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Kolumne UnbeliebtGott gibt Ärger

Kolumne
von Georg Löwisch

Bodo Ramelow ist gern Christ in der Linkspartei. Wie geht das zusammen? Telefonisch erwischen wir ihn kurz vor Ostern in einem Erfurter Großkaufhaus.

D er Sozialist Bodo Ramelow glaubt an Gott. Das ist nicht so normal in der Linkspartei, deren Osthälfte in der DDR ziemlich viel Zeit damit verbracht hat, Christen klein zu machen; und bei den Westlinken falten sie ja auch nicht von morgens bis abends die Hände, sondern feiern seit ein paar Jahrzehnten Kirchenaustritte als Emanzipation von den Gemeindevertretereltern.

Aber Ramelow, Protestant, betet nicht nur, letztes Jahr forderte er von seiner Linkspartei Respekt vor dem Papst und drohte mit Austritt, als ein antireligöser Passus fürs Parteiprogramm diskutiert wurde. Trotzdem ist Ramelow Chef der Linken im Thüringer Landtag, er hat für sie zuletzt 27 Prozent geholt, er wollte ganz dringend Ministerpräsident werden, nur die SPD hat das blockiert.

Auch in der Bundespartei ist er eine Nummer, er hat für sie viele Wahlkämpfe organisiert. Man könnte auch sagen: Ramelow sucht Mehrheiten. Und da macht es ihm nichts aus, als Linksparteichrist in der Minderheit zu sein? Anruf um 15.09 Uhr, eine Woche vor Ostern. Ich erwische ihn im Real in Erfurt, tiefe Stimme, er wirkt geschäftig, als suchte er sich gerade das Abendessen aus. Macht er auch.

Bild: taz
Georg Löwisch

Der Autor leitet die Redaktion der . Im dem Wochenendmagazin erscheint alle zwei Wochen seine Kolumne über Unbeliebtheit im Politikbetrieb.

Wie wichtig ist Ihnen Ostern? „Hm? Die Chance, aus dem Megastress rauszukommen.“ Christenfest?! „Für mich sind im religiösen Zyklus andere Tage wichtiger.“ Welche? „Der Reformationstag.“ Typisch links. Er wird wach. „Das ist jetzt keine Antihaltung, ich habe einfach keine Lust, Ihnen was vorzuheucheln.“

Jetzt kommt Ramelow im Real ins Erzählen. Nicht, wie er sich als Christ bei den Linken unbeliebt macht, sondern umgekehrt: als Linker bei den Christen. Denn so hat es angefangen, früher in Hessen. Im Konfirmandenunterricht will er über den Vietnamkrieg streiten. Die Pfarrersfrau schmeißt ihn raus. In der nächsten Gemeinde wird ein Diakon, der seine Freundin auf eine Freizeit mitnehmen will, gefeuert. Ramelow tritt aus.

Jahre später in Thüringen. In Bischofferode kämpfen die Kalikumpel um ihre Jobs. Die IG-Bergbau-Funktionäre kuschen. Die Pastorin und der katholische Priester nicht. Er tritt wieder ein.

Wut und das Lenin-Zitat

Als er 1999 in den Thüringer Landtag gewählt wird, erscheint er donnerstags um 8.30 Uhr immer zur Andacht. Das hat vor ihm kein Linker gemacht. Die CDU-Leute gucken. Die PDS-Leute lästern: "Der Bodo geht wieder Beten und Falten". Ist ihm recht. Irgendwann kommt eine Kollegin mit, später gehen sie zu dritt.

Wie passt Kirche zur Linkspartei? „Hm.“ Im Hintergrund piept die Scannerkasse. Er zählt die Punkte ab. Befreiungstheologie, Püp, Lukasevangelium, Püp, offene Jugendarbeit, Püp, Gegenbewegung, Püp.

Auf dem Parkplatz ist Ramelow wieder konzentrierter.

„In Westdeutschland waren die Kirchentage früher hochpolitisch. Friedensbewegung, Dritte Welt. Es war bei Linken schick, sich zu bekennen.“

Heute erhält er wütende Nachrichten von Genossen auf Facebook. „Es kommt immer dieses Lenin-Zitat: Religion ist Opium für das Volk.“

Macht ihm nichts aus. In Streitigkeiten steckt für ihn viel drin.

Die Militärseelsorger, Sozialkonzerne der Kirche, die selber ungerecht handeln, er klingt aufgekratzt, alles schöne, klare Konflikte. Einmal trat er mit einem Bischof auf. „Im Publikum: Gottes Bodenpersonal, meine Leute und Neutrale“. Am Anfang waren alle erst voneinander irritiert. Dann neugierig, dann ging ein feiner Streit los. Und Streit ist Ramelows Art, Nähe zu suchen.

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11 Kommentare

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  • A
    Arne

    Ja, richtig, wo ist die Bildung dahin?

    Das Zitat von Marx über Religion lautete nämlich: "Sie ist das Opium des Volkes." Quellenangabe (Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" ist richtig.)

