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Berlin-MarathonKurbeln für das Lächeln am Straßenrand

Holger Opperman ist das Gegenteil eines Ausdauersportlers. Er ist behindert und übergewichtig. Beim Berlin-Marathon landet er auf Platz 125 - mit dem Handbike.

Holger Oppermann mit seinem Handbike beim Schlussspurt auf dem Boulevard Unter den Linden Bild: Gereon Asmuth

Sie klatschen. Sie lärmen mit Rasseln. Mit Trommeln und Pfeifen. Sie rufen: "Bravo!" Und: "Super!" Oder "Wahnsinn!" Und "Du schaffst es!" Und Holger Oppermann fliegt. Er schwebt förmlich über dem Asphalt. Denn es ist sein Applaus. Sonst kommt schließlich gerade niemand vorbei. Die Top-Fahrer im Rollstuhl sind schon lange durch. Und die Spitzensportler unter den Fußgängern noch lange nicht in Sicht. Nur Oppermann mit seinem Rollstuhl ist auf der Straße. Und Tausende stehen am Rand. Sie lächeln. Er strahlt.

Weltrekord beim Berlin-Marathon

Der Äthiopier Haile Gebrselassie hat am Sonntag den

34. Berlin-Marathon gewonnen. Zugleich stellte der 34-jährige Vorjahressieger bei optimalen Witterungsbedingungen mit einer Zeit von 2:04:26 einen neuen Weltrekord auf. Der alte Rekord (2:04:55) war von dem Kenianer Paul Tergat 2003 ebenfalls in Berlin gelaufen worden. Bei den Frauen siegte die ebenfalls aus Äthiopien stammende Gete Wami in einer Zeit von 2:23:17. Zu dem Lauf hatten sich über 40.000 Teilnehmer angemeldet. Rund um die Strecke feuerten Berliner und Touristen das bunte Läuferfeld an. Die Veranstalter sprachen von einer Million Zuschauer. Viele hatten Musikinstrumente, Fahnen und Plakate mitgebracht. An der Strecke spielten Bands und tanzten Cheerleader.

Der 42-Jährige ist zum ersten Mal hier. Zum ersten Mal bei einem Marathon. Am Start hat er sich noch zurückgehalten und seinen Rollstuhl in die letzte Reihe gelenkt. Die meisten seiner Konkurrenten hocken in Rennboliden, die eher an ein Liegeradrennen erinnern als an Behindertensport. Gerade mal ein Dutzend der Starter sitzt in dem Rollstuhl, in dem sie immer sitzen.

Wie sie hat Oppermann vorne ein drittes Rad angekuppelt. Es lässt sich über Pedale antreiben, fast wie ein Fahrrad. Nur eben mit den Händen. Handbike nennt sich das Gerät, das Rollstuhlfahrern im Alltag mehr Mobilität ermöglicht. Oppermann fährt damit jeden Tag zur Arbeit, außer bei Regen. Handbike nennt sich auch die noch junge Kategorie beim Marathon, die Behinderten den Zugang zum Ausdauersport erleichtert.

"Mit Leichtathletik hat das ja eigentlich nichts mehr zu tun", sagt Reiner Pilz. Er ist unverkennbar Purist. Einst ist der 65-Jährige selbst Marathon gefahren. Im klassischen Rennrollstuhl, bei dem die Räder über Greifreifen angetrieben werden. Heute ist Pilz der Fachmann für die Rollstuhlrennen im Organisationsteam des Berlin Marathons. Handbike, sagt Pilz, sei wie Inline-Skaten. Eine Trendsportart. Dem könne man sich irgendwann nicht mehr verschließen. Schon weil das Handbike alltagstauglich ist. "Mit dem Rennrollstuhl kann man nicht zur Arbeit fahren, nicht in die Kneipe gehen, ja, nicht mal richtig pullern", weiß Pilz.

Seit 2004 dürfen Rollstuhlfahrer beim Berlin-Marathon auch mit Pedalen an den Start. Mittlerweile haben sie die klassischen Rollis abgehängt. Die stellten am Sonntag nur 40 Starter. Mit dem Handbike kamen fast 200. Einer davon ist Holger Oppermann. Er arbeitet in Düsseldorf bei der Stadtverwaltung. Mit Kollegen spielt er seit Jahren in einer Rockband. Sie covern Songs von den Rolling Stones oder den Toten Hosen. Hinterher trinken sie gern mal ein Bier.

Das knallorange Trikot spannt sich merklich um seinen Bauch. Der Verwaltungsbeamte wirkt wie das komplette Gegenteil eines Ausdauersportlers. Auch deshalb ist er hier. Ein halbes Jahr hat er trainiert. Immer am Ufer des Rheins entlang. Und damit das auch jemand merkt, hat er in einem Blog im Internet darüber berichtet. "Ich habe mal wieder ein Ziel gebraucht", sagt er. Maximal drei Stunden für 42,195 Kilometer.

"Er wird das in zweieinhalb Stunden schaffen", hat Organisator Reiner Pilz prognostiziert. Die Berliner Marathon-Strecke gilt als enorm schnell. Es gibt kaum Steigungen. Das freut nicht nur Weltrekordler wie Haile Gebrselassie. Noch wichtiger für Rollstuhlfahrer aber sind 42 Kilometer ohne Treppenstufen, steile Rampen, hohe Bordsteine und rumpeliges Pflaster.

Und dann sind da noch die Zuschauer, die die Helden auf der Straße feiern. Ganz egal, ob sie nun Haile Gebrselassie heißen oder Holger Oppermann. Der Gitarrist hat Bühnenerfahrung. Er weiß, wie man mit dem Publikum spielt. Er bedankt sich bei jedem, der ihn anfeuert. Er winkt wie ein kleiner König. Manchmal vergisst er fast das Kurbeln an den Pedalen. Kurz vor dem Potsdamer Platz, bei Kilometer 36, sagt Oppermann: "Ich glaube, ich geb die Musik auf und mache nur noch Sport."

Zwei Stunden, 32 Minuten und 33 Sekunden steht am Ende auf seiner Urkunde. Platz 125. "Das hat schon was mit Glücksgefühl zun tun", sagt Oppermann. Richtig Respekt aber habe er jetzt vor den Läufern. "Für die ist das viel schwieriger als für mich."

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1 Kommentar

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  • FP
    Frank Pachura

    Klasse. Habe diesen Bericht leider erst jetzt gefunden und gelesen. Als tazzeitungsleser im Ruhrgebiet bekommt ja leider nicht alle guten Artikel in gedruckter Form zu sehen ;-), manches bleibt wohl Berlinern vorbehalten.