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Bericht zur ArmutsentwicklungMehr Arbeit lohnt sich nicht

Die Armut in Deutschland nimmt weiter zu, obwohl mehr Menschen einen Job haben. Dabei gibt es große regionale Unterschiede, so der Paritätische Wohlfahrtsverband.

Kontinuierlich steigend: In Deutschland sind immer mehr Arme auf Hilfe angewiesen. Bild: dpa

BERLIN epd | Deutschland steht nach Ansicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vor einer sozialen Zerreißprobe. Dem „Bericht zur regionalen Armutsentwicklung 2013“ zufolge, den der Verband am Donnerstag in Berlin vorlegte, nimmt trotz guter Konjunktur und sinkender Arbeitslosigkeit die Armut weiter zu.

„Jeder Siebte lebt an oder unter der Armutsgrenze“, sagte der Geschäftsführer des Wohlfahrtverbandes, Ulrich Schneider. Dazu komme eine regionale Kluft: Ganze Regionen verödeten und würden von reichen Bundesländern wie Bayern oder Baden-Württemberg abgehängt, heißt es in dem Bericht.

Die Armutsquote liegt dem 3. Armutsbericht des Paritätischen zufolge bei 15,2 Prozent und ist damit seit 2006 fast kontinuierlich gestiegen. Die Ergebnisse beruhen auf dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes.

Eine Trendumkehr gibt es den Angaben zufolge nicht, obwohl die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken ist und weiter abnimmt. Die Experten vom Paritätischen führen das auf die „Amerikanisierung des Arbeitsmarkts“ zurück mit einer Zunahme an unsicheren, schlecht bezahlten Jobs, die nicht zu ausreichenden Einkommen führen. Schneider begrüßte daher die Einigung von Union und SPD beim Mindestlohn.

Als arm gilt, wer als Single weniger als 869 Euro im Monat zur Verfügung hat. Für ein Paar mit zwei Kindern liegt die Grenze bei 1.826 Euro. Das entspricht 60 Prozent des mittleren Einkommens.

Reicher Süden, armer Norden

Vom Wohlstand abgehängt werden dem Bericht zufolge ganze Regionen, während es reichen Ländern wie Baden-Württemberg und Bayern immer besser geht. Dort sinkt die Armutsquote weiter und liegt mit 11,1 bzw. 11,2 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt, während sie in den beiden letztplatzierten Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Bremen 2012 weiter gestiegen ist und 22,9 bzw. 23,1 Prozent beträgt. Damit sind in den abgehängten Ländern mehr als doppelt so viele Menschen arm wie in den wohlhabenden Bundesländern.

„Problemregion Nummer 1 bleibt das Ruhrgebiet mit seinen fünf Millionen Einwohnern“, sagte Schneider. Der Negativtrend in Nordrhein-Westfalen sei aber insgesamt gestoppt. Zum ersten Mal seit 2006 sei die Armut in dem bevölkerungsreichsten Bundesland im Vergleich zum Vorjahr nicht weiter gestiegen.

Positive Trends der Vorjahre beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Brandenburg sind Schneider zufolge dagegen ebenfalls gestoppt oder haben sich umgekehrt. In Berlin - dem im Ranking drittärmsten Land - habe sich die besonders schlechte Entwicklung zumindest entschleunigt. Die Armutsquote stieg dort „zum Glück nur noch 0,1 Prozentpunkte“, sagte Schneider.

Der Verbands-Geschäftsführer mahnte mehr Anstrengungen bei der Entlastung von Kommunen an. Besonders in armen Regionen würden immer mehr soziale Leistungen gestrichen. Bei einer Umfrage hätten ein Drittel aller Kommunen angegeben, in diesem Bereich 2014 den Rotstift ansetzen zu müssen.

Auch der Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, Joachim Speicher, forderte, Armutspolitik mit Regionenförderung zu verknüpfen. Anders werde die Abwärtsspirale nicht aufzuhalten sein, sagte er. Schneider und Speicher wiederholten dabei ihre Forderung nach einer höheren Besteuerung von Vermögen und großen Einkommen für eine Umverteilung des Reichtums. Union und SPD hatten sich aber darauf geeinigt, die Steuern nicht zu erhöhen.

