Bericht zur Integration von Migranten: Dumm, faul, kriminell?
Ein neuer Bericht zur Integration von Migranten in Deutschland zeigt nur wenig Erfreuliches. Die benutzten Indikatoren sind umstritten.
BERLIN taz | Die Lebenssituation der MigrantInnen in Deutschland hat sich nur in wenigen Bereichen verbessert. So ist der Anteil der Schulabbrecher ohne deutschen Pass von 2005 bis 2007 von 17,5 auf 16 Prozent zurückgegangen. Bei den Deutschen sank der Anteil von 7,2 auf 6,5 Prozent. MigrantInnen besitzen häufiger Wohneigentum und sind öfter ehrenamtlich aktiv. Das steht im ersten Bericht zum Integrationsmonitoring, den die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), am Mittwoch vorstellte.
In vielen anderen Bereichen verzeichnet der Bericht keine Verbesserung: So ist die Arbeitslosenquote der Nichtdeutschen mit 20 Prozent weiterhin doppelt so hoch wie die der Deutschen. Menschen ohne deutschen Pass sind noch immer doppelt so oft von Armut bedroht wie jene mit deutscher Staatsbürgerschaft. Auch gehen Migrantenkinder weiter deutlich seltener in den Kindergarten und zu den Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt.
In dem "Integrationsindikatorenbericht", den Wissenschaftler vom Institut für Sozialforschung (ISG) und dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) erstellt haben, werden anhand von über 100 Indikatoren in 14 Gebieten wie Arbeitsmarkt, Ausbildung, Gesundheit und Kriminalität MigrantInnen mit Deutschen verglichen. Als Grundlage dienen Daten des Mikrozensus, der Bundesagentur für Arbeit, der Länder und der polizeilichen Kriminalstatistik.
Dabei gibt es allerdings ein gravierendes Problem: Viele Statistiken zum Beispiel im Bildungsbereich oder zum Arbeitsmarkt erfassen noch immer nur Deutsche und Nichtdeutsche, Eingebürgerte - und damit häufig die erfolgreicheren - Migranten werden mit dem Erhalt des deutschen Passes unter die Deutschen subsummiert. Das begrenzt die Aussagekraft der Statistiken. Zumindest aber die Daten des Mikrozensus erfassen inzwischen den Migrationshintergrund der Befragten.
Ruud Koopmanns, Sozialwissenschaftler am WZB, verwies zudem darauf, dass der Migrationshintergrund in vielen Fällen gar nicht das Entscheidende für die unterschiedlichen Ergebnisse von Eingewanderten und Einheimischen seien. "Das kann auch mit Faktoren wie dem Bildungsstand, der Alters- oder Geschlechterzusammensetzung dieser Gruppe zu tun haben", so Koopmanns.
Vergleicht man zum Beispiel Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund, die aus Elternhäusern mit ähnlichem Bildungsgrad und Einkommen stammen, dann gibt es bei der Wahl zwischen Hauptschule oder Gymnasium keinen Unterschied mehr. Geht man bei der Erwerbsbeteiligung ähnlich vor, schneiden Männer mit Migrationshintergrund sogar besser ab als jene ohne.
Mit Daten zum Beispiel zur Kriminalität müsse man daher sensibel umgehen, sagte der Sozialwissenschaftler. Der Bericht weist auf die doppelt so hohe Kriminalitätsrate bei Migranten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung hin. Faktoren wie die soziale Situation, die Altersstruktur und die Bildung spielten dabei eine wichtige Rolle.
Der Sozialwissenschaftler sprach sich auch gegen Integrationsindizes aus, weil diese wichtige Befunde überdecken würden. Auch die Auswertung von Daten nach den Herkunftsländern der Migranten macht aus seiner Sicht keinen Sinn.
"Man sollte nicht alle Probleme ethnisieren", sagte Koopmanns. Wenn man Berliner und Bayern untersuchen würde, fände man auch Unterschiede. Diese aber hätten wenig mit der Herkunft zu tun, sondern eher mit der wirtschaftlichen Situation oder der Altersstruktur in den Bundesländern. Dies ist deutliche Kritik an dem Integrationsindex des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, der jüngst für Schlagzeilen wie "Türken am schlechtesten integriert" gesorgt hatte (die taz berichtete).
Staatsministerin Böhmer, die den Bericht in Auftrag gab, sagte, die Maßnahmen des Nationalen Integrationsplans zeigten erste Erfolge. "Unser Ziel haben wir jedoch noch lange nicht erreicht." Im kommenden Jahr solle ein zweiter Indikatorenbericht in Auftrag gegeben werden. Die Experten rieten dazu, die Anzahl der Indikatoren dabei deutlich zu reduzieren.
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