Bericht über Stasi-Verbindungen: Gysi auf der Goldwaage
Hat Gregor Gysi doch an die DDR-Staatssicherheit berichtet? Ein Zeitungsbericht legt das nahe – der Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag weist den Vorwurf zurück.
BERLIN taz | Ein bisher unbekanntes Dokument der Stasi sorgt für die nächste Runde im Dauerstreit über eine angebliche Zusammenarbeit von Gregor Gysi mit dem Mielke-Ministerium. Seit Jahren steht der Vorwurf im Raum, der Linksfraktionschef sei früher Zuträger des Geheimdienstes gewesen. Gysi bestreitet das – und hat sich bisher juristisch erfolgreich gegen die Behauptung wehren können.
Nun aber sieht die Welt am Sonntag die Glaubwürdigkeit des Politikers neuerlich „erschüttert“. Ein dreiseitiges Papier aus der Jahn-Behörde „könnte Gysi gleich in mehrfacher Hinsicht der Lüge überführen“. Das Blatt stützt sich dabei unter anderem auf Erkenntnisse über ein Interview Gysis mit dem Spiegel aus dem Jahr 1989 und den Rechtsstreit über eine NDR-Dokumentation: „Die Akte Gysi“.
Noch vor deren Erstausstrahlung im Frühjahr 2011 hatte Gysi gegen eine Ankündigung des Films eine Unterlassungserklärung erwirkt. „Auch die hundertste Wiederholung altbekannter haltloser Vorwürfe ändert nichts daran“, vermeldete damals die Linksfraktion: Gysi habe nicht mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet. Der Politiker hatte seinerzeit eine eidesstattliche Versicherung abgegeben: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt über Mandaten oder sonst jemanden wissentlich oder willentlich an die Staatssicherheit berichtet“, heißt es darin.
An zwei dieser 17 Worte setzt die Welt am Sonntag an. Denn laut der nun aufgetauchten „Information“ der Berliner Stasi-Bezirksverwaltung vom 17. Februar 1989 haben zwei MfS-Offiziere kurz nach besagtem Spiegel-Interview „ein Gespräch“ mit Gysi geführt – in dem dieser, so sieht es die Welt am Sonntag, die Stasi „zweifelsohne über ’sonst jemand‘ unterrichtet“ habe; nämlich über den Journalisten Ulrich Schwarz und den Spiegel. Die Stasi vermerkte damals, Gysi sei wegen „der Unseriösität des Blattes“ gegen das Interview gewesen. Und bei Schwarz habe er „ständig das Gefühl gehabt, nur in ’Fallen‘ gelockt zu werden“.
Gysi bestreitet, das Interview mit der Stasi „besprochen und ausgewertet“ zu haben. Über das Gespräch habe er allerdings mit Angehörigen, Freunden, Kollegen „und sicher noch am selben Tag mit einem Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED telefonisch oder persönlich“ gesprochen. Soll heißen: Die Informationen können auch auf anderem Wege zur Stasi gelangt sein.
Immer kurz vor den Wahlen?
Das halten Kritiker Gysis aber für unglaubwürdig. Und: Ein direktes Gespräch mit dem Ministerium für Staatssicherheit über Schwarz würde ihrer Ansicht nach auch Gysis eidesstattlicher Versicherung widersprechen. Der Grüne Wolfgang Wieland meint, als Jurist müsse Gysi wissen, dass bei einer solchen Erklärung „jedes Wort auf die Goldwaage zu legen ist“. Es dürfe niemanden wundern, „wenn sich die Staatsanwaltschaft für diesen Vorgang interessieren sollte“.
In der Linkspartei spricht man nach der Welt-Recherche von einer Konstruktion gegen Gysi, die nicht zufällig kurz vor wichtigen Landtagswahlen an die Öffentlichkeit gelangt sei. Ähnlich hatte die Fraktion im Fall der Dokumentation „Die Akte Gysi“ argumentiert: Es stimme nachdenklich, hieß es, dass die Ausstrahlung „einen Monat vor der Hamburg-Wahl stattfinden soll“.
Damals zog die Partei wieder in die Bürgerschaft ein. Der juristische Streit über den NDR-Film läuft immer noch. Man werde prüfen, so der Sender, inwieweit das neu entdeckte Stasi-Dokument im Verfahren gegen Gysi nutzen könne. Und auch der Linksfraktionschef wird die Sache nicht auf sich beruhen lassen: Anwälte würden bereits Schritte im Zusammenhang mit dem Zeitungsbericht prüfen.
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