Berichterstattung über Afghanistan: Nur tote Soldaten zählen
Afghanistan hätte mehr mediale Aufmerksamkeit verdient. Zwei langjährige ARD-Korrespondenten reflektieren über das öffentliche Bild des Krieges.
Wer das Klischeebild eines zur Selbstkritik nicht sonderlich befähigten Politikers bestätigt haben will, ist beim früheren Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung an der richtigen Adresse. „Ich kann mir eigentlich keine Fehler vorwerfen“, sagt der CDU-Politiker in der vom NDR produzierten Podcast-Serie „Killed in Action – Deutschland im Krieg“.
Jung war 2009 vom frisch angetretenen Job des Arbeitsministers zurückgetreten – weil es kurz zuvor in seine politische Verantwortung als Verteidigungsminister gefallen war, dass die Bundeswehr unzureichend über den verheerenden Angriff auf zwei Tanklaster im afghanischen Kundus informiert hatte. Und warum dann der Rücktritt?, fragt Kai Küstner, einer der beiden Autoren des Podcasts. „Das war damals ein solcher Medienhype“, entgegnet Jung. Es sei darum gegangen, „die Bundeswehr ein bisschen aus der Schusslinie zu nehmen“.
Mit seinem NDR-Kollegen Christoph Heinzle wirft Küstner im Podcast den Blick auf zwei Ereignisse, die nach ihrer Auffassung das öffentliche Bild des Afghanistaneinsatzes grundlegend verändert haben. Neben dem Angriff auf die Tanklaster in Kundus, der sich im September zum zehnten Mal jährt und gerade Gegenstand einer Klage ist, die ein afghanischer Bürger beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht hat, ist dies das Karfreitagsgefecht von 2010, das „schwerste Gefecht der Bundeswehr seit ihrem Bestehen“ (Küstner).
Herausgekommen ist eine Podcast-Serie mit sechs Folgen. Außerdem gibt es vier Serienfolgen fürs lineare Radio und zwei Einzelsendungen. Christoph Heinzle, Hörfunkkorrespondent der ARD in Afghanistan von 2003 bis 2008, und Küstner, direkt danach sein Nachfolger, entwickeln ihre Geschichte in einem grob strukturierten, relativ freien Gespräch, in das sie Interview-O-Töne einfließen lassen – neben Jung kommen auch andere Ex-Verteidigungsminister*innen (Karl-Theodor zu Guttenberg, Ursula von der Leyen) und drei ins Karfreitagsgefecht involvierte Soldaten zu Wort.
Besonders instruktiv ist die im Podcast formulierte Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung in Sachen Afghanistaneinsatz. Von 2005 bis 2009 habe Bundeskanzlerin Angela Merkel das Wort Afghanistan im Plenum des Bundestags nur einmal benutzt, kritisiert Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen. 2009 habe sie es dann auf einer Sondersitzung wegen der Kundus-Affäre tun müssen. „Ausblenden und ausweichen“ – das sei vorher Merkels Motto gewesen.
Das wirft die Frage auf, ob Journalisten genug getan haben, um dieser Strategie entgegenzuwirken. Die Korrespondenten vor Ort hätten aus Gesprächen mit Soldaten gewusst, dass die Situation viel dramatischer war, als die Bundesregierung es darstellte, sagt Heinzle. „Wir Journalisten haben versucht, das zu transportieren, aber was davon letztlich in der Öffentlichkeit ankommt, ist eine andere Frage.“
2014 endete der Einsatz der International Security Assistance Force (Isaf), an dem die Bundeswehr beteiligt war, seitdem sind die Deutschen als Ausbilder für die afghanische Armee tätig. „Wenn wir früher über die Gefährlichkeit der Lage berichtet haben, bezog sich das auf die Bundeswehr“, sagt Heinzle. Da sich die deutschen Soldaten in ihrer Funktion als Ausbilder heute überwiegend in Lagern aufhalten, ist das Risiko geringer als zu Kampfeinsatzzeiten. Dafür hat sich die Gesamtsituation verschlechtert. Im ersten Halbjahr 2019 wurden nach Angaben der UN 1.200 Zivilist*innen getötet. Kam der Abzug der Isaf zu früh? Küstner sagt: „Ohne dass das wie Selbstlob klingen soll: Es ist so gekommen, wie wir Korrespondenten das prognostiziert haben.“
„Killed in Action - Deutschland im Krieg“, ab 30. August in der ARD-Audiothek, als vierteilige Radioserie ab 2. September bei NDR Info
Vor allem aufgrund der Rolle der Bundeswehr sei Afghanistan lange stärker im medialen Blickfeld gewesen „als der Irak, Syrien und andere Konfliktherde“, meint Heinzle. „Wenn ein deutscher Soldat getötet wurde, war es für uns die anstrengendste Zeit, da waren wir ständig auf Sendung“, sagt Küstner. Solche „Aufhänger“ fehlten heute, ergänzt Heinzle.
Dabei wäre eine größere mediale Aufmerksamkeit angebracht. Es sei erschreckend, wie viel Terrain die Taliban zurückerobert hätten, sagt Küstner. Im Juli waren es – jedenfalls laut deren eigenen Angaben – 70 Prozent des Landes.
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