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9 Kommentare

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  • R
    RLS

    Es gibt Menschen die dieses nicht akzeptieren wollen und dieses Land umbauen wollen.

    Bloß müssen diese Menschen die von Armut betroffen sind, auch ihren Hintern hochbringen.

    Ich kann nicht verstehen wie man heute noch SPD und CDU wählen kann.

    Die wo Arm sind scheinen aufzugeben.

    Denen die es besser geht schämen sich anscheinend nicht dafür ein solch asoziales System zu tragen, oder sie haben sich so verdummt, Leuten wie Gabriel und Merkels Lügen zu glauben.

    An der Tafel sollte man Menschen nicht nur verpflegen, sondern ihnen wieder Mut machen, wählen zu gehen.

    Die Linke kann der Stachel sein, um diese beiden asozialen Parteien zu umdenken zu bringen.

  • M
    mukujum

    Werden Studenten in dieser Statistik berücksichtigt? Die meisten Studenten dürften weniger als 870€ im Monat zur Verfügung haben, trotzdem würde ich sie nicht als arm bezeichnen, werden sie in dieser Statistik als Teil der "Armen" angesehen? Was ist mit Azubis, Praktikanten etc? Das würde die Statistik sehr verfälschen. Solche wichtigen "Details" müssen im Artikel genannt werden, sonst kann man die Untersuchung nicht wirklich bewerten.

  • G
    gast

    Die Statistiken der sinkenden Arbeitslosigkeit ist Augenwischerei.

    In der Statistik sind nur die angeführt, die Arbeitslosengeld bekommen, aber nicht die, die in den ach so sinnvollen Maßnahmen sind und die Hartz IV kommen da auch nicht vor.

     

    Die Rentner die in der Armut stecken, die kommen auch nirgendwo in irgendwelchen Statistiken vor und davon gibt es viele.

  • Z
    Zusammengefasst

    Korrelation zwischen langer Regierung links der Mitte und Armutsrisiko.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    "Die Armut in Deutschland nimmt weiter zu, obwohl mehr Menschen einen Job haben."

     

    Und die neue Arbeitsministerin Nahles G A R A N T I E R T den Mindestlohn ab 2017 ;-)

    • G
      gast
      @688 (Profil gelöscht):

      Es sollten einfache Bürger im Bundestag zu Wort kommen, damit die mehr als gut gezahlten Politiker auf den Boden der Realität ankommen. Die sind so was von realitätsfern.

      • 6G
        688 (Profil gelöscht)
        @gast:

        Nein, das sind nur die fachidiotischen Spitzen unserer Hörigkeit vor der systemrationalen Symptomatik in "Wer soll das bezahlen?" und "Arbeit macht frei" - diese Realität muß komplett bis zu den Wurzeln beendet werden, die "einfachen" Bürger würden in der Verkommenheit des Parlaments doch auch nur Kommunikationsmüll produzieren können!

  • M
    MWelslau

    Hallo Redaktion,

     

    der Absatz unter der Überschrift "Reicher Süden, armer Norden" enthält einen gravierenden Fehler:

     

    Wenn in Bremen (650 tsd Einwohner) und Mecklenburg-Vorpommern (1.6 Mio Einwohner), also zusammen 2.250 tsd Einwohner hat und davon rd. 23% (= 517 tsd Einwohner) von Armut in diesen Bundesländern betroffen sind, so sind es in Baden-Würtemberg (10.5 Mio Einwohner) und Bayern (14.4 Mio Einwohner), zusammen also 24.9 Mio Einwohner und rd 11% = 2.7 Mio Einwohner in der Armutsgrenze und damit ca. 5 mal weniger und nicht - wie im Artikel geschrieben - "doppelt soviele Menschen" arm! Die Aussage bezog sich wohl auf die Prozentangaben und nicht auf die absoluten Zahlen, aber in einer Statistik ist das eine nicht verzeihbare Falschaussage!

     

    Es grüßt, Michael Welslau

  • A
    amigo

    Ja - Was erwarten wir denn? Wir wählen weiterhin CDU,CSU,SPD und Grüne und wundern uns, wenn der barbarische Manchester-Kapitalismus realisiert wird?

    Der Mensch gewöhnt sich schnell an den Anblick Krepierender am Straßenrand...

    So what?