bärtchen) und ermordete Juden einträchtig marschieren, später in der Alpenrose wagt man zum satanisch-apokalyptischen Gaudi-Finale mit Palatschinken-Gesichtern ein gemeinsames Tänzchen.

Gut, dann kommen noch die rosa Flamingos. Aber das muss man vielleicht wirklich sehen, um es zu glauben.

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