Berlin und Corona: Berlin vor dem Lockdown
Ab Mittwoch gilt: Schulen und Kitas zu, auch Friseure müssen schließen. Kein Böllerverkauf und keine Versammlungen zu Silvester.
Die Maßnahmen sind Bestandteil des harten Lockdowns, auf das sich Bund und Länder am Sonntagvormittag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel verständigt haben. Der Senat kam am Sonntagnachmittag zusammen und bestätigte die Maßnahmen im Anschluss bei einer Pressekonferenz. Berlin hat den Bund-Länder-Beschluss nahezu 1:1 übernommen.
Ab Mittwoch bis zum 10. Januar soll das öffentliche Leben in der Stadt radikal heruntergefahren werden. Der Einzelhandel wird mit Ausnahme von Lebensmitteln und weiteren Waren des dringenden Bedarfs geschlossen. Auch Schulen und Kitas werden dann geschlossen, es kann aber eine Notbetreuung in Anspruch genommen werden. Mit Ausnahme der Weihnachtstage sollen die Kontakte auf maximal fünf Menschen aus zwei Haushalten reduziert bleiben. Heiligabend und an den Weihnachtsfeiertagen gilt die Regel 5 Personen aus 5 Haushalten.
Ab Mittwoch findet in den Schulen kein Präsenzunterricht mehr statt. Bereits am Samstag hatten einige Eltern von ihren Schulleitungen per E-Mail mitgeteilt bekommen, dass Grundschulen in der Woche ab dem 4. Januar ins Homeschooling gehen sollen. Alle Schülerinnen und Schüler sollten in dieser Woche mindestens zweimal vom pädagogischen Personal kontaktiert und im Lernen zu Hause „individuell begleitet werden“, heißt es in der Mail. Wie im ersten Lockdown soll es eine Notbetreuung für Eltern aus systemrelevanten Berufen geben.
Frisur und Psyche
Zu den Geschäften, die ab Mittwoch schließen müssen, gehören auch die rund 2.500 Friseurläden der Stadt. Im Unterschied zu den Kosmetik- und Tattoo-Studios waren Friseure nach dem ersten Lockdown im Frühjahr die ganze Zeit offen. Cengiz Khan Akkoç, Inhaber von zwei Frisörsalons, hält die Schließungsentscheidung für „eine Katastrophe“. Nicht nur weil die Tage vor und nach Weihnachten für Frisöre die Hauptsaison seien. „Zum Friseur zu gehen ist kein Luxus“, ist Akkoç, der nur Khan genannt wird, überzeugt. „Das ist so notwendig wie Essen und Trinken.“
Das Aussehen habe großen Einfluss auf die Psyche: Frauen seien deprimiert, wenn auf dem Kopf der Farbansatz zu sehen sei, unrasierte Männer wirkten „wie tot“. Khan, seit 15 Jahren Friseurmeister, geht davon aus, dass sich deshalb jetzt wieder viele Leute privat zu Hause die Haare schneiden und färben ließen. Schon beim ersten Lockdown im März und April, als die Frisöre sieben Wochen geschlossen waren, habe er im Kollegenkreis häufig von entsprechenden Kundenanfragen gehört. Auf der Straße seien ihm viele Menschen mit perfekten Frisuren und Rasuren begegnet. „Das können nur Fachleute gemacht haben“, ist Khan überzeugt.
Immer montags, wenn das Geschäft geschlossen ist, veranstaltet Khan in der Adventszeit mit befreundeten Frisören eine kostenlose Frisieraktion für Pflegekräfte. Die Solidaritätsaktion läuft unter dem Hashtag: „Klatschen kann jeder“. Ausgedacht habe sich das ein Kollege, der ein Handelsunternehmen für Friseurbedarf vertrete, sagt Khan. Das Unternehmen sponsere die Pflege- und Färbemittel. 100 Termine an Pflegekräfte habe man vergeben. Um die Aktion zu Ende bringen zu können, hofft Khan nun für Montag, den 22. Dezember, eine Sondergenehmigung zum Frisieren der Pflegekräfte zu bekommen.
Der Lockdown hatte sich abgezeichnet. Bei dem Friseur Robert Schuh steht seit Tagen das Telefon nicht mehr still. „Alle wollen sofort einen Termin, es ist ein Albtraum“, sagt er. Schuh findet es richtig, dass nun auch die Frisöre zumachen müssen. „Wir haben genauso engen Kundenkontakt wie die Kosmetikstudios.“ Außerdem sei es zurzeit egal, wie man aussehe. „Man kann eh nicht ausgehen, und Familie verträgt einen auch mit Ansatz.“
Das für Silvester und Neujahr beschlossene Versammlungsverbot hat vor allem für Coronaleugner Folgen. Am 31. Dezember hat „Querdenken“ eine Versammlung mit 22.500 Teilnehmern in Berlin angemeldet. Er fände es „schwierig“, politische Versammlungen zu verbieten“, sagt Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linken, am Sonntag zur taz. Aber wenn sich jemand so hartnäckig wie „Querdenken“ weigere, die Infektionsschutzmaßnahmen einzuhalten, „sollte man das prüfen“. Auch Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen, hält ein Versammlungsverbot „für einen kurzen Zeitraum“ für vertretbar.
Das Verkaufsverbot von Feuerwerk begrüßen Schrader und Lux. Man habe das schon lange gefordert, sagt Lux. Dieses Jahr sei ein Verbot erst recht angezeigt, um die Notaufnahmen der Krankenhäuser zu entlasten.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) ließ am Sonntag mitteilen, dass das Böllerverbot am Alexanderplatz und im Steinmetzkiez in Schöneberg Nord bestehen bleibe. Trotz des generellen Verkaufsverbots von Pyrotechnik werde es bestimmt noch Leute geben, die versuchen würden, Feuerwerk zu zünden. Am Silvestertag gilt ab 14 Uhr ein Alkoholverzehrverbot in der Öffentlichkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite