Berlin Buch Boom: Misslungene Kultursynthese
■ Doppelt verwurzelt: Eine Monografie über den jüdischen Schriftsteller und Theaterkritiker Julius Bab
Vom Antritt der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland vergingen nur sechs Jahre, bis die scheinbar fest in die deutsche Gesellschaft integrierte Gruppe jüdischer Deutscher vollständig aus dem Kulturleben ausgesondert war. Dies allerdings geschah nicht ohne die Mitwirkung der diskriminierten Minderheit selbst.
Die Gründung des Kulturbundes Deutscher Juden 1933 sollte zwar der Verdrängung entgegenwirken und stellungslos gewordenen jüdischen Künstlern eine Weiterbeschäftigung ermöglichen, doch trat man damit zugleich freiwillig den Weg ins „Ghetto“ an. Das brachte dem Kulturbund in jüngster Zeit gar den Ruf ein, selbst ein „völkisch-jüdisches Pendant“ zur nationalsozialistischen Volkstums- und Rassepolitik gewesen zu sein.
Die gerade erschienene Monografie der Historikerin Sylvia Rogge-Gau über den jüdischen Schriftsteller und Theaterkritiker Julius Bab, eines der maßgeblichen Mitbegründer des Kulturbundes, will diesem Bild entgegentreten.
Julius Bab war nun alles andere als ein typischer Verfechter einer jüdischen Sonderkultur in Deutschland. Vielmehr gehörte er als glühender Anhänger der Idee einer „deutsch-jüdischen Kultursynthese“ zu der durch den Nationalsozialismus gründlich beseitigten Gruppe „akkulturierter“ jüdischer Deutscher.
Gern verwies Bab auf den maßgeblichen Anteil des Judentums an der Nationalkultur und war wie die Vertreter der katholischen Minderheit stolz auf die im Ersten Weltkrieg von den Juden für das Kaiserreich erbrachten „Blutopfer“.
Dennoch versuchte Bab den Kulturbund zur Wirkungsstätte des bürgerlich aufgeklärten Geistesgutes zu machen, und das inmitten einer deutschen Gesellschaft, die sich aufs schnellste entbürgerlichte. Der Kulturbund sollte als letzte Bastion der durch die Namen Shakespeare, Lessing und Goethe verbürgten „abendländischen Kulturtradition“ das „bessere“ Deutschland repräsentieren. Damit wollte Bab den Anspruch der deutschen Juden auf Teilhabe an der aufgeklärten europäischen Kulturtradition unterstreichen.
Bitter beklagte Bab die strukturelle Gemeinsamkeit zionistischer Separationsbestrebungen mit dem nationalsozialistischen Kulturbegriff, welcher die kulturelle Eigenart bestimmter Menschengruppen zur Grundlage einer Rassentheorie gemacht hatte, und geriet bald in eine Außenseiterposition innerhalb des Kulturbundes.
Die verdienstvolle Darstellung der Rolle Babs im „Dritten Reich“ bleibt bei Sylvia Rogge-Gau ein wenig schmalspurig. So wird der kulturpolitische Horizont, vor dem Bab wirkte, nur oberflächlich berührt und die enorme Bedeutung, die der Nationalsozialismus der Kultur beimaß, als billige Ideologie, fern von jedem echten Kulturverständnis, nur am Rande gestreift. Dabei versäumt Sylvia Rogge-Gau, einem schon lange vor 1933 in Deutschland zu politischer Wirkung gelangten Kulturverständnis nachzugehen, das die Nationalsozialisten bereits vorfanden.
Indem die Autorin den Glauben Babs an die Überlegenheit der Kultur über die Politik als unzeitgemäß abtut, verspielt sie die eigentlich spannende und durch das Leben Babs eindrücklich dokumentierte Erkenntnis, dass eben dieser Glaube auch ein wesentlicher Antrieb der nationalsozialistischen Politik war.
Ein an der Aufklärung orientierter Kulturbegriff wie der von Babs war im Deutschland jener Jahre allerdings die Ausnahme. Denn hier wurde unter Berufung auf die Romantik ein anderer Kulturbegriff gepflegt, mit dem sich, ganz im Gegensatz zur Idee der Gleichheit, die völkische Eigenart und die damit verbundenen Werturteile über die Höher- bzw. Minderwertigkeit von Völkern und Rassen begründen ließen. Bab aber erwartete vom nicht-jüdischen deutschen Bildungsbürgertum die Verteidigung humanistischer Werte und ein Aufbegehren gegen die Ausgrenzung der Juden. Seine Enttäuschung war groß, als er erkennen musste, dass dieses sich mit der Rolle serviler geistiger Lieferanten der nationalsozialistischen Politik begnügte.
Als Julius Bab nach seiner Emigration in die Vereinigten Staaten Deutschland für immer verließ, war er seinen eigenen Worten nach am „Tod-Punkt“ seiner Existenz angelangt. Er blickte nicht nur auf das Ende des europäischen Judentums zurück, sondern auch auf das Ende des bürgerlich aufgeklärten Europas.
Dagmar Pöpping
Sylvia Rogge-Gau: „Die doppelte Wurzel des Daseins. Julius Bab und der Jüdische Kulturbund Berlin“. Metropol Verlag, Berlin 1999. 238 Seiten, 38 DM
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