     

    Lenin machte daraus allerdings wirklich "Opium für das Volk". ("Die Religion ist das Opium für das Volk."; "Sozialismus und Religion" von Wladimir I.Lenin, 1905)

  • T
    TeaRex

    Lautete die Marx-Version nicht vielmehr "Religion ist das Opium *des Volkes*", also die (geradezu Notwendige) *Selbst*betäubung des Volkes im Angesicht unerträglicher Lebensverhältnisse? Ich glaube dann kommen auch noch mehr solche (relativ) positiven Aussagen von Marx, wie etwa Religion sei der Geist Geistloser Zeiten, und die Menschlichkeit unmenschlicher Zeiten oder so ähnlich, oder? Marx wollte die Religion doch nicht bekämpfen, sondern sie vielmehr überflüssig machen.

     

    Zum "Opium für das Volk", also einem dem Volk gegen dessen Willen aufgedrückten System, dass daher mit Gewalt bekämpft werden soll, hat sie glaube ich wirklich erst Lenin erklärt, oder?

  • BG
    Bernd Goldammer

    Es ist lange her, dass man einen so nachdenkenswerten Artikel in der TAZ lesen durfte. Und für die Oberlehrer: Vielleicht hat Lenin das Zitat von Karl Marx in seinen Schriften benutzt. Und ob es Marx erfunden hat, ist durch Drucklegung längst nicht bewiesen. Die Botschaft des Satzes ist jedoch überlebt. Was bitteschön ist mit Bischof Oscar Romero und vielen anderen Kirchenleuten? Was ist Befreiungstheologie? "Der Antikommunismus ist die Grundtorheit unserer Epoche“ sagte schon Thomas Mann. Die prinzipiell negative Grundeinstellung der Linken zum Christentum wird es Linken niemals ermöglichen breite Kreise der Bevölkerung zu erreichen. Vielleicht liegt es auch an ihren zahlreichen Oberlehrern, die den Sinn eines guten Artikels wegen einer Nebensächlichkeit infrage stellen. Es läuft doch wie geschmiert...

  • S
    Smash_Capitalism

    Wer das Volk weiterhin vernebeln will, und sei es als "linker" Reformist und Pfleger am Krankenbett des Kaputtalismus, hat seine dialektische Bildung schon lange - und notwendigerweise - karriereorientiert verdrängt.

     

    So sehr wie nie zuvor gilt im 21. Jahrhundert:

     

    „Alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.

     

    Smash Capitalism - und die Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse seines Überbaus!

  • DG
    Dialektisch Gebildete ;-)

    Hier mal ein bisschen Bildung:

     

    Karl Marx schrieb in "Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie 1843/44": Religion ist Opium des Volkes

     

    Lenin in "Sozialismus und Religion 1905" wandelte ab in: Religion ist Opium fürs Volk

     

    kleiner - aber feiner Unterschied...

  • H
    Hallodri

    @ Peter & MasterMason:

     

    Ihr habt beide nicht ganz Recht. Von Marx stammt zwar der Satz: "Religion ist Opium DES Volkes" (Hervorhebung von mir)

     

    Von Lenin ist in der Tat die Abwandlung: "Religion ist Opium FÜR DAS Volk" (Hervorhebung ebenfalls von mir)

  • TS
    Tim Schmidt

    ...und lautet korrekt: "Religion ist Opium des Volkes". Das impliziert, dass Religion Opium für das Volk und vom Volk ist.

     

    Aber sympathisch, dass Herr Ramelow sich so offen zu seinem Glauben bekennt!

  • S
    Sebastian

    Kleine Info:

    Von Marx stammt das Zitat: Religion ist Opium des Volkes. Das im Text genannte Zitat (Religion ist Opium für das Volk) stammt in der Tat von Lenin. Die Unterschiede der Aussagen der beiden Zitate sind erheblich.

  • F
    Frank

    Hier der Wikipedia-Eintrag zu dem Zitat zur Klärung:

     

    Religion als „das Opium des Volkes“ ist eine Aussage von Karl Marx. Das Zitat stammt aus der um die Jahreswende 1843/44 verfassten Einleitung zu seiner Schrift Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Diese Einleitung hat er 1844 in der zusammen mit Arnold Ruge herausgegebenen Zeitschrift Deutsch-Französische Jahrbücher veröffentlicht. Häufig wird das Zitat mit der späteren leninschen Variante Religion ist Opium für das Volk[1] verwechselt.

  • M
    MasterMason

    Heute erhält er wütende Nachrichten von Genossen auf Facebook. „Es kommt immer dieses Lenin-Zitat: Religion ist Opium für das Volk.“

     

    Oh Gott, wo ist nur die dialektische Bildung der Kader hin? Das ist ein Marx-Zitat aus der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Walter Ulbricht würde sich im Grab umdrehen...

  • P
    Peter

    Das Religion-Opium-Zitat stammt nicht von Lenin, sondern von Karl Marx...