Berlin statt Baden-Baden: Auf Kriegsfuß mit den ehemaligen Pazifisten
Unsere Autorin erinnert sich an ihre erste Begegnung mit den Grünen. Sie spielte mit ihrer Band auf ihrer Wahlparty – das kam nicht bei allen gut an.
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A m Sonntag wird also gewählt. Aber dies ist ja eine Lifestyle-Kolumne und in einer solchen sollte die Kolumnistin keine Wahlempfehlung abgeben.
Die Reihe heißt aber auch „Aus dem Leben einer Boomerin“, und wenn die Wahl nun mal ein wichtiges Thema in diesem Leben ist, muss darüber berichtet werden.
Wer Boomerin ist, konnte zwar schon oft wählen, kann sich aber nicht mehr an alle Wahlgänge erinnern. Ich war ja als Kind schon links – aber was hab ich zum ersten Mal 1980 gewählt? Vielleicht SPD, wegen der „Stoppt Strauß“- Kampagne? Oder vielleicht doch diese neue Partei?
Ich muss zu meiner Entschuldigung sagen, dass die Grünen damals eine andere Partei waren: Petra Kelly, gegen Nato-Doppelbeschluss und so. Auf der Wahlkampftour „Die grüne Raupe“ hatten Ton Steine Scherben in Karlsruhe gespielt!
Leider irren sich Zeitzeugen wie ich immer bei den Jahreszahlen – entweder es war die Bundestagswahl 1983 oder die Landtagswahl in Baden-Württemberg 1984.
Auf jeden Fall waren die Grünen zum ersten Mal irgendwie drin und meine junge Band sollte ihren allerersten Auftritt bei der Wahlparty in Baden-Baden im alten Bahnhof spielen. Wer uns gefragt hatte, weiß ich nicht mehr. Der Empfang vor Ort war nicht besonders herzlich. Wir sahen verlottert aus, aber nicht so gepflegt verlottert wie Bürgerkinder.
Außerdem hatten sich zwei Bekannte aus dem Stadtstreicher-Milieu in Erwartung von Freigetränken als Roadies aufgedrängt. Nach uns sollte eine professionelle Balkankapelle spielen. Wir waren Vorband.
Nein. Nein! Geht weg!
Stilistisch waren wir schwer einzuordnen: Die Jungs spielten ewige, vom Südstaatenrock inspirierte Gitarrensoli. Und zwischen diesen Soli sang ich meine von Fehlfarben und Ton Steine Scherben inspirierten Texte.
Aber in unserer Gegend war sehr, sehr wenig los und die vielen jungen Zuschauer forderten nach unserem 15-Minuten-Programm energisch eine Zugabe. Die älteren Herren der Hauptband, die hinter der Bühne mit ihren Instrumenten warteten, ermunterten uns, noch ein Stück zu spielen – so wie es nette, professionelle Bands eben tun.
Wir gingen wieder zur Bühne – aber eine badische Grünenpolitikerin verwehrte uns den Zutritt: „Nein. Nein! Geht weg! Warum lasst ihr die Sinti und Roma nicht spielen?“
Das Publikum tobte, wir drängten auf die Bühne, die aufgebrachte Politikerin baute sich mit erhobenen Armen vor uns auf, gab aber angesichts der Lautstärke zweier Marshall-Gitarren-Verstärker-Türme auf.
Wir spielten noch ein Lied, danach fand auch die Balkanband ein begeistertes Publikum. Nach dem Auftritt wurden wir von neuen Fans umringt, vom grünen Getränkestand allerdings mit Schimpf und Schande verjagt.
Ich war trotzdem sehr glücklich wegen der Hoffnung, dass wir vielleicht doch eine Punkband waren. Mein Verhältnis zu den Grünen aber ist seit diesem Tag gestört. Kurz darauf zog es mich schließlich nach Berlin.
Die weiteren Achtziger-, Neunziger-, Nuller-, und Zehnerjahre bis heute, 2025, verbrachte ich dann im schönen Berliner Bezirk Kreuzberg. Dort gab und gibt es bis heute dann auch so ab 1990 linke Wahlalternativen.